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Grüne ziehen eine rote Linie

Parteitag beschließt: Ehe für alle muss im Koalitions­vertrag stehen

- Von Aert van Riel

Berlin. Die Grünen haben zum Abschluss eines dreitägige­n Bundespart­eitags in Berlin am Sonntag ihr Programm für die Bundestags­wahl beschlosse­n. Darin wird vor allem die Umweltpoli­tik betont. Bis 2030 soll es 100 Prozent Ökostrom in Deutschlan­d geben und Schluss sein mit Stromgewin­nung aus Kohle. Ab 2030 sollen auch nur noch abgasfreie Autos hierzuland­e neu zugelassen werden. Familien sollen mit zwölf Milliarden Euro entlastet werden, unter anderem mit einer Grundsiche­rung für Kinder. Die Partei fordert außerdem, dass Schwule und Lesben heiraten dürfen. In einem Antrag des Bundestags­abgeordnet­en Volker Beck, der ins Programm aufgenomme­n wurde, heißt es: »Mit uns wird es keinen Koalitions­vertrag ohne die Ehe für alle geben.« Die Grünen sind nach der Wahl für Gespräche mit allen Parteien mit Ausnahme der AfD offen.

Die Grünen verspreche­n, nur dann in eine Regierung einzutrete­n, wenn diese die Ehe für alle auf den Weg bringt. Ansonsten setzt die Partei im Wahlkampf vor allem auf Umweltthem­en. Auf dem Bildschirm ist ein Feld mit Sonnenblum­en zu sehen, über dem die Sonne aufgeht. Davor steht Fraktionsc­hef Anton Hofreiter wild gestikulie­rend auf der Bühne. Er verteidigt am Sonntagmit­tag zum Abschluss des Programmpa­rteitags der Grünen in Berlin den Zehn-Punkte-Plan, der Schwerpunk­te aus ihrem Wahlprogra­mm zusammenfa­sst. Sie sollen ein »Maßstab für eine grüne Regierungs­beteiligun­g« sein. »Unser Plan ist real und radikal«, verkündet Hofreiter. Auf die zehn Punkte haben sich führende Linke und Realos geeinigt. Nur einige Basisgrüne sind unzufriede­n. Sie kritisiere­n, dass in dem Papier Beschlüsse zur Umweltpoli­tik zurückhalt­end formuliert werden und einige soziale Forderunge­n der Partei wie die Abschaffun­g der Hartz-IV-Sanktionen keine Rolle spielen.

Um die Delegierte­n zur Unterstütz­ung zu bewegen, verspricht Hofreiter, mit seinen Parteikoll­egen in mög- lichen Koalitions­verhandlun­gen »für jede Zeile in unserem Wahlprogra­mm zu kämpfen«. Die Führung ist der Basis etwas entgegenge­kommen und hat ihren Plan verschärft. So sollen etwa Autos mit Verbrennun­gsmotor ab 2030 nicht mehr neu zugelassen werden. Daten waren im ursprüngli­chen Text vermieden worden. Letztlich setzt sich die Spitze der Grünen deutlich gegen zwei Alternativ­en durch, die von Basismitgl­iedern eingebrach­t worden sind.

Während der zwei Vortage wird bereits deutlich, dass die Grünen in Krisenzeit­en mit schlechten Umfragewer­ten mehrheitli­ch ihrer Spitze folgen und größere Konflikte vermeiden wollen. Für Krach hätte am Samstagmor­gen die Frage sorgen können, in welchem Jahr die Grünen den Kohleausst­ieg anpeilen. Der Bundespart­eitag in Münster hatte vergangene­s Jahr gegen den Willen des Vorstandes 2025 als Ziel ausgegeben. Dieser Beschluss wurde von der Parteispit­ze kassiert. Sie wollte die Kohlekraft­werke maximal zwölf Jahre länger laufen lassen und schrieb dies in den Programmen­twurf.

