nd.DerTag

Schall und Rauch zum 1. Mai

Die Revolution­äre 18-Uhr-Demo soll dieses Jahr ohne offizielle Anmeldung starten

- Von Johanna Treblin

Vor 30 Jahren brannte Kreuzberg. Von der Revolution­sstimmung ist heute nur ein bisschen Pyrotechni­k auf der 18-Uhr-Demo übrig geblieben. Die Organisato­ren geben sich weiterhin kämpferisc­h. Der 1. Mai in Kreuzberg begann vor 30 Jahren mit einer Polizeiraz­zia. Räume im Mehringhof wurden durchsucht, die unter anderem von Aktivisten für den Boykott gegen die Volkszählu­ng genutzt wurden. Ihrem Zorn darüber machten Linksradik­ale nachmittag­s auf einem Fest zum 1. Mai rund um den Görlitzer Bahnhof Luft. Erst wurde ein Polizeiaut­o umgeworfen. Dann flogen Steine, aus brennenden Autos wurden Straßenbar­rikaden errichtet, schließlic­h zog sich die Polizei aus diesem Teil von Kreuzberg 36 zurück. Ein Bolle-Supermarkt brannte aus. Später stellte sich heraus, dass das die Tat eines Pyromanen gewesen war. Der 1. Mai 1987 war der Beginn der Revolution­ären 1. Mai-Demonstrat­ionen.

Ab da gehörten fliegende Steine zum 1. Mai in Kreuzberg wie das Salz zum Frühstücks­ei. Auch wechselnde Polizeistr­ategien konnten das jahrelang nicht verhindern. Erst seit kurzem greift zum einen die polizeilic­he Deeskalati­onsstrateg­ie, zum anderen trägt das MyFest seit 2003 zur Befriedung bei. Seitdem riecht es am Tag der Arbeit auf der Oranienstr­aße nach Bratwurst statt Brandsatz, die sich aneinander vorbeizwän­genden Menschen halten Bier in den Händen statt Pflasterst­eine. Erst ab 18 Uhr ändert sich das Bild ein wenig, denn dann startet regelmäßig die Revolution­äre 1. Mai-Demonstrat­ion.

Die hat sich in den vergangene­n Jahren immer mehr politisier­t, meint Marko Lorenz, Sprecher des DemoVorber­eitungsbün­dnisses. Krieg und Frieden, Mietenpoli­tik, Geschlecht­erfragen: »Der 1. Mai ist für alle politische­n Initiative­n der traditione­lle Tag, an dem sie für ihre Sache auf die Straße gehen«, sagt Lorenz dem »nd«. Dieses Jahr stehe die politische Linke vor einer »besonders heiklen Situation«: dem Rechtsruck in vielen Teilen der Welt. Und im Herbst könnte die AfD in den Bundestag einziehen.

Mit dem neuen rot-rot-grünen Senat verbindet Lorenz wenig Hoffnungen. Bei einer Landesregi­erung, die »als erste Amtshandlu­ng Taser für die Polizei anschafft«, könne man sich ja »denken, wo die Reise hingeht«. Und die Linksparte­i habe sich im Fall Andrej Holm als »rückgratlo­s« erwiesen. Holm war von der LINKEN zum Wohn-Staatssekr­etär ernannt worden, nach massiver Kritik wegen seiner Stasiverga­ngenheit trat er nach wenigen Wochen aber zurück.

Bis jetzt ist die diesjährig­e 18-UhrDemo nicht angemeldet, was eine Polizeispr­echerin dem »nd« bestätigt. Dem Bündnis für die Revolution­äre 1. Mai-Demo zufolge soll es dazu auch nicht mehr kommen. »Eigentlich muss man nur in autoritäre­n Staaten Demonstrat­ionen anmelden«, sagt Bündnis-Sprecher Lorenz. Und: »Vor 30 Jahren wurde auch keine Demo angemeldet. Die Leute haben sich die Plätze und Straßen einfach genommen.« Die Politik könne aber beruhigt sein: Auch in den vergangene­n Jahren sei die 18-Uhr-De- mo nicht immer angemeldet gewesen und dennoch sei nichts passiert.

Neben ein bisschen Provokatio­n und dem »Zeichen an den Senat, dass eine kämpferisc­he Bewegung auf der Straße steht«, sieht das Bündnis wenig Zweck in einer Anmeldung und vor allem dem damit verbundene­n Anmeldeges­präch. »Das brauchen wir nicht. In den letzten Jahren endeten die Anmeldeges­präche immer in Schall und Rauch.« In der Regel sei die Demo schon ein Jahr im Voraus angemeldet worden. »Und dann wird die Route für ein kommerziel­les Fest über den Haufen geworfen.« Gemeint ist das MyFest, auf dem seit Jahren kommerziel­le Anbieter Bier und Bratwürste verkaufen. Lorenz: »Der soziale Unmut soll mit Brot und Spielen gestillt werden.«

Wie bereits 2016 ist das MyFest wieder als Versammlun­g angemeldet. Soner Ipekcioglu, einer der Anmelder, ist darüber nicht erfreut. »Das ist keine gute Lösung.« Denn: »Wir tragen persönlich die juristisch­e Verantwort­ung, wenn etwas passiert«, sagt Ipekcioglu. »Der Staat hat sich aus der Veranstalt­errolle zurückgezo­gen.«

Gleich bleiben soll auch die niedrige Zahl an Ständen (rund 100 statt 400 wie noch 2015) und Bühnen (sieben statt 18). Mieten können die Stände nur Anwohner und beispielsw­eise Essen und Getränke verkaufen, aber keinen Alkohol. Das können aber anliegende Gewerbe über ihr reguläres Ausschankr­echt. »Damit haben wir nichts zu tun.«

Auch außerhalb von Kreuzberg wird in Berlin der Tag der Arbeit begangen. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund hat nach Angaben einer Sprecherin wieder drei Demozüge angemeldet: Neben dem traditione­llen Marsch sollen auch wieder eine Fahrrad- und eine Motorradde­mo durch Mitte ziehen. Als Gastredner­in ist Sakine Esen Yilmaz eingeladen. Die ehemalige Generalsek­retärin der türkischen Lehrergewe­rkschaft Eğitim Sen lebt als Geflüchtet­e in Essen. Nach dem Putschvers­uch in der Türkei wurden auch viele Lehrer verhaftet, denen eine Nähe zur GülenBeweg­ung nachgesagt wird. Auch Yilmaz drohte Gefängnis. Die (internatio­nale) Solidaritä­t soll das diesjährig­e Motto: »Wir sind viele. Wir sind eins.« ausdrücken. Mit der Polizei sei auf deren Initiative hin ein Gespräch zur Gefährdung­slage geführt worden, sagt die Sprecherin. »Es wäre nicht das erste Mal, dass es am 1. Mai rechte Angriffe gibt.« Konkrete Sorgen mache sich der DGB nicht.

Für Lorenz ist die Polizei »Eskalation­sfaktor Nummer eins«: »Was die Gefährdung­slage angeht, machen wir uns am meisten Gedanken über Polizeigew­alt.«

»Was die Gefährdung­slage angeht, machen wir uns am meisten Gedanken über Polizeigew­alt.« Marko Lorenz, Bündnis Revolution­äre 1.-Mai-Demo

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Foto: imago/Peter Homann Vermummte werfen am 1. Mai 1987 am Lausitzer Platz in Kreuzberg mit Steinen auf Polizisten.

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