May startet den Brexit
Premierministerin betont Partnerschaft mit der EU / Britische Politiker reagieren verhalten
Als erstes Mitglied in der Geschichte der Europäischen Union hat Großbritannien offiziell den Austritt aus der Gemeinschaft erklärt. Es ist vollbracht. Was 17 Millionen ersehnt und 16 Millionen gefürchtet haben: der Brexit. Der Scheidungsbrief, am Dienstagabend von der britischen Premierministerin unterzeichnet, wurde am Mittwoch in Brüssel vom britischen Botschafter Tim Barrow an EU-Ratspräsident Donald Tusk überreicht.
Wenig später gab Theresa May im Unterhaus eine Erklärung ab. Sie sprach von einem historischen Augenblick und davon, dass es kein Zurück gebe. Sie versicherte, eine besondere Partnerschaft und ein weitreichendes Handelsabkommen anzustreben. Und: »Die Welt braucht unsere gemeinsamen liberaldemokratischen Wer- te. Wir akzeptieren die Folgen des Brexit, aber wollen Partner von Europa bleiben – damit die EU und wir selbst wohlhabend und sicher bleiben.« Sie fügte hinzu, das Bleiberecht für EU-Staatsbürger auf der Insel sowie für Briten in den EU-Staaten sicherstellen zu wollen. Diesmal fehlte die Drohung, kein Deal sei schlimmer als ein schlechter Deal. Premierministerin May trug Samthandschuhe. Tusk reagierte in seiner Pressekonferenz eher traurig als empört: Es gelte jetzt, Schaden von Europa abzuwenden.
Die innenpolitischen Reaktionen blieben verhalten. Labours Jeremy Corbyn erinnerte an die sechs Bedingungen, die sein Schattenminister Sir Keir Starmer vor zwei Tagen genannt hatte, darunter den Wunsch, außerhalb von Binnenmarkt und Zollunion genau die gleichen Vorteile zu genießen wie bisher. Andere Stellungnahmen fielen wie erwartet aus. Liberalenchef Tim Farron warnte die Brexiter, sie würden aus dem Binnenmarkt austreten, das Land ärmer machen und die Einwanderung nicht reduzieren können – also das Gegenteil des von ihnen Gewünschten erreichen. Die ehemalige Grünen-Vor- sitzende Natalie Bennett monierte, die Lebenschancen zukünftiger Generationen würden durch den Austritt verraten. Chris Leslie vom rechten Flügel der LabourFraktion unterstrich, dass das Schicksal des Landes nicht mehr in Mays Händen liege, sondern bei den jetzt brüskierten Partnern. Diese müssten im eigenen Inte- resse sicherstellen, dass es Britannien außerhalb der EU schlechter gehe als drin, um andere unsichere Kantonisten vom Austritt abzuschrecken.
Mit der Brexit-Erklärung droht ein noch länger als die offizielle Zweijahresfrist dauernder harter Kampf. Nicht nur gegen die bisherigen Partner, sondern auch mit Vertretern der einzelnen Nationen des nicht mehr Vereinigten Königreiches. Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon nimmt das klare Remain-Votum ihrer Landsleute zum Anlass, von der Londoner Regierung trotz des gescheiterten ersten Versuchs 2014 eine zweite Unabhängigkeitsabstimmung zu verlangen. Am Dienstagabend stimmte das Parlament diesem Plan zu. Dass Sturgeons Nationalisten sich durch neue, von Brüssel abzugebende Kompetenzen über Agrarsubventionen und Fischereiquoten abspeisen lassen, gilt als ausgeschlossen.
»Die Welt braucht unsere gemeinsamen liberaldemokratischen Werte.« Theresa May