Da waren es nur noch zwei
Eigentlich ist über die Piratenpartei schon alles gesagt worden, möchte man meinen. Wie sie den Politikbetrieb ein wenig verändert hat, wie sie die anderen Parteien gezwungen hat, sich des Internets anzunehmen. Und natürlich wie sie es nicht geschafft hat, sich als Partei zu einigen, einen inhaltlichen Konsens zu schaffen, eine gemeinsame politische Vision zu formulieren. Dass im Berliner Abgeordnetenhaus nun zwei ehemalige Pirat_innen jeweils für die LINKE und die FDP im Parlament sitzen, zeigt sehr deutlich, wie weit das politische Spektrum innerhalb der Piratenpartei zu ihren erfolgreichsten Zeiten reichte. Damals, als mit wehenden Farben, bunten Haaren und Schreibmaschinen die Landesparlamente von Berlin, dem Saarland, Schleswig-Holstein und NRW erobert wurden. Ein krasser Hype, ein Funken Hoffnung, dem eingefahrenen Parlamentsbetrieb etwas entgegensetzen zu können – und zwar mit einer neuen Partei. Die Piraten waren also auch der Versuch zu zeigen, dass eine neue Partei kein Quatsch sein muss. Und dass eine neue Partei nicht rechts sein muss, um Erfolg zu haben. Was bisher der Fall gewesen war seit den ersten Erfolgen der Grünen.
Einige Jahre später sind die Piraten aus zwei von vier Landtagen ausgeschieden und werden auch bei den anstehenden Landtagswahlen mit etwa einem Prozent abschneiden. Das stört die stets engagierte Partei kaum, wie eh und je tritt sie voller Selbstbewusstsein auf, feiert sich als internationale Erfolgspartei und streitet über den »BuVo« – den Bundesvorstand – und was dieser alles falsch macht. Natürlich öffentlich auf Twitter. Die Muster und Argumente sind seit Jahren die gleichen.
Aber was bleibt, wenn auch die letzte Landtagsfraktion der Piraten aus dem Parlament fliegt und die Partei lediglich noch eine kommunale Bedeutung haben wird?
Als die Piraten antraten, ganz bescheiden, die Welt zu verändern, war der Parlamentsbetrieb für eine komplette Generation technikaffiner Menschen eine Blackbox, Mechanismen und Abläufe allerhöchstens theoretisch bekannt. Der Frust über verkrustete Parteistrukturen war mindestens so groß und das Interes- se am Mitarbeiten in einer der etablierten Parteien sehr gering. Mit dem Formieren der Piratenpartei und dem Einziehen in die Landtage wurde vieles von dem, was in Parlamenten stattfindet, sichtbarer. Auch, weil die jeweiligen Piraten jeden Schritt ihres Lernprozesses – und war er noch so schmerzhaft – öffentlich nachvollziehbar diskutierten. Seien es nun die Fraktionssitzungen, die teilweise öffentlich waren, oder das inhaltliche Ringen in den Ausschüssen, die Auseinandersetzungen mit Verwaltung – die Piraten erfuhren im Schnelldurchlauf, dass parlamentarische Demokratie anstrengend und zäh ist und dass vieles der eingeüb- ten Choreographie des Demokratieapparats seinen Sinn und seine Berechtigung hat. Wo vollmundig radikale Veränderungen gefordert wurden, zeigte sich schnell, dass repräsentative Demokratie komplizierter ist, als von vielen Piraten zunächst vermutet. Die Piraten haben da ein wenig Klarheit geschaffen – auch wenn Klarheit nicht unbedingt Verbesserung bedeutet.
Sicher gab es durch die Piraten ein paar Verbesserungen in den Geschäftsordnungen der Parlamente, hier und da wurden sehr sinnvolle inhaltliche Ziele erreicht, wurde dazu beigetragen, dass einiges ein bisschen besser wurde. Was einzelne Akteure eben in den Mühlen demokratischer Bürokratie so erreichen können. Auch haben die Piraten einen Moment der Selbstwirksamkeit und des Selbermachens hervorgebracht, in dessen Folge eine komplette Riege politisch versierter und fähiger Politiker_innen entstanden ist. Gleichzeitig wurde aber eine Schneise geschlagen, durch die die AfD zum Erfolg kommen konnte.
Die AfD zeigt uns nun, dass nicht nur eine Generation technikaffiner Menschen vom Parlamentsbetrieb abgehangen war, sondern dass für weite Teile der Bevölkerung die Demokratie und ihre Abläufe keinen Sinn zu ergeben scheinen. Waren die Piraten noch die nerdig-nervige Nachfrag- und Besserwisserpartei, die sich immerhin ehrlich um Verbesserung bemühen wollte, ist die AfD die aggressiv-bösartige Version, die jedes demokratische und parlamentarische Hindernis als Verstoß gegen die Menschenrechte skandalisiert. Ob die AfD es so in den Bundestag schafft, bleibt spannend – bisher hat das noch keine neue Partei seit den Grünen hingekriegt. Auch eine rechte nicht.