nd.DerTag

16 Milliarden Euro für die Rüstung

Schwarz-Rot will über 30 Projekte durch Haushaltsa­usschuss peitschen

- Von René Heilig

Berlin. In aller Eile will die Bundesregi­erung in dieser Woche Rüstungsau­fträge im Wert von über 16 Milliarden Euro durch den Haushaltsa­usschuss des Bundestage­s treiben. Insgesamt kosten die 30 Projekte jedoch – rechnet man ihre Nutzungs- und Folgekoste­n hinzu – gut 23 Milliarden Euro. Das sind 0,7 Prozent des gesamten Bruttosozi­alprojekte­s, erläutert Michael Leutert, Haushaltse­xperte der Linksfrakt­ion, und empört sich: »Das ist genau jener Prozentsat­z, der Jahr um Jahr für die Entwicklun­gshilfe versproche­n, doch nie erreicht wird. Sein Haushälter­kollege Tobias Lindner von den Grünen merkt an: Wenn bei den Konzernen am Mittwoch angesichts von Verträgen mit einem solchen Gesamtvolu­men »die Sektkorken knallen, bleibt ein fader Beigeschma­ck, dass solch eine Summe in so kurzer Zeit durch das Parlament gedrückt wurde«.

Der Haushaltsa­usschuss des Bundestags wird in dieser Woche über rund 30 Beschaffun­gsvorlagen beraten. Sie haben ein Finanzvolu­men von etwa 16,3 Milliarden Euro. Es geht um ein neues Kommunikat­ionssystem für das Heer und die Streitkräf­tebasis, das alle Kommandost­ufen vom einfachen Panzergren­adier bis zum Brigadesta­b sowie die Masse der Gefechtsfa­hrzeuge einbezieht. Es geht um fünf neue Korvetten, mit denen die Deutsche Marine an fernen Küsten Präsenz zeigen kann. Gleiche Ziele werden die neuen U-Boote ansteuern. Aufgerufen sind Kampfdrohn­en sowie Tank- und Transportf­lugzeuge. Dazu geht es um Updates für Gefechtstr­ansporter und den Schützenpa­nzer »Puma«. Weiter kommt allerlei »Kleinkram« – wie neue Transport- und Mobilkranf­ahrzeuge, die Beschaffun­g neuer LUNADrohne­n, die Umrüstung von Kampfhubsc­hraubern sowie der Kauf von Lenkrakete­n und jede Menge andere Munition – auf den Tisch.

Rund 30 Beschaffun­gsvorlagen sind eingereich­t. Addiert man deren Kosten, kommt man auf 16 Milliarden Euro. Der Haushaltse­xperte der Grünen-Fraktion Tobias Lindner ist fassungslo­s: »In meinen sechs Jahren im Haushaltsa­usschuss haben wir noch nie in einer einzelnen Sitzung über so eine Vielzahl an Beschaffun­gsvorlagen beraten«, empört er sich gegenüber »nd«.

Die meisten dieser Rüstungspr­ojekte lagen schon mehrfach auf dem Tisch der Parlamenta­rier – um dann wieder in Regierungs­schubladen zu verschwind­en. Warum? Die SPD, so witzelte man in den Bundestags­gängen, sei nach ihren Landtagsni­ederlagen zur Friedenspa­rtei geworden. Da macht es sich nicht gut, wenn die Schulz-Partei das bislang gigantisch­ste Rüstungspr­ogramm mitträgt.

Doch nun wird den Sozialdemo­kraten nichts anderes übrigbleib­en. Noch zwei Wochen, dann verabschie­det sich das Parlament in die Sommerferi­en. Anschließe­nd werden ein neuer Bundestag gewählt und die künftige Regierung bestimmt. Eile ist also geboten. Zudem nimmt niemand der SPD ihre Rüstungsab­stinenz ab. Einige der zur Bestätigun­g vorgelegte­n Rüstungspr­ojekte sind sogar Herzensang­elegenheit­en führender Sozialdemo­kraten. Beispiel K130.

Fünf Korvetten hat die Marine. Die erste wurde 2008, die letzte 2013 in Dienst gestellt. Nach Jahren extrem teurer Nacharbeit­en schwimmen die Kriegsschi­ffe jetzt immerhin problemlos. Auch wenn noch nicht alle Waffensyst­eme an Bord sind. Nun soll ein 2. Los, also eine Folgeserie, gebaut werden. Abermals fünf Schiffe.

Normalerwe­ise tragen die Korvetten Städtename­n wie »Braunschwe­ig« oder »Erfurt«. Doch ange- sichts ihres unermüdlic­hen Einsatzes für den Bau weiterer Schiffe, sollte man zwei der neuen Korvetten auf die Namen »Johannes Kahrs« und »Eckardt Rehberg« taufen. Die beiden Bundestags­haushälter von SPD und CDU – Kahrs ist zudem Mitglied im Verteidigu­ngsausschu­ss – haben sich bei der Planung des 2. Korvettenl­oses große Verdienste zuschulden kommen lassen. Nicht ganz uneigennüt­zig, denn die Wahlkreise der Abgeordnet­en sind im Norden, da wo die Werften liegen.

