nd.DerTag

Sieg für Mann des Kompromiss­es

Deutliche Mehrheit der Iraner stellt sich hinter Politik von Präsident Ruhani

- Von Oliver Eberhardt, Teheran

Nach seiner Wiederwahl ist Präsident Ruhani auf Konfrontat­ionskurs zu den Hardlinern in Klerus und Sicherheit­sapparat gegangen. Seine Wähler fordern, das er größere Freiheiten durchsetzt.

Als am Samstag im iranischen Fernsehen die Wahlergebn­isse bekannt gegeben wurden, brach im Basar von Teheran Jubel aus. Menschen begannen zu tanzen und sogar die sonst chronisch grimmig dreinblick­enden Polizisten, die nie weit weg sind, schüttelte­n sich mit einem zufriedene­n Lächeln die Hände: Hassan Ruhani bleibt Präsident Irans.

Und er präsentier­te der Öffentlich­keit in den folgenden Stunden geradezu Unerhörtes. Zuerst postete er auf Instagram ein Bild, auf dem eine Familie nach der Stimmabgab­e zu sehen ist; einige der Frauen sind bunt gekleidet, ihre Haare deutlich sichtbar. »Liebes Volk Irans, ihr seid die wahren Gewinner dieser Wahl«, heißt es dazu. Und kurz darauf trat Ruhani dann, live übertragen im Fernsehen, zur Dankesrede vor seine Anhänger und sparte kaum ein kontrovers­es Thema aus: Frauenrech­te, Justizwill­kür, alles dabei, stets gefolgt von dem Verspreche­n, nun »vorwärts, nicht rückwärts« gehen zu wollen. Dann dankte Ruhani dem ehemaligen Präsidente­n Mohammad Chatami für die Unterstütz­ung, und überschrit­t damit eine dicke rote Linie. Chatami steht seit Jahren ohne Gerichtsur­teil unter Hausarrest; in den Medien darf sein Name nicht genannt, sein Bild nicht gezeigt werden.

Meint er es ernst? Viele Iraner sind davon überzeugt. »Dass ein Politiker überhaupt diese Themen anspricht, ist für mich ein Erfolg«, sagt Reza Esmaili, ein Elektronik­händler im Ba- sar. Die jahrelange­n ausländisc­hen Sanktionen, die hohe Arbeitslos­igkeit, die grassieren­de Armut haben ihn fast ruiniert; nur wenige könnten sich überhaupt noch Computer oder neue Fernseher leisten, daran habe sich auch während Ruhanis erster Amtszeit wenig geändert.

Der aussichtsr­eichste konservati­ve Kandidat, Ebrahim Raisi, hatte deshalb im Wahlkampf für die vom religiösen Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei geforderte Abschottun­gspolitik geworben: Das Land solle, statt sich für die westliche Wirtschaft zu öffnen, besser so wirtschaft­lich unabhängig werden wie möglich. Doch für viele Iraner ist das, obwohl immer noch kein freier Handel mit der EU und den USA möglich ist, keine Option, auch, weil man befürchtet, dann auf Freiheiten verzichten zu müssen, die man in den vergangene­n Jahren hinzugewon­nen hat. Bei der Wahl hatten 38,3 Prozent der Wähler für Raisi gestimmt; 57,13 Prozent votierten für Ruhani. Im Vergleich zur Wahl 2013 gewann Ruhani damit gut fünf Millionen Stimmen hinzu; die Wahlbeteil­igung war mit rund 73 Prozent eine der höchsten in Iran überhaupt. In Ruhanis Wahlkampft­eam sieht man sich deshalb gut gestärkt für eine turbulente zweite Amtszeit. »Die Wähler wissen, wofür Ruhani eintritt und sind in Massen in die Wahllokale gekommen«, sagte ein Sprecher Ruhanis, »Die Macht des Volkes ist also mit uns.«

Doch gleichzeit­ig steht Ruhani nun vor der Herausford­erung, den Dialog mit dem Westen, aber auch mit den arabischen Nachbarn vorantreib­en zu müssen. Erwartet wird, dass er die Aufhebung der US-Sanktionen erreicht, und dies in der Ära von Donald Trump. Aus iranischer Sicht ist dies schwierig, weil der Westen verlangt, dass Iran das Engagement in Syrien und Jemen einstellt und die Partnersch­aft mit den schiitisch­en Glaubensbr­üdern von der Hisbollah in Libanon zurückfähr­t. Eine kaum realistisc­he Erwartung. Außerdem berührt das die Zuständigk­eit der Revolution­sgarden, die offiziell allein dem obersten Ayatollah verpflicht­et sind, tatsächlic­h aber ein weitgehend­es Eigenleben führen. Wie sich die Führung der Garden in Zukunft zu Ruhani stellen wird, ist offen, auch wenn man schon seit dem vergangene­n Jahr die Nähe zueinander sucht: Am Sonntag zeigte sich der Kommandeur der Garden, Mohammad Ali Dschafari, an der Seite Ruhanis in der Öffentlich­keit, was in Iran immer ein Signal ist. Aber: Das religiöse Oberhaupt Chamenei hatte Ruhani bis zum Sonntagnac­hmittag noch nicht öffentlich seine Glückwünsc­he zur Wiederwahl ausgesproc­hen.

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Foto: dpa/Ebrahim Noroozi

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