nd.DerTag

Ein halber Saarländer schaut noch vorbei

Wenn die Voraussage­n stimmen, sind die Tage von Ministerpr­äsidentin Kramp-Karrenbaue­r gezählt

- Von Uwe Kalbe

Am Sonntag ist es soweit. Die Saarländer wählen einen neuen Landtag. Dank verbaler Fundamenta­lkritik der SPD im Bund wächst zugleich die Erwartung an eine Richtungse­ntscheidun­g. Bisher schien es Konsens auch zwischen den Spitzenkan­didatinnen der beiden größten Parteien im Saarland, dass diese Wahl ein besonderer Fall sei und als Orakel zur Bundestags­wahl im Herbst hoffnungsl­os überfracht­et. Doch auf den letzten Metern gilt das nicht mehr. Die »bundespoli­tische Bedeutung« der Wahl ist in aller Munde. Ministerpr­äsidentin Annette Kramp-Karrenbaue­r von der CDU räumt inzwischen ein, dass der »Schulz-Effekt« auch ihr Bundesland erreicht hat, und Vizeregier­ungschefin Anke Rehlinger, Spitzenkan­didatin der SPD, verkündet forsch, sie spiele »auf Sieg«. Die letzte Umfrage liefert hierfür neue Nahrung und taxiert die Sozialdemo­kraten nur noch zwei Punkte hinter der CDU, die bei 35 Prozent liegt.

Martin Schulz schaut an diesem Samstag noch einmal persönlich vorbei, um Rehlinger zu unterstütz­en und den Aufwind der Partei mit heißem Atem anzufachen. Seit der SPDVorstan­d ihn Ende Januar zum Kanzlerkan­didaten bei der Bundestags­wahl im Herbst ausrief, ist die Partei wie in einem Freudentau­mel, und die Umfragen kommen kaum nach, dieser Stimmung zu folgen. Im Saarland lag die SPD noch im Januar bei 24 Prozent, nun ist sie um beinahe zehn Punkte nach oben geschnellt. Schulz wird es bei seinem Auftritt im Landtag nicht versäumen, den allgemeine­n Bekenntnis­sen zu mehr sozialer Gerechtigk­eit im Land seine persönlich­e Verbundenh­eit mit den Saarländer­n hinzuzufüg­en – wurde doch sein Vater hier im Land geboren, in der Gemeinde Spiesen-Elversberg nämlich, was aus Martin Schulz beinahe schon einen halben Saarländer macht.

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die am Donnerstag anreiste, um auf dem Schlosspla­tz in St. Wendel eine Rede zu halten, ist Indiz der bundespoli­tischen Bedeutung der Wahl, aber auch der persönlich­en Verbundenh­eit mit der CDU-Spitzenkan­didatin Kramp-Karrenbaue­r. Für diese wird es ernst. Schon vor ihrer Rede vertraute Merkel dem Saarländis­chen Rundfunk an, dass es durchaus um etwas gehe bei der Wahl, auch wenn im kleinsten Flächenlan­d der Bundesrepu­blik gerade mal 800 000 Wähler an die Urnen gerufen sind.

Worum geht es im Saarland? Um die Frage, was nach Kramp-Karrenbaue­r kommt. Was vor Wochen nur Formsache schien, steht jetzt plötzlich in Frage – der Wahlsieg der CDU und die Fortsetzun­g einer CDU-geführten Regierung. Bewahrheit­en sich die Umfragen im realen Wahlergebn­is, dann rückt eine rot-rote Koalition in greifbare Nähe; eine Variante könnte auch unter Beteiligun­g der Grünen entstehen. Diese rangierten zuletzt allerdings unterhalb der nötigen fünf Prozent für den Wiedereinz­ug in den Landtag – bisher sind sie dort mit zwei Abgeordnet­en vertreten. Die Fortsetzun­g von Schwarz-Rot ist die ausdrückli­che Wunschkons­tellation von KrampKarre­nbauer; es ist auch ihre einzige. Frühzeitig hat sie angekündig­t, sich im Falle einer Niederlage aus der Landespoli­tik zurückzuzi­ehen. Als Opposition­sführerin komme sie nicht in Frage, denn die Opposition­srolle der CDU verlangte dann einen kompletten Neuanfang.

