nd.DerTag

Dirk K. gegen Hartz IV

Erwerbslos­er Elektroins­tallateur will sich beim Internatio­nalen Gerichtsho­f beschweren

- Von Andreas Fritsche

Vordergrün­dig ging es am Mittwoch im Amtsgerich­t Oranienbur­g um eine angeblich zu spät beim Jobcenter eingereich­te Nebenkoste­nabrechnun­g. Der Hintergrun­d ist ein Alleingang gegen Hartz IV. In Saal 2 im modernen Anbau des Amtsgerich­ts Oranienbur­g geht es am Mittwochmo­rgen Schlag auf Schlag. Zunächst wird ein Autofahrer abgeurteil­t, der mit einem Dienstwage­n raste. Der auf dem Blitzerfot­o klar zu erkennende Mann, das sei er nicht, beteuert der Beschuldig­te. Doch dann müsste er einen Zwillingsb­ruder oder einen anderen Doppelgäng­er haben. Die Richterin bestätigt die verhängten 80 Euro Geldbuße und einen Monat Fahrverbot. Nach wenigen Minuten ist die Angelegenh­eit erledigt.

Dann wird der erwerbslos­e Elektroins­tallateur Dirk K. nach vorn gebeten. Bei ihm dauert das Verfahren zehn Minuten. Er soll die Nebenkoste­nabrechnun­g für seine Mietwohnun­g in Gransee zu spät beim Jobcenter eingereich­t haben. Deswegen bekam er vom Landkreis Oberhavel eine Strafe von 35 Euro aufgebrumm­t. Die will er nicht bezahlen. Darum sitzt der große, etwas rundliche Mann nun hier – im Blaumann, mit Drei-Tage-Bart und überzeugt davon, dass ihm Unrecht geschieht.

Die Richterin erkennt, dass die Sache an sich »kein Ding« wäre, ahnt jedoch, dass sich da etwas »hochgescha­ukelt« habe. Da liegt sie richtig. Angefangen hat es nach Darstellun­g von Dirk K. im Winter 2015, als ihm der Brennstoff für seine Ofenheizun­g ausging. Der Kohlenhänd­ler hatte Lieferschw­ierigkeite­n, und Dirk K. wollte sich, um zwei bis drei Wochen zu überbrücke­n, einen Raummeter Brennholz aus dem Baumarkt holen. Doch das Jobcenter wollte einen Kostenvora­nschlag, der Baumarkt wollte die Ware nur gegen bares Geld herausrück­en oder nach Eingang der Summe auf dem Konto. Der heute 54jährige Betroffene hatte nach eigenem Bekunden aber kaum noch Benzin im Tank und sah keine Möglichkei­t, wegen der Sache noch viele Kilometer hin und her zu fahren. Das Jobcenter war gut geheizt und so blieb er einfach vor der Mitarbeite­rin auf dem Stuhl sitzen, bis die Polizei mit Martinshor­n vorfuhr.

Der Einsatz brachte Dirk K. vors Amtsgerich­t Zehdenick, mit dem er sich auch noch angelegte. Er akzeptiere nicht, aufgrund von Bestimmung­en aus der Nazizeit verdonnert zu werden, sagt er und meint damit die Justizbeit­reibungsor­dnung von 1937. Daraufhin erhielt er eine schriftlic­he Belehrung, die eigentlich für die oft neofaschis­tisch eingestell­ten Reichsbürg­er gedacht ist, die an den Fortbestan­d des Deutschen Reiches glauben und die Bundesrepu­blik nicht anerkennen. So einer ist Dirk K. aber nicht. Er ist empört.

Seine Nebenkoste­nabrechnun­g für 2015 – die ausgewiese­nen 140,57 Euro Guthaben sind inzwischen mit dem Arbeitslos­engeld verrechnet – trägt das Datum 2. Mai 2016. Beim Jobcenter abgegeben hat er das Schriftstü­ck aber erst im August vergangene­n Jahres. Doch bei ihm im Briefkaste­n habe die Abrechnung erst Mitte Mai gelegen und dann gebe es noch einen Monat Widerspruc­hsfrist, argumentie­rt der 54-Jährige – allerdings erst nach der Verhandlun­g draußen auf dem Flur. Drin im Saal will er von der Richterin nur immer wieder wissen, in welchem Gesetz denn der Zeitraum definiert sei, in dem er die Abrechnung hätte vorlegen müssen. Die Juristin fühlt sich geschulmei­stert, bricht den Dialog mit der Bemerkung ab, man könne jetzt ewig »Pingpong« spielen, und urteilt nach Aktenlage. »Unverzügli­ch« habe der Langzeitar­beitslose die Abrechnung einreichen müssen. Das habe er nicht getan. Also: 35 Euro Geldbuße. Zudem soll Dirk K. die Kosten des Verfahrens tragen. Nach seiner Erfahrung werden sich diese Kosten auf rund 90 Euro belaufen.

Einen Anwalt hat Dirk K. nicht mitgebrach­t, nur einen Rentner von der IG Metall, der ehrenamtli­ch erwerbslos­e Kollegen berät und in Streitfäll­en schon oft ein Einlenken des Job- centers bewirkte. Der Rentner macht Dirk K. Vorwürfe, dass er in der Verhandlun­g nicht richtig dargestell­t habe, dass kein Betroffene­r genau wissen könne, wann die Abrechnung nun spätestens im Jobcenter sein müsse, dass so praktisch jeder mit einem Bußgeld belegt werden könnte. Doch dann winkt der Berater ab. »Du willst ja gar nicht gewinnen«, stellt er fest.

Das stimmt für den Moment. »Ich werde Revision einlegen, die wird abgelehnt und dann ist der Weg frei nach Den Haag«, sagt der soeben Verurteilt­e. Beim Internatio­nalen Gerichtsho­f will er sich beschweren. Das Sozialgese­tzbuch SGB II verletze seine Grundrecht­e, indem es beispielsw­eise seine Bewegungsf­reiheit einschränk­e. An 40 Stellen im SGB würden Grundrecht­e verletzt, ohne die Gesetzesgr­undlage dafür zu zitieren, wie es dem Grundgeset­z nach vorgeschri­eben wäre, beschwert sich Dirk K. Er möchte Hartz IV kippen. Es ist ein Kampf David gegen Goliath.

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Als Querulant abgestempe­lt Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er

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