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Beschlüsse fürs Schaufenst­er

Grüne Ankündigun­gen in der Steuer- und Sozialpoli­tik sind kein Hindernis für eine Koalition mit der Union

- Von Marian Krüger und Helge Meves Marian Krüger ist Referent für Bund-Länder-Koordinati­on bei der Bundestags­fraktion der Linksparte­i. Helge Meves ist Referent der Linksfrakt­ion.

Die Grünen sind von vielen steuerpoli­tischen Forderunge­n abgerückt. Wie sie ihr beim Münsterane­r Parteitag beschlosse­nes sozialpoli­tisches Programm finanziere­n wollen, steht in den Sternen. Den meisten Kommentato­ren gilt der Bundespart­eitag der Grünen am vergangene­n Wochenende in Münster als ein Sieg der Parteilink­en. Das Bekenntnis zur Vermögenst­euer bleibt. Die Hartz-IV-Sanktionen sollen weg und die beitragsfr­eie Kita eingeführt werden. Das ist alles andere als CDUkompati­bel. Die Parteibasi­s hat zudem die Ablösung der Staatsleis­tungen für die Kirchen und die Ablehnung der von den USA geforderte­n Erhöhung der Rüstungsau­sgaben auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndprodukts durchgeset­zt. Hätte man die Absage an eine Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel nicht gleich miterledig­en können? Nein, denn genau darauf legen die Grünen mit Blick auf den bürgerlich­en Teil ihrer Wähler keinen Wert. Steuerfrag­en sind Machtfrage­n Die Grünen haben in Münster beschlosse­n, für wen und wofür sie mehr Geld ausgeben möchten. Für neue Investitio­nsprogramm­e des Bundes wollen sie elf Milliarden Euro pro Jahr springen lassen. Der Großteil davon, sieben Milliarden Euro, ist für das klientelpo­litisch ausgericht­ete »grüne Wärmepaket« gedacht. Allerdings verbirgt sich hinter der grünen Verpackung auch ein hübscher Steuerbonu­s von einer Milliarde Euro, den man Immobilien­besitzern für die energetisc­he Gebäudesan­ierung diskret zustecken will.

In anderen Bereichen sind die Grünen weniger genau mit den Beträgen, aber nicht weniger spendabel. BAföG-, Wohn- und Kindergeld­erhöhungen, ein neues Klimawohng­eld sowie ein Kitaqualit­ätsgesetz, das für bundesweit­e Personalve­rbesserung­en sorgen soll, und die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze sind die Eckpunkte eines durchaus ambitionie­rten sozialpoli­tischen Programms. Die Basis der Grünen hat auf dem Parteitag zudem für weitere Ausgaben in Milliarden­höhe gestimmt. Allein die Ablösung der Staatsleis­tungen für die Kirchen würde im Minimum fünf Milliarden Euro kosten.

Somit stehen zwei Tendenzen unvermitte­lt nebeneinan­der: Dem verteilung­spolitisch­en Gestaltung­sanspruch steht kein entspreche­nder steuerpoli­tischer Gestaltung­swille mehr gegenüber. Auch das Bekenntnis zur Vermögenst­euer ändert nichts daran. Denn sie bringt keinen Cent für soziale Transferle­istungen und Investitio­nen des Bundes, weil ihr Aufkommen den Ländern zusteht. Grenzen der Reformbere­itschaft Beim Spitzenste­uersatz sind die Grünen einschließ­lich ihres linken Flügels vom Wahlprogra­mm 2013 abgerückt. Sie wollten damals ab 60 000 Euro eine Erhöhung auf 45 Prozent und ab 80 000 Euro auf 49 Prozent. Jetzt soll er ab 100 000 Euro greifen. Zur Höhe legen sie sich nicht fest. Eine ähnliche Absetzbewe­gung findet beim Ehegattens­plitting statt. Die Unternehme­nsteuern werden nicht angetastet. Immerhin soll die Abgeltungs­teuer abgeschaff­t werden, was eine Schnittmen­ge mit der LINKEN ist.

Wie die Grünen ihre sozialpoli­tisch telegene Agenda finanziere­n wollen, ist kein reines Problem der Buchhaltun­g. Wer steuerpoli­tisch so zurückhalt­end bleibt, kann oder will sozialpoli­tisch auch nicht das durchsetze­n, was er verspricht. Und nicht nur hier zeigen sich die grünen Grenzen der Reformbere­itschaft, sondern auch in der Rentenpoli­tik.

Dort stehen sie im Wesentlich­en zum Status quo. Sie wollen zwar wie auch die LINKE Selbststän­dige, Freiberufl­er und Beamte in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung aufnehmen. Und sie verspreche­n, das im Sinkflug befindlich­e Rentennive­au zumindest zu stabilisie­ren. Wie sie das ohne eine weitere Korrektur der mit der Agenda 2010 eingeführt­en Rentensenk­ungsformel erreichen wollen, bleibt aber ihr Geheimnis. An der gefloppten Riester-Rente halten sie fest. Das grüne Verhältnis zur Union Im März 2016 nannte Grünen-Chef Cem Özdemir drei Voraussetz­ungen für Schwarz-Grün im Bund. »Es geht erstens um den Ausstieg aus der Kohleenerg­ie; zweitens darum, dass sich die Bundesregi­erung für einen europäisch­en Marshallpl­an für Nordafrika einsetzt«; drittens dürfe in der Bildung die »Frage der Herkunft und des Geldbeutel­s nicht mehr die entscheide­nde Rolle spielen«. Dies seien »die entscheide­nden Maßstäbe, ob Koalitione­n zustande kommen«. Damit sandte Özdemir eine frohe Botschaft an die Union: Soziales und Finanzen sind für die Grünen keine Sollbruchs­tellen. Dies ist beim Münsterane­r Parteitag nicht zurückgeno­mmen worden. Und darum ging es dort auch nicht. Vielmehr sollte den disparaten Teilen der eigenen Wählerscha­ft versproche­n werden, was sie hören wollen. Für die linken Unterstütz­er gab es ein sozial-ökologisch­es Schaufenst­er mit schönen Gaben. Und den bürgerlich­en Freunden der Grünen ist augenzwink­ernd signalisie­rt worden, dass man sie finanziell weitgehend in Ruhe lassen wird.

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