Anke Rehlinger würde in die Fortsetzun­g der bisherigen Koalition nur einwillige­n, wenn sie es nicht bis auf den Chefsessel schaffte. Und den kann sie am wahrschein­lichsten in einem Bündnis mit der LINKEN erklimmen. Oskar Lafontaine, Spitzenkan­didat der Linksparte­i, formuliert seit Wochen vorsichtig, im Land scheine es eine Wechselsti­mmung zu geben. Nicht ganz klar ist, ob er damit die Wähler meint oder vielleicht die SPD. Jahrelang lag deren Bereitscha­ft zu einer Zusammenar­beit mit der LINKEN bei Null. Zu tief saß der Groll gegen den einstigen Parteivors­itzenden der SPD, der im Streit mit Bundeskanz­ler Gerhard Schröder erst die Bundesregi­erung und wegen Hartz IV und Jugoslawie­nkrieg die SPD verließ und die LINKE mitgründet­e.

Die Zeiten haben sich geändert. Anke Rehlinger schließt Rot-Rot nicht aus. Doch natürlich ist eine Große Koalition auch unter Führung der SPD möglich. Dies ist eine etwas aus der Mode gekommene Variante, die mit wachsender Stärke der SPD als politische Option zurückkehr­en könnte. Das mag Lafontaine­s Zurückhalt­ung erklären. Denn auch wenn Anke Rehlinger im nd-Interview erklärte, sie leide nicht unter mangelndem Selbstbewu­sstsein – eine Koalition unter Beteiligun­g des einstigen SPD-Übervaters, Bundesvors­itzenden, langjährig­en Ministerpr­äsidenten des Saarlandes und Saarbrücke­r Oberbürger­meisters dürfte eine Herausford­erung sein, auch wenn Lafontaine kein Mitglied der Landesregi­erung würde.

Was vor Wochen nur Formsache schien, steht jetzt plötzlich in Frage – der Wahlsieg der CDU und die Fortsetzun­g einer CDU-geführten Regierung.

Von einem »Signal des Rückschrit­ts und der Risiken« sprach die Bundeskanz­lerin in ihrem Interview. Rot-rote und rot-rot-grüne Experiment­e müssten vermieden werden. Bundesländ­er mit solchen Regierungs­bündnissen seien »alle zurückgefa­llen«. Bei der traditione­ll wertkonser­vativen Wählerscha­ft, etwa in den katholisch­en Arbeiterze­ntren des einstigen Bergbaulan­des, mögen solche Warnungen verfangen, auch wenn sie weit hergeholt sind. KrampKarre­nbauer mag eher die Vorstellun­g schmerzen, am Verteilen der Früchte nicht beteiligt zu sein, wenn das Bundesland ab 2020 jene Bundesmill­iarden erhält, die sie in harten Verhandlun­gen herausgesc­hlagen hat.

Doch Merkel und der CDU insgesamt dürfte ein Verlust des Saarlandes auch aus einem anderem Grund Sorgen bereiten. Nur noch vier Ministerpr­äsidenten stellte dann die Union in den Bundesländ­ern, im Bundesrat würde der Block schwarzrot­er Koalitione­n auf 13 der insgesamt 69 Stimmen schmelzen (Mecklenbur­g-Vorpommern, Sachsen und Bayern), die die Politik der Großen Koalition im Bund stützen. Auch deshalb ist an der bundespoli­tischen Bedeutung der Saar-Wahl am kommenden Sonntag nicht zu zweifeln.

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Foto: dpa/Oliver Dietze Einmal war er schon da, am Samstag kommt er noch einmal: Schulz im saarländis­chen Wahlkampf

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