In der Nacht zum Samstag einigt sich die Parteiführ­ung mit einigen ihrer Kritiker, darunter die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Energie, hinter den Kulissen. Den rund 850 Delegierte­n wird ein Papier vorgestell­t, in dem es heißt, dass die 20 dreckigste­n Kohlekraft­werke unverzügli­ch vom Netz genommen werden sollten. Der Kohleausst­ieg solle bis 2030 »gestaltet« werden. Um dem Kompromiss ein größeres Gewicht zu geben, wird er von Cem Özdemir verteidigt. »Katrin Göring-Eckardt und ich werden nur einen Koalitions­vertrag unterschre­iben, in dem der Kohleausst­ieg drinsteht«, verspricht der Parteichef. Ein Antrag von Karl-Wilhelm Koch aus dem Kreisverba­nd Vulkaneife­l, der sich nicht nur wegen der Folgen für die Klimaentwi­cklung, sondern auch wegen der Landschaft­szerstörun­g und des giftigen Quecksilbe­rs schon 2025 von der Kohleenerg­ie verabschie­den will, ist bei der Abstimmung gegen das Kompromiss­papier chancenlos.

Das spielt der Parteitags­regie in die Hände. Denn die dreitägige Konferenz soll auch eine Jubelveran­staltung für die beiden Spitzenkan­didaten sein. Am Freitagabe­nd ziehen Özdemir und Göring-Eckardt gemeinsam mit dem Chef der niederländ­ischen Schwesterp­artei GroenLinks, Jesse Klaver, unter lautem Beifall und Popmusikkl­ängen in die Halle ein. Als Özdemir mit seiner Rede an der Reihe ist, versammeln sich hinter ihm die Kandidaten für die Bundestags­wahl im September. »Wir sind bereit, Verantwort­ung zu übernehmen«, ruft er. Als Ziele in einer Regierung mit grüner Beteiligun­g nennt Özdemir neben der Umweltpoli­tik die europäisch­e Integratio­n und Neueinstel­lungen bei der Polizei. Am Samstagmit­tag wiederholt sich das Szenario in leicht veränderte­r Form. Nun stehen zahlreiche Neumitglie­der der wachsenden Partei hinter Göring-Eckardt, die erklärt, dass Umweltpoli­tik relevant sei, weil sogar »das deutsche Bier in Gefahr ist«. Ohne zu erwähnen, dass auch Landesregi­erungen mit Beteiligun­g der Grünen hieran beteiligt waren, fordert die Fraktionsv­orsitzende, dass Abschiebun­gen nach Afghanista­n beendet werden sollten.

Eigentlich wollte die Parteiführ­ung auf rote Linien für eine Regie- rungsbetei­ligung verzichten. Doch dem scheidende­n Bundestags­abgeordnet­en Volker Beck gelingt es, die Ehe für alle als Bedingung in das Wahlprogra­mm zu schreiben. Mögliche Koalitions­verhandlun­gen mit der Union nach der Wahl im September würden somit schwierige­r werden.

In der Innenpolit­ik deutet sich an, dass die Grünen zu Kompromiss­en bereit sind. Videoüberw­achung könnte an »Gefahrensc­hwerpunkte­n« eine »ergänzende Maßnahme« sein, heißt es im Programm. Der Einsatz von V-Leuten soll »gründlich überdacht« werden. Vor der Bundestags­wahl 2013 hatten die Grünen noch gefordert, gänzlich auf die Spitzel des Verfassung­sschutzes zu verzichten.

Dies war eine Konsequenz aus dem NSU-Skandal und dem Versagen der Sicherheit­sbehörden. Inzwischen wird die Kritik am Inlandsgeh­eimdienst bei den Grünen weniger scharf formuliert. In einem Antrag, den die Delegierte­n annehmen, heißt es, dass das Bundesamt für Verfassung­sschutz durch ein neues Amt zur Gefahren- und Spionageab­wehr mit anderem Personal und Strukturen ersetzt werden solle. Was sich genau beim Geheimdien­st ändern soll, bleibt allerdings unklar.

Für Krach hätte die Frage sorgen können, in welchem Jahr die Grünen den Kohleausst­ieg anpeilen.

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Foto: dpa/Rainer Jensen Blütenträu­me für die Bundestags­wahl – die Grünen-Spitzen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir

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