Als Raucherhusten unterschätzt
Die chronisch-obstruktive Lungenkrankheit (COPD) wird oft zu spät erkannt und behandelt
Häufiges und mühsames Husten, starker Auswurf am Morgen, Atemnot bei den kürzesten Wegen und geringsten körperlichen Anstrengungen, geräuschvolles Ausatmen mit Pfeif- und Brummtönen, ein Engegefühl in der Brust. Dann im fortgeschrittenen Stadium Panikattacken wegen der Atemnot, aber auch starker Gewichtsverlust. Das ist das Bild der chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit (englisch: chronic obstructive pulmonary disease), abgekürzt COPD. 2010 waren daran 6,8 Millionen Menschen in Deutschland erkrankt, 2030 werden es 7,9 Millionen sein, prognostizieren Lungenärzte. Schon 2020 könnte COPD nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO die dritthäufigste Todesursache weltweit sein.
Dauerhaft und zerstörerisch greift die Krankheit die Lungen an. Auslöser sind wahrscheinlich regelmäßig inhalierte Schadstoffe, am häufigsten Tabakrauch, aber auch Nitrogase oder Feinstaub. Atemwege und die Wände der Lungenbläschen reagieren mit einer Entzündung. Genetisch bedingt ist diese Reaktion besonders heftig. Tritt sie vor allem in den Atemwegen auf, wird sie chronisch obstruktive Bronchitis genannt.
Obstruktiv bedeutet soviel wie verstopfend oder (einen Zugang) verlegend. Noch gravierender sind die Folgen der Entzündung in den Lungenbläschen – deren Wände beginnen sich quasi selbst zu »verdauen«, das Lungengewebe geht unwiederbringlich verloren. Das Ergebnis ist ein Lungenemphysem. Beide Entzündungsvarianten sind Erscheinungsformen der COPD. Bei 90 Prozent der Betroffenen tritt die Krankheit als Emphysem auf.
Während sich manche Raucher noch damit trösten, dass Lungenkrebs relativ häufig auch bei Nichtrauchern vorkommt, ist es bei COPD eindeutiger. Nach Schätzungen haben 80 bis 90 Prozent der Betroffenen geraucht oder tun das auch weiterhin. Von ihnen reden sich etliche ihre Krankheit als Raucherhusten schön oder erklären die Atemnot mit ihrem Alter und fehlendem Training. Diagnostiziert wird das Leiden am häufigsten bei Patienten, die älter als 40 Jahre sind. In der Platino-Studie, die vor etwa zehn Jahren in Lateinamerika durchgeführt wurde, lag die höchste Erkrankungshäufigkeit bei Menschen jenseits des 60., nach anderen Quellen jenseits des 70. Lebensjahres.
Tritt COPD vor dem 40. Lebensjahr auf, handelt es sich um Auswirkungen eines speziellen Proteinmangels. Das Eiweiß Alpha-1-Antitrypsin schützt Körpergewebe vor Enzymen, die an Entzündungen beteiligt sind. Das Fehlen kann, wie in diesem Fall in der Lunge, schwere Komplikationen zur Folge haben. Beteiligt ist ein solcher Mangel auch an der Entstehung von Hepatitis bei Kindern und Neugeborenen. Fehlendes Alpha-1Antitrypsin tritt in Europa bei 0,01 bis 0,02 Prozent der Bevölkerung auf. In der Bundesrepublik lebten im Jahr 2006 etwa 12 000 Betroffene, davon waren 4000 auch an COPD erkrankt.
Dass dem Lungenleiden bisher zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, hängt mit vielen Faktoren zusammen. Einerseits lässt sich ein Großteil der Patienten nicht behandeln, andererseits wurde COPD auch lange von Hausärzten unterschätzt oder nicht erkannt. Das Abhusten von Schleim hat einen bestimmten Ekelfaktor für Nichtbetroffene, eine Verwechselungsgefahr mit Asthma kommt hinzu. Außerdem ist auch der Auslöser Tabakrauch häufig mit einem schlechten sozioökonomischen Status verbunden – Tabakprä- vention erreicht eher Bessergestellte und -gebildete. Hinzu kommen bei denen, die viel und über lange Jahre rauchen, weitere ungünstige Faktoren. Aber ob eine ungesunde Ernährung sowie häufige und unzureichend behandelte Infekte auch einen Einfluss auf die Lungenkrankheit haben, ist bis jetzt unklar, so internationale Experten, die zur besseren Behandlung der Krankheit die Plattform GoldCOPD gründeten.
