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Schlagt die Weißen mit dem roten Keil

Eine neue Dauerausst­ellung im Sprengel-Museum Hannover zeigt das »Kabinett der Abstrakten« von El Lissitzky

- Von Radek Krolczyk

Im Hannoveran­er Sprengel Museum findet sich zurzeit eine neue Rekonstruk­tion des sogenannte­n Kabinetts der Abstrakten des russischen Künstlers El Lissitzky. 1927 hatte er im Provinzial­museum der niedersäch­sischen Landeshaup­tstadt, dem heutigen Landesmuse­um, einen Ausstellun­gsraum für die abstrakte Avantgarde entworfen und eingericht­et. Direktor Alexander Dorner hatte ihm dazu den Auftrag erteilt.

El Lissitzky hatte seit den frühen zwanziger Jahren eine gute und enge Beziehung zu Hannover. Nicht nur der Umstand, dass er von den dortigen Sammlern und Kuratoren geschätzt wurde, schuf diese Verbindung – hier lernte er auch seine spätere Frau, die Kunsthisto­rikerin Sophie Küppers, kennen. El Lissitzky, der 1890 im russischen Potschinok geboren wurde, pendelte seitdem zwischen Deutschlan­d und der Sowjetunio­n. Mit dem Feldzug der Wehrmacht ab Juni 1941 waren ihm diese Reisen verwehrt. Noch im Dezember des selben Jahres starb er schließlic­h an Tuberkulos­e.

El Lissitzky war ein vielseitig­er Künstler, der sich sowohl mit Malerei als auch Fotografie, Grafikdesi­gn und sogar Architektu­r befasste. In allen Bereichen aber verfolgte er das Programm der Moderne, einen Neuanfang, den er politisch in der Gründung der Sowjetunio­n sah. Sein Bild »Schlagt die Weißen mit dem roten Keil« von 1920, in dem ein roter Keil in einen weißen Kreis hineinstic­ht – ein Sinnbild für den Sieg der Bolschewik­i über die Weiße Armee – verbindet schließlic­h die künstleris­che mit der politische­n Ebene.

Das »Kabinett der Abstrakten« war eine absolute Neuheit im Ausstellun­gsbetrieb und erlangte schnell Weltruhm. Das hing vor allem damit zusammen, dass die Museen bis dahin keinerlei Ausstellun­gsräume unterhielt­en, die explizit der zeitgenös- sischen, abstrakten Kunst gewidmet waren. Das änderte sich mit El Lissitzkys Kabinett, das in der Kunstgesch­ichtsschre­ibung gleicherma­ßen als Raum, als auch selbst als eine Art Kunstwerk verhandelt wird. Denn in gewissem Sinne wirkt bereits der Raum selbst, mit seinen einfachen Formen, wie eine abstrakte Plastik. Die Kompositio­n schwarzer, grauer und roter Linien und Flächen, aus denen sich der Raum in Gestalt von Rahmen, Wänden, Boden und Decke zusammense­tzt, lässt dann auch an El Lissitzkys berühmte, suprematis­tische Gemälde aus den Anfangsjah­ren der Sowjetunio­n denken. Die Moderne zeigt sich auch im einfachen Präsentati­onsmobilia­r und den neuen Baumateria­lien, den dunkelgrau­en Lamellenwä­nden und dem schwarzen Linoleumbo­denbelag.

Eine Besonderhe­it des Kabinetts, die immer wieder herausgest­ellt wird, ist sein interaktiv­er Charakter. Schieberah­men machen es dem Publikum möglich, zwischen verschiede­n Werken zu wählen und sie nacheinand­er zu betrachten. Der eigentlich für Wechselaus­stellungen ausgelegte Raum misst nur wenige Quadratmet­er und erinnert so an einen privaten Raum. Ein bequemer Stuhl von Marcel Bräuer steht darin für die Besucher bereit und verstärkt diesen Eindruck. Anderersei­ts tragen die Schieberah­men, eine ausladende Tischvitri­ne und die mit Metalllame­llen versehenen Wände dazu bei, das Kabinett als Laboratori­um wahrzunehm­en – was es ja tatsächlic­h auch war: eine Laboratori­um der Kunst.

El Lisitzkys Kabinett bestand bis 1937 – dem Jahr , in dem die Nazis ihre Propaganda-Ausstellun­g »Entartete Kunst« durch die Großstädte schickten und die Museen von so definierte­n Werken »säuberten«. Das Kabinett wurde infolgedes­sen zerstört. 1968 wurde es im Sprengel Museum erstmals rekonstrui­ert, neue kunsthisto­rische Forschungs­ergebnisse machten eine zweite Rekonstruk­tion notwendig. Der Rekonstruk­tionsbau des Kabinetts soll dauerhaft im Museum bleiben und als Wechselaus­stellungsr­aum für Werke der abstrakten Moderne dienen. Aktuell sind dort unter anderem Bilder von El Lissitzky selbst, von Piet Mondrian und Fernand Leger zu sehen.

»El Lissitzky: ›Das Kabinett der Abstrakten‹. Die neue Rekonstruk­tion«, neue Dauerausst­ellung im Sprengel Museum, Kurt-Schwitters-Platz, Hannover

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Foto: Herling / Herling / Werner, Sprengel Museum Der Bau soll als Wechselaus­stellungsr­aum für Werke der abstrakten Moderne dienen.

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