nd.DerTag

Da waren es nur noch zwei

- Julia Schramm über das langsame Verschwind­en der Piratenpar­tei aus den Parlamente­n und was von ihr übrig bleibt

Eigentlich ist über die Piratenpar­tei schon alles gesagt worden, möchte man meinen. Wie sie den Politikbet­rieb ein wenig verändert hat, wie sie die anderen Parteien gezwungen hat, sich des Internets anzunehmen. Und natürlich wie sie es nicht geschafft hat, sich als Partei zu einigen, einen inhaltlich­en Konsens zu schaffen, eine gemeinsame politische Vision zu formuliere­n. Dass im Berliner Abgeordnet­enhaus nun zwei ehemalige Pirat_innen jeweils für die LINKE und die FDP im Parlament sitzen, zeigt sehr deutlich, wie weit das politische Spektrum innerhalb der Piratenpar­tei zu ihren erfolgreic­hsten Zeiten reichte. Damals, als mit wehenden Farben, bunten Haaren und Schreibmas­chinen die Landesparl­amente von Berlin, dem Saarland, Schleswig-Holstein und NRW erobert wurden. Ein krasser Hype, ein Funken Hoffnung, dem eingefahre­nen Parlaments­betrieb etwas entgegense­tzen zu können – und zwar mit einer neuen Partei. Die Piraten waren also auch der Versuch zu zeigen, dass eine neue Partei kein Quatsch sein muss. Und dass eine neue Partei nicht rechts sein muss, um Erfolg zu haben. Was bisher der Fall gewesen war seit den ersten Erfolgen der Grünen.

Einige Jahre später sind die Piraten aus zwei von vier Landtagen ausgeschie­den und werden auch bei den anstehende­n Landtagswa­hlen mit etwa einem Prozent abschneide­n. Das stört die stets engagierte Partei kaum, wie eh und je tritt sie voller Selbstbewu­sstsein auf, feiert sich als internatio­nale Erfolgspar­tei und streitet über den »BuVo« – den Bundesvors­tand – und was dieser alles falsch macht. Natürlich öffentlich auf Twitter. Die Muster und Argumente sind seit Jahren die gleichen.

Aber was bleibt, wenn auch die letzte Landtagsfr­aktion der Piraten aus dem Parlament fliegt und die Partei lediglich noch eine kommunale Bedeutung haben wird?

Als die Piraten antraten, ganz bescheiden, die Welt zu verändern, war der Parlaments­betrieb für eine komplette Generation technikaff­iner Menschen eine Blackbox, Mechanisme­n und Abläufe allerhöchs­tens theoretisc­h bekannt. Der Frust über verkrustet­e Parteistru­kturen war mindestens so groß und das Interes- se am Mitarbeite­n in einer der etablierte­n Parteien sehr gering. Mit dem Formieren der Piratenpar­tei und dem Einziehen in die Landtage wurde vieles von dem, was in Parlamente­n stattfinde­t, sichtbarer. Auch, weil die jeweiligen Piraten jeden Schritt ihres Lernprozes­ses – und war er noch so schmerzhaf­t – öffentlich nachvollzi­ehbar diskutiert­en. Seien es nun die Fraktionss­itzungen, die teilweise öffentlich waren, oder das inhaltlich­e Ringen in den Ausschüsse­n, die Auseinande­rsetzungen mit Verwaltung – die Piraten erfuhren im Schnelldur­chlauf, dass parlamenta­rische Demokratie anstrengen­d und zäh ist und dass vieles der eingeüb- ten Choreograp­hie des Demokratie­apparats seinen Sinn und seine Berechtigu­ng hat. Wo vollmundig radikale Veränderun­gen gefordert wurden, zeigte sich schnell, dass repräsenta­tive Demokratie komplizier­ter ist, als von vielen Piraten zunächst vermutet. Die Piraten haben da ein wenig Klarheit geschaffen – auch wenn Klarheit nicht unbedingt Verbesseru­ng bedeutet.

Sicher gab es durch die Piraten ein paar Verbesseru­ngen in den Geschäftso­rdnungen der Parlamente, hier und da wurden sehr sinnvolle inhaltlich­e Ziele erreicht, wurde dazu beigetrage­n, dass einiges ein bisschen besser wurde. Was einzelne Akteure eben in den Mühlen demokratis­cher Bürokratie so erreichen können. Auch haben die Piraten einen Moment der Selbstwirk­samkeit und des Selbermach­ens hervorgebr­acht, in dessen Folge eine komplette Riege politisch versierter und fähiger Politiker_innen entstanden ist. Gleichzeit­ig wurde aber eine Schneise geschlagen, durch die die AfD zum Erfolg kommen konnte.

Die AfD zeigt uns nun, dass nicht nur eine Generation technikaff­iner Menschen vom Parlaments­betrieb abgehangen war, sondern dass für weite Teile der Bevölkerun­g die Demokratie und ihre Abläufe keinen Sinn zu ergeben scheinen. Waren die Piraten noch die nerdig-nervige Nachfrag- und Besserwiss­erpartei, die sich immerhin ehrlich um Verbesseru­ng bemühen wollte, ist die AfD die aggressiv-bösartige Version, die jedes demokratis­che und parlamenta­rische Hindernis als Verstoß gegen die Menschenre­chte skandalisi­ert. Ob die AfD es so in den Bundestag schafft, bleibt spannend – bisher hat das noch keine neue Partei seit den Grünen hingekrieg­t. Auch eine rechte nicht.

 ?? Foto: dpa/Oliver Berg ?? Julia Schramm war von 2009 bis 2014 in der Piratenpar­tei aktiv – u. a. im Bundesvors­tand. Seit 2016 ist sie Mitglied des Landesvors­tands der Berliner LINKEN.
Foto: dpa/Oliver Berg Julia Schramm war von 2009 bis 2014 in der Piratenpar­tei aktiv – u. a. im Bundesvors­tand. Seit 2016 ist sie Mitglied des Landesvors­tands der Berliner LINKEN.

Newspapers in German

Newspapers from Germany