Wie schwierig eine nachhaltige Therapie der Patienten ist, zeigen Zahlen zur Tabakentwöhnung. Selbst von Studienteilnehmern, die ein intensives 12-wöchiges Entwöhnungsprogramm absolvierten und mit Medikamenten unterstützt wurden, blieb im Folgejahr nur ein Drittel abstinent. Nach fünf Jahren schaffte es noch ein Fünftel, die Kippen zu meiden. Hier sehen führende Lungenmediziner wie Martin Hetzel auch ein grundlegendes Problem: »Unterversorgung existiert immer noch in der Tabakprävention, durch zu wenig Information besonders in Schulen – wenngleich hier auch große Anstrengungen unternommen werden.« Hetzel ist Chefarzt einer Klinik in Stuttgart und war Präsident des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, der in der letzten Woche in Stuttgart stattfand. Er hält die Prävention in diesem Bereich für noch wichtiger als die Entwöhnung. Aber bei der strukturierten Entwöhnung fehle es ebenso an Angeboten.
Neben dem Rauchstopp werden den Betroffenen Bewegungsprogramme empfohlen. Aber aus Angst vor Atemnot meiden sie häufig körperliche Anstrengungen. Neben dem speziellen Lungensport, der für Patienten aller Schweregrade geeignet ist, können Menschen mit leichter bis mittelschwerer COPD auch von vielen Ausdauersportarten profitieren, darunter Wandern, Nordic Walking, Radfahren, Tanzen – bis hin zu leichtem Joggen. Gut aufwärmen, nicht überanstrengen und Hitze vermeiden sind dabei grundlegende Verhaltensregeln.
Medikamente hingegen können die Krankheit nur lindern, im Bestfall stoppen, aber nicht heilen. Verschrieben werden Mittel, die Atemwege erweitern, in fortgeschrittenen Stadien auch Cortison zur Entzündungshemmung. Letzteres kann inhaliert oder kurzzeitig höher dosiert in Tablettenform eingenommen werden. Schleimlösende Präparate können das Abhusten erleichtern. Pneumologen wie Hetzel kritisieren bei der Pharmakotherapie eine Überversorgung. »Die Auswahl einer inzwischen verwirrenden Vielzahl an inhalativen Präparaten, häufig Kombinationspräparaten, ist sehr oder sogar zu groß. Die Pharmakotherapie der COPD beim Lungenemphysemphänotyp ist völlig wirkungslos. Weniger Medikamente sind in der COPD-Therapie nicht immer weniger Lebensqualität.«
Auf eine Lungentransplantation als allerletzte Therapiechance können nur sehr wenige Erkrankte hoffen. Es gibt kaum Spenderorgane. Viele Erkrankte sind schon zu schwach für einen so schweren Eingriff. Jährlich wird hierzulande nur etwa 100 COPD-Patienten eine fremde Lunge transplantatiert, insgesamt gibt es etwa 350 Transplantationen dieses Organs.
Am meisten gefürchtet sind von den COPD-Kranken Exazerbationen. Hierbei verschlechtern sich mehrere Grundsymptome gleichzeitig, und es kommt häufig zur Aufnahme in stationäre Behandlung. Lungenärzte wie Hetzel empfehlen, dass es nach einem solchen Klinikaufenthalt auch immer eine Reha geben sollte. Diese trägt dazu bei, dass die Patienten leichter mit ihrer nicht heilbaren Krankheit leben können. Zum Programm gehören Angebote zur Tabakentwöhnung, Bewegungstherapien, Atemgymnastik, Inhalationsschulungen sowie Ernährungsberatung und Verhaltenstherapie, aber auch Informationen zum Verständnis der Krankheit. »Schon das richtige Verhalten bei COPD-bedingten Atemnotanfällen kann zur Vermeidung von Arztbesuchen und Krankenhauseinweisungen führen«, unterstreicht Martin Hetzel.
6,8 Millionen Menschen in Deutschland sind an COPD erkrankt. Nach WHO-Schätzungen könnte das Leiden 2020 die dritthäufigste Todesursache weltweit sein.