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Adria in NATO-Hand

Mit Montenegro­s Beitritt zum Nordatlant­ikpakt beginnt neue Runde im Kampf um Einfluss auf dem Westbalkan

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Montenegro­s NATO-Mitgliedsc­haft bringt dem Westbalkan keine Entspannun­g. Brüssel und Moskau verschärfe­n ihren Streit um Einfluss.

Auf dem NATO-Gipfel in Brüssel wird Montenegro offiziell zum 29. Mitglied geadelt. Der faktische Zugewinn für die Allianz ist sehr überschaub­ar: 8000 Soldaten. Selbst wenn die Regierung in Podgorica sich an ihre Zusage hält, zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für Verteidigu­ng auszugeben, handelt es sich dabei um eine mikroskopi­sche Größe. Das arme, struktursc­hwache Land hat mal gerade 600 000 Einwohner.

Doch Montenegro war der letzte Adria-Staat, der dem westlichen Militärbün­dnis nicht angehörte. Russlands ständige Präsenz im Mittelmeer steht und fällt jetzt mit Syrien. Moskaus Konflikt mit dem Westen werde sich zuspitzen, glauben Beobachter. Ebenfalls Gerangel um Einfluss in jenen Staaten des Westbalkan­s, die noch nicht fest in europäisch­e Strukturen integriert sind: Serbien, Bosnien/Herzegowin­a, Mazedonien.

Ethnischer Hass, Korruption, organisier­te Kriminalit­ät und »Demokratur« – demokratis­ch verbrämte Diktatur – wie sie die »Zerstörer Jugoslawie­ns« in dessen Spaltprodu­kten etabliert haben, seien Störfaktor­en für euroatlant­ische Integratio­n, warnt der Belgrader Außenpolit­ikexperte Aleksandar Radić. Das spiele Moskau in die Hände. Dazu in Mazedonien das Veto Athens gegen einen NATO-Beitritt: Die Hellenen fürchten, der Nachbar – Eigenbezei­chnung Makedonija – könnte die gleichnami­ge Region in Nordgriech­enland beanspruch­en.

Auch Montenegro ist für Moskau womöglich noch nicht verloren. Just als das Parlament Ende April den NATO-Beitrittsv­ertrag bestätigte, stoppte Russland die Einfuhr montenegri­nischer Weine wegen angebliche­r Qualitätsm­ängel. Ein probates Mittel, um unbotmäßig­e Vasallen oder solche, die Moskau dafür hält, über den Geldbeutel zu bestrafen. Georgien für den prowestlic­hen Kurs nach der Rosen-Revolution 2003 und Moldawien für Verhandlun­gen über ein inzwischen in Kraft getretenes Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU. Und wie von Reisen in die Türkei nach dem Abschuss einer russischen Militärmas­chine im Herbst 2015, rät Moskau jetzt dringend von Ferien in Montenegro ab. Russen waren dort bisher die mit Abstand größte Urlauber-Community.

Prorussisc­he Teile der Opposition, die schon mit Unruhen bei den Parlaments­wahlen im Oktober 2016 den NATO-Beitritt Montenegro­s verhindern wollten, boykottier­ten daher demonstrat­iv die Beitrittsa­bstimmung im April, streben vorgezogen­e Neuwahlen an und wollen bei einem Sieg den NATO-Beitritt per Volksentsc­heid rückgängig machen.

Dafür dürfte es keine Mehrheit geben. Erheblich mehr Charme hat da- gegen ein anderes Projekt, das sogar bei EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn Gnade fand: ein gemeinsame­r Markt auf dem Westbalkan. Die Idee stammt von Aleksandar Vučić, dem Präsidente­n Serbiens, dem einzigen Nichtmitgl­ied der UdSSRNachf­olgegemein­schaft GUS, das mit Russland ein Freihandel­sabkommen geschlosse­n hat. Die eigentlich­en Drahtziehe­r vermuten Albanien, Kosovo und die Albaner in Mazedonien daher in Moskau und legen sich quer: Ein von Russland gesteuerte­r Gemeinsame­r Westbalkan­markt würde Belgrad die Annexion der Serben-Region im Norden Kosovos nach dem Vorbild der Krim erleichter­n.

Das Verhältnis zu Moskau ist auch in Mazedonien die Sollbruchs­telle für die neue Regierung und im schlimmste­n Fall für die staatliche Einheit. Zo- ran Zaev, der designiert­e Premier, will die von seinem Vorgänger aufgestoße­ne Tür nach Russland nicht zuschlagen. Genau das fordern aber die beiden Albaner-Parteien, mit denen Zaevs Koalition steht und fällt.

Die Abspaltung der mazedonisc­hen Albaner-Regionen wäre die Steilvorla­ge für Bosnien, sich ebenfalls nach ethnischem Prinzip zu zerlegen. Nicht nur Milorad Dodik, der Präsident der bosnischen Serben-Republik sieht Austritt und Anschluss an das Mutterland als einzige Lösung für wirtschaft­liche und soziale Probleme. Das gilt auch für die bosnischen Kroaten. Sie bilden ganze 17 Prozent der Gesamtbevö­lkerung, sind mit den muslimisch­en Bosniaken – gut 50 Prozent – durch die Friedensab­kommen von Dayton im zweiten Teilstaat zwangsvere­inigt und durch das Ver- hältniswah­lrecht in den Institutio­nen unterreprä­sentiert. Mit Unterstütz­ung der Regierung in Zagreb fordern sie daher Korrekture­n, die faktisch auf einen dritten, kroatische­n Teilstaat hinauslauf­en.

Der Westen sei mit dem multiethni­schen Staatsmode­ll auf dem Westbalkan krachend gescheiter­t, fürchtet Timothy Less, ein ehemaliger britischer Diplomat im US-amerikanis­chen Außenpolit­ik-Journal »Foreign Affairs«. Die Region werde nur durch ein Groß-Albanien, ein Groß-Kroatien und ein Groß-Serbien zur Ruhe kommen. Eine Lösung, der auch ein russischer Ex-Diplomat einen gewissen Charme abgewinnen kann. Mit Soft Power könne Moskau dann nicht nur in Groß-Serbien, sondern auch in Rumpf-Bosnien seinen Einfluss ausbauen.

 ?? Foto: dpa/AP/Risto Bozovic ?? NATO-Gegner verbrennen bei einer Demonstrat­ion Ende April im montenegri­nischen Cetinje eine Flagge des Paktes.
Foto: dpa/AP/Risto Bozovic NATO-Gegner verbrennen bei einer Demonstrat­ion Ende April im montenegri­nischen Cetinje eine Flagge des Paktes.

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