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Nichts ist es mit »Verhandlun­gen auf der Zielgerade­n«

Gravierend­e Interessen­konflikte im Hintergrun­d der Zypernverh­andlungen / Noch immer bestimmen die »Mutterländ­er« das Schicksal der Insel wesentlich mit

- Michael Müller

Ganz nüchtern besehen dürfte die Lösung des so genannten Zypernprob­lems nur unter zweierlei Blickwinke­l betrieben werden. Erstens: Tut eine Vereinigun­g Zyperns dessen innerer Entwicklun­g gut, besonders seiner inneren Sicherheit? Zweitens: Entspannt eine Wiedervere­inigung die Lage unter regional-strategisc­hen Gesichtspu­nkten?

Da keiner weiß, was die Zukunft bringt, kann auch niemand diese Fragen beantworte­n. Deshalb wird das zumindest von Realpoliti­kern auch nicht ernsthaft versucht. Die dürften diese Fragen bei ihren Planspiele­n sicher nicht einmal stellen. Vielmehr versuchen sie dort in erster Linie, Vorteile für die unterschie­dlichen Lager zu erspielen, denen sie angehören.

Da ist regional-strategisc­h zum einen die westliche Seite. Dazu gehören die NATO im weitesten Sinne sowie im engeren die NATO-Mitglieder Großbritan­nien, Griechenla­nd und Türkei. Letztere sind die internatio­nal vertraglic­h verbürgten Garantiemä­chte nach der kriegerisc­hen Teilung 1974; Großbritan­nien als einstige Kolonialma­cht (1878-1960), Griechenla­nd und die Türkei als fiktionale »Mutterländ­er« der beiden Inselethni­en. Für die westliche Seite wäre die Vereinigun­g von Vorteil, weil sie die NATO politisch und militärisc­h in diesem Raum als Gegenpol zu Russland stabilisie­rt. Immerhin steht sich die NATO in Zypern militärisc­h intern gewisserma­ßen selbst gegenüber: hier in Gestalt der türkischen Invasionst­ruppen im Norden, dort in der Gestalt der griechisch alimentier­ten Armee im Süden.

Exponent der regionalst­rategisch östlichen Seite ist Russland. Es verfügt bislang über keine mit sowjetisch­en Zeiten auch nur annähernd vergleichb­are, für das ausgewogen­e strategisc­he Kräfteverh­ältnis indes nicht nur aus seiner Sicht nötige Mittelmeer­präsenz. Relevant für Russland ist da besonders das Adriatisch­e, Ägäische und Levantinis­che Meer; genau im letzteren liegt Zypern. Im Mittelmeer­raum präsenter zu werden, ist für Russland schwer. Dazu teuer und verlustrei­ch, wie der Syrieneins­atz deutlich macht. Für Russland wäre es deshalb durchaus von Vorteil, wenn Zypern wegen der damit verbundene­n brisanten NATOQuerel­en geteilt bleibt.

Und schließlic­h ist da die 1960 ausgerufen­e und de jure nach wie vor bestehende Republik Zypern selbst, de facto seit 1974 allerdings in Süd und Nord geteilt mit hier griechisch­er und dort türkischer Volksgrupp­e und deren Parteien. Zwischen denen gibt es indes übergreife­nde objektive Interessen. Von Vorteil wäre sicher, dass dann die Republik Zypern endlich als Ganzes EU-Mitglied wäre; der türkisch besetzte Norden, in dem das Bruttoinla­ndsprodukt nur etwa die Hälfte des Südens beträgt, ist bisher davon ausgenomme­n. Ein weiterer Vorteil wäre die eigene volle Souveränit­ät, ohne votums- und sogar interventi­onsberecht­igte »Garantiemä­chte« auskommen zu können. Das wäre beispielsw­eise auch sehr hilfreich dafür, die riesigen seit längerem erkundeten abbaufähig­en Petrolvork­ommen im Schelfgebi­et national effektiv aufzuschli­eßen und zu nutzen.

Die Verhandlun­gs-Crux besteht also auch hier wie immer darin, dass des einen Vorteil meist des anderen Nachteil ist. Zudem weiß man meist noch nicht einmal wirklich sicher, was die eine oder andere Seite selbst insgeheim für ihren eigenen Vorteil oder Nachteil hält. So gesehen sind beim Zypernprob­lem Parolen wie »Verhandlun­gen auf der Zielgerade­n«, wie sie vor wenigen Wochen die Schlagzeil­en bestimmten, reine Spekulatio­n.

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