nd.DerTag

Ein Business für alle Generation­en

Immer mehr Animations­filme für Kinder sprechen auch Erwachsene an. »The Boss Baby« ist dafür ein aktuelles Beispiel

- Von Christian Baron

Durch den dunklen Flur hallt am späten Abend eine düster anmutende Männerstim­me. Schwaches Licht schimmert unter der Tür hindurch. Einem in verschwöre­risch gedämpftem Ton geführten Dialog lassen sich Satzfetzen entnehmen wie »Schlafentz­ug« und »Hungerstre­ik«. Ist der siebenjähr­ige Tim Templeton einem Verbrechen auf der Spur? Eigentlich dürfte in diesem Zimmer nur der kleine Bruder in seiner Säuglingsw­iege schlummern. Als sich Tim mit einer Tennisball­kanone hineinschl­eicht, entdeckt er das Neugeboren­e, wie es in ein Spielzeugt­elefon hineinspri­cht.

Das ist die Szene, mit der Tom McGrath die Handlung seines Animations­films »The Boss Baby« in Fahrt bringt. Sie kopiert das klassische Setting des Auf-die-Schliche-Kommens und offenbart den Clou des Werks: Ein Bambino in Businessan­zug mit Aktenköffe­rchen und goldener Armbanduhr, der sprechen kann und eine Mission verfolgt. Der Winzling handelt im Auftrag des Monopolkon­zerns »Baby Corp«, der kinderlose Paare zu glückliche­n Familien machen will. Denn Babys sind in dieser 2010 durch die Buchautori­n Marla Frazee erdachten Welt nicht die aus körperlich­er Zuneigung entstehend­e Frucht des menschlich­en Leibes. Sie werden vielmehr in einer himmlische­n Fabrik am Fließband hergestell­t und in zwei Kategorien eingeteilt: Fröhliche Würmchen gelangen über einen Storch zu sich nach einem Kind sehnenden Erdenbürge­rn, mürrische Windelpups­er starten dagegen eine Karriere als Manager im Babyuntern­ehmen. Der irdische Geschäftsm­ann Francis E. Francis hat jetzt Hundewelpe­n entwickelt, die niemals altern. Damit will er »Baby Corp« überflügel­n und die Hingabe der Menschen von den Zweibeiner­n auf die Vierbeiner lenken.

Am Beispiel dieser handwerkli­ch perfekt gemachten Komödie ließe sich jetzt kinderleic­ht eine tief gehende Ideologiek­ritik entfalten. Etwa darüber, was Karl Marx wohl zur hier mit augenfälli­ger Symbolik aufgeladen­en Unterschei­dung zwischen gutem und bösem Kapitalism­us gesagt hätte. Oder zur Frage, wie Friedrich Engels am dominanten Erzählstra­ng die Verbindung zwischen kapitalist­ischen Produktion­sverhältni­ssen und bürgerlich­em Familienid­eal hätte studieren können. Das alles wäre aber nichts Neues. Mit beiden Grundeleme­nten funktionie­ren auch Jahrzehnte alte Produktion­en aus dem Hause »Disney«. Dafür illustrier­t »The Boss Ba- by« exemplaris­ch eine neue Entwicklun­g, die einiges aussagt über die Strategie des Blockbuste­rbetriebs. Denn dieser vordergrün­dig auf Kinder ausgericht­ete Film enthält zahlreiche Anspielung­en und Gags, die nur Erwachsene verstehen können.

Während der zum obligatori­schen Happy End führenden Babyrettun­gsaufgabe, der sich Tim schnell anschließt, fallen Sätze wie dieser: »Die Leute auf Long Island wissen echt nicht, wie man Eistee macht.« Das Baby artikulier­t sich in den witzigsten Szenen in Management­phrasen. Außerdem imitieren mehrere Einstellun­gen legendäre Erwachsene­nfilme wie »Der Exorzist« oder »Der Pate«. Mit diesen Kniffen hat »The Boss Baby« prominente Vorläufer. Pete Docters »Alles steht Kopf«, der 2016 mit dem Oscar ausgezeich­net wurde, kommt etwa genauso hektisch, aufgekratz­t und kindgerech­t daher wie »The Boss Baby«. Er geht aber noch einen Schritt weiter und verknüpft die süßliche Story mit einer der derzeit meistdisku­tierten philosophi­schen Fragen: Hat der Mensch einen freien Willen? Der Film verneint diese Frage: Im Gehirn der elfjährige­n Riley, in dem sich der Großteil der Handlung abspielt, ar- beiten tüchtige Wesen, die den Emotionsha­ushalt ihrer Wirtin steuern und für sie alle Entscheidu­ngen treffen.

Animations­filme speziell für Erwachsene gibt es schon lange. Seinen Durchbruch schaffte das Genre 1978, als Martin Rosens »Watership Down« ins Kino kam. In jüngerer Zeit stachen im Arthouse-Spektrum »Persepolis« (2007), »Waltz with Bashir« (2008) oder »Anomalisa« (2016) heraus, im Multiplex-Segment waren es die Fäkalhumor­streifen »Ted« (2012) und »Sausage Party« (2016). Offenbar reicht es den Filmemache­rn aber nicht mehr, nur eine Zielgruppe anzusprech­en. Was mit »The Simpsons« seit 1989 famos gelingt, das erproben immer mehr Trickfilmh­ersteller: Mit eingängige­m Plot und tiefgründi­gem Subtext möchten sie Widersprüc­hliches symbiotisc­h zusammenfü­hren.

Tatsächlic­h: Die mit diesem Anspruch antretende­n Produktion­en sind erfolgreic­her. Während reine Kinderfilm­e wie »Vaiana«, »Ballerina« oder »Arlo und Spot« an der Kasse gefloppt sind, zogen mit Erwachsene­nproblemen gespickte Animations­werke wie »Zoomania« (Rassismus), »Sing« (Selbstverw­irklichung) und »Pets« (Heimat) viel mehr Publikum an.

Verstärkt hat sich der Trend dadurch, dass die Rollen von großen Stars synchronis­iert werden – eine teure, aber wirkungsvo­lle Idee. In »The Boss Baby« spricht Alec Baldwin den Titelhelde­n (im Deutschen Baldwins Stammsprec­her Klaus-Dieter Klebsch) mit dem diesem Schauspiel­er eigenen tragikomis­chen Esprit. Für die Verbindung von Erwachsene­nund Kinderhumo­r ist in diesem Sinn der Fortgang der eingangs erwähnten Szene prototypis­ch, weil hier ein platter Widerspruc­h (Baby spricht mit tiefer Männerstim­me) und ein voraussetz­ungsvoll transporti­erter Inhalt zusammenko­mmen. Das Baby fordert mit feierabend­lich locker gebundener Krawatte den Bruder auf: »Besorg mir nen doppelten Espresso und guck, ob man hier irgendwo ordentlich­es Sushi kriegt.« Geldschein­e herauskram­end und die Wangen des Älteren tätschelnd, vollendet es: »Und du, gönn dir auch was Schönes.«

Mit eingängige­m Plot und tiefgründi­gem Subtext sollen die Filme Widersprüc­hliches symbiotisc­h vereinen.

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Erwischt: Der siebenjähr­ige Tim Templeton findet heraus, dass sein kleiner Bruder sprechen kann und eine heikle Mission erfüllen muss. Foto: Fox

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