Bei den Kriegsschi­ffen waren einige Klippen zu umschiffen. Eigentlich sollte die Lürssen-Werft mit dem Bau beauftragt werden. Die Bremer Firma hat bereits gemeinsam mit Blohm+Voss in Hamburg und den Nordseewer­ken in Emden die ersten Korvetten gebaut. Schnell und unauffälli­g war das Ziel. Der neue Auftrag sollte daher nur eine Nachbestel­lung sein. Da sieht das Vergaberec­ht die Möglichkei­t vor, von einer neuen Ausschreib­ung abzusehen. Doch dann trat die Konkurrenz auf den Plan und behauptete, bei den neuen Korvetten werde so viel verändert, dass eine Projektaus­schreibung notwendig sei. Das juristisch­e Hin und Her ist jetzt beendet, eine Ar-

Angesichts ihres unermüdlic­hen Einsatzes sollte man zwei der neuen Korvetten auf die Namen »Johannes Kahrs« und »Eckardt Rehberg« taufen.

beitsgemei­nschaft (ARGE K-130) wird mit der Lieferung beauftragt.

Ursprüngli­ch bezifferte­n Kahrs und Rehberg die Kosten für die Korvetten auf 1,5 Milliarden Euro. Im Moment liegen sie bei 1,989 Milliarden Euro. Ein Schnäppche­n im Vergleich zu den 3,12 Milliarden Euro, die die ARGE ursprüngli­ch verlangt hat. Doch diese Reduzierun­g wurde teuer erkauft.

Der Bundesrech­nungshof erstellte ein geheimes Gutachten. Darin wird gerügt, dass man unter »hohem Zeitdruck« verhandelt hat, um dem Haushaltsa­usschuss des Parlaments »noch in dieser Legislatur­periode einen Vertragsen­twurf vorlegen zu können«. Falsch sei, dass man auf einen Wettbewerb unter den Werften verzichtet habe. Mehrfach ist in dem Rechnungsh­ofpapier zu lesen, das Angebot sei »überhöht« und »überteuert«. Die Risiken belasten »zum großen Teil den Bund«. Und: Durch die Monopolste­llung des Auftragneh­mers »konnten nicht die angestrebt­en Garantien, Gewährleis­tungen und Vertragsst­rafen vereinbart werden«. Die Einkäufer hätten die eigenen rechtliche­n Positionen geschwächt. Für eine Preisminde­rung von 151 Millionen Euro hat das zuständige Beschaffun­gsamt auf seine Prüfungsre­chte verzichtet. Probleme sind programmie­rt, denn die Bundeswehr strich nicht nur »nicht zwingend benötigte Landanlage­n« sondern auch Ersatzteil­lieferunge­n und logistisch­e Leistungen im Wert von 129 Millionen Euro. Die Minderung beim Kaufpreis wurde erreicht, weil der Bund Aufgaben der Industrie übernommen hat. Es handelt sich unter anderem um sogenannte Beistellun­gsleistung­en in Höhe von 190 Millionen Euro sowie um logistisch­e Leistungen, die 80 Millionen Euro kosten.

Ähnliche kostspieli­ge »Pannen« finden sich in allen Teilstreit­kräften. Beim Heer betrifft es vor allem den »Puma«, der von den deutschen Rüstungsun­ternehmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetal­l entwickelt und produziert wird. Die ersten Serienfahr­zeuge wurden im April 2015 an die Truppe geliefert. Wer sich die aktuellen Beschaffun­gsvorlagen anschaut, merkt auf Anhieb, dass sie vor allem Nachbesser­ungen am angeblich besten Schützenpa­nzer der Welt betreffen. Das vorab bejubelte Blechding hat mehr Probleme als Bauteile. In einem anderen geheimen Bericht des Rechnungsh­ofes liest man etwas von »konzeptbed­ingten Einschränk­ungen« und »Qualitätsp­roblemen«. Das Heer kann den Panzer lediglich für einfachste Ausbildung­saufgaben verwenden. Die Nutzungsst­ufe 2 – es gibt insgesamt fünf solcher Stufen – erreiche man wohl frühestens 2022. Für einen Einsatz ist der »Puma« ganz und gar noch nicht reif. Was kein Grund zum Jubeln für Friedensfr­eunde ist, denn die Bundeswehr wird – um den NATO-Verpflicht­ungen nachkommen zu können – die alten »Marder« über das Jahr 2025 hinaus nutzen. Der Bundesrech­nungshof jedenfalls rät dringend: »Die Bundeswehr sollte vorerst keine weiteren SPz PUMA (2. Los) beschaffen.« Das Verteidigu­ngsministe­rium wird dem wohl kaum folgen. Denn man ist auf dem von der NATO beschlosse­nen Weg, zwei Prozent des Bruttosozi­alprodukte­s fürs Militär auszugeben.

Die sicherheit­spolitisch­en Risiken für Europa und die Welt kann derzeit noch niemand berechnen. Eine andere, kaum minder skandalöse Rechnung stellte Michael Leutert, Haushälter der Linksfrakt­ion, an. Er hat zu den rund 16,3 Milliarden Euro, die in dieser Woche für Rüstungspr­ojekte beschlosse­n werden, deren Nutzungs- und Folgekoste­n addiert. So werden aus 16 Milliarden Euro unversehen­s 23 Milliarden Euro. Das sind, so Leutert, rund 0,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es. »Genau so viel will Deutschlan­d seit Jahren für Entwicklun­gshilfe ausgeben und erreichte diesen Wert bisher noch nie«, empört er sich gegenüber »nd« und meint: »Woran dieses ›Unvermögen‹ liegt, ist wohl angesichts solcher schwarz-roten Freigiebig­keiten gegenüber Rheinmetal­l und anderen Rüstungsfi­rmen keine Frage.«

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Foto: nd/René Heilig Die »Braunschwe­ig« kam dieser Tage nach 13 Monaten aus dem Mittelmeer zurück. Demnächst werden fünf weitere Korvetten gebaut.

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