Ankaras paranoide Spione
Auf der Liste des türkischen Geheimdienstes MIT finden sich die Namen von zwei deutschen Abgeordneten
Der MIT hält die Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering (SPD) offenbar für eine Unterstützerin der Gülen-Bewegung. Diese Paranoia ist wohl kalkuliert, schafft sie doch ein Klima der Angst. Michelle Müntefering gehört sicher nicht zu bekanntesten Gesichtern der deutschen Politik. Trotzdem geriet die SPD-Bundestagsabgeordnete ins Visier des türkischen Geheimdienstes MIT. Auf der Liste, die der MIT dem Bundesnachrichtendienst (BND) übergeben habe, stehe »der Name eines Mitglieds dieses Hauses« sagte Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU) am Mittwoch in der Fragestunde des Bundestags. Nach Recherchen von NDR, WDR und »Süddeutscher Zeitung« handelt es sich dabei um Michelle Müntefering. Die Ehefrau des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe. Zusammen mit einer Berliner CDU-Abgeordneten werde sie in der Tabelle 10 des MITDossiers unter der Rubrik »Machtzentren und Nichtregierungsorganisationen« geführt, mit denen die Gülen-Bewegung angeblich »gute Beziehungen« aufgebaut habe, berichtete die »Süddeutsche Zeitung« am Mittwoch. Aus Sicht Ankaras soll Gülen hinter dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 stecken. Die deutschen Dienste zweifeln an dieser These.
Neben Müntefering und der CDUAbgeordneten finden sich rund 300 Namen auf der Liste, die der MIT-Chef Hakan Fikan im Februar an BND-Chef Bruno Kahl übergeben hatte, weil man auf die Amtshilfe der Deutschen hoffte. Das Vorgehen lässt vermuten, dass der türkische Geheimdienst nicht zum ersten Mal solche Dossiers an die deutschen Kollegen weitergab. Nur war früher auf die Diskretion des BND Verlass, schließlich ging es um vermeintliche PKK-Aktivisten, Linksra- dikale und Islamisten. Die SpionageAffäre zeigt erneut, dass der MIT auch in Deutschland über ein effektives Spionagenetz verfügt.
Die Empörung ist groß. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kritisierte am Mittwoch im ZDF-»Morgenmagazin« auch die deutschen Dienste: »Ich frage mich natürlich auch, was hat unsere Spionageabwehr bisher gemacht?« Sie müsse nicht nur den Staat, sondern auch die Bürger schützen. »Da ist wahrscheinlich einiges versäumt worden.« Die deutschen Nachrichtendienste hätten aber auch etwas richtig gemacht, als sie die betroffenen Bürger gewarnt und nicht mit der Türkei kooperiert hätten, so Oppermann.
Dabei ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Schlapphüte des NATO-Partners Türkei auch in der Bundesrepublik aktiv sind. So flog der angebliche Journalist Mehmet Fatih Sayan im Dezember 2016 auf. Der türkische Spion war vor mehr als zehn Jahren nach Deutschland entsendet worden, um hier Kurden auszuspionieren, und soll auch in Anschlagspläne gegen zwei kurdische Aktivisten verwickelt gewesen sein, wie »Bild« enthüllte.
Fakt ist: Wer auf den Schwarzen Listen der türkischen Regierung landet, hat es schwer. So haben die türkischen Behörden in den vergangenen Monaten mehreren Deutschen mit türkischen Wurzeln die Einreise verweigert. »Uns sind einige solcher Fäl- le bekannt«, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, am Mittwoch in Berlin. »Wir haben das Thema auf dem Schirm und kümmern uns darum«, fügte er hinzu. Der türkeistämmige Abgeordnete Öclan Mutlu (Grüne) berichtete zudem, dass man vermeintlichen Gülen-Anhängern in türkischen Konsulaten die Pässe abgenommen habe.
Es wird zudem immer deutlicher, dass der türkische Präsident Erdogan im Vorfeld des Referendums, das ihm unbegrenzte Macht verschaffen soll, die Paranoia kräftig schürt. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, betonte am Mittwoch: Unabhängig von der MIT-Liste hätten viele Menschen türkischer Herkunft im Moment Angst, in die Türkei zu reisen, »weil sie vielleicht etwas Kritisches auf Facebook gepostet haben oder Broschüren verteilt haben«. Er persönlich kenne auch »einige Leute, die Reisen in die Türkei abgesagt haben, aus Angst und wegen des Ausnahmezustandes, der es leicht macht, jemand festzunehmen«. Er könne sich zudem vorstellen, so Sofuoglu, »dass hier auch Leute bespitzelt werden, die nicht zur Gülen-Bewegung gehören«.
Zumindest verbal stellt sich die Bundesregierung nun vor die Bespitzelten: »Spionage ist strafbar, dem werden wir nicht tatenlos zusehen«, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Mittwoch in Berlin.