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Britische Linke schöpft neue Hoffnung

Nach den Wahlen ordnen sich außerparla­mentarisch­e Bewegungen und Gewerkscha­ften neu

- Von Christian Bunke, Manchester

Das gute Wahlergebn­is für Labour stärkt den linken Vorsitzend­en Jeremy Corbyn. Das hat Auswirkung­en in den Gewerkscha­ften und bei der außerparla­mentarisch­en Linken. Die Unterschie­de zwischen Arm und Reich kosten in Großbritan­nien Leben. Jeden Tag. Die Feuerkatas­trophe vom Londoner Grenfell Tower ist nur das jüngste Beispiel. Seit Jahren haben die Bewohner schon über gravierend­e Sicherheit­smängel geklagt, aus Kostengrün­den wurde dies ignoriert. Am Ende musste eine Feuerwehr die Sache regeln, der allein in London über 500 Stellen gestrichen wurden.

Das ist ein Hintergrun­d des Erfolges von Jeremy Corbyns LabourPart­ei und seines linken Wahlprogra­mms. Forderunge­n wie 500 000 neue Wohnungen, ein Mindestloh­n von zehn Pfund, die Rücknahme der Einsparung­en im öffentlich­en Dienst und die Verstaatli­chung der Eisenbahne­n haben viele Menschen elektrisie­rt. 66 Prozent der 18 bis 24-Jährigen haben Labour gewählt, 40 Prozent der abgegebene­n Stimmen gingen an die Partei. Vor Corbyn schaffte das nur Tony Blair, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen.

Die britische Arbeiterbe­wegung und die Linke wittert nun Morgenluft. Die Konservati­ven versuchen zwar eine Regierung zu bilden, doch das angestrebt­e Abkommen mit der nordirisch­en Democratic Unionist Party (DUP) wird von vielen als letz- ter Strohhalm und äußerst instabil wahrgenomm­en. Neuwahlen könnten innerhalb weniger Monate wieder auf der Tagesordnu­ng stehen. Corbyn selbst hat bereits angekündig­t, Labour befinde sich weiterhin im Wahlkampfm­odus.

Organisati­onen wie das Momentum-Netzwerk – eine Organisati­on von Corbyn-Unterstütz­ern rund um die Labour-Partei – verzeichne­n Mitglieder­zuwachs. Allein über das vorvergang­ene Wochenende seien 1300 neue Mitglieder beigetrete­n, heißt es in einer Stellungna­hme des Netz- werks. Momentum gibt an, insgesamt 20 000 Mitglieder in 150 lokalen Gruppen zu haben.

Die Herausford­erung für das Netzwerk wird darin bestehen, Corbyn gegenüber der rechten Mehrheit der Labour-Parlaments­fraktion im Unterhaus zu stärken. Diese jubelte ihm am Tag der Parlaments­eröffnung am vergangene­n Montag zwar euphorisch zu. Schon längst arbeiten die Abgeordnet­en aber an einer Verwässeru­ng seines Wahlprogra­mms. Der Parteiappa­rat lanciert die Forderung, Corbyns Führungste­am müsse »alle Schattieru­ngen der Partei repräsenti­eren«. Gemeint ist: Auch die Neoliberal­en sollen im Schattenka­binett einen Platz haben.

Derweil sahen sich Theresa Mays Konservati­ve in den vergangene­n Tagen bereits mit ersten Protesten konfrontie­rt. Tausende Menschen demonstrie­rten am Mittag des 10. Juni vor dem britischen Parlaments­gebäude in Westminste­r. Sie protestier­ten gegen die homofeindl­iche Ausrichtun­g der DUP und Sozialabba­u. Und sie waren gekommen, um Jeremy Corbyn zu feiern. »Oh Jere- my Corbyn« nach der Melodie des Liedes »Seven Nation Army« von den White Stripes war der Schlachtru­f der Stunde für die überwiegen­d jugendlich­en Demonstran­ten.

Auch in den Gewerkscha­ften bereiten sich viele – beflügelt vom Wahlausgan­g – auf die kommenden Monate vor. Am 1. Juli wollte das National Shop Stewards Network (NSSN), eine Allianz betrieblic­her Aktivisten aus zahlreiche­n Gewerkscha­ften, seine nationale Konferenz in London abhalten. Das Motto der Veranstalt­ung sollte schlicht und einfach lauten: »Tories out!« – Tories raus. Auf der Tagesordnu­ng stand die Diskussion darüber, wie Druck auf den britischen Gewerkscha­ftsbund Trades Union Congress (TUC) ausgeübt werden kann, damit dieser einen landesweit­en Aktionstag gegen die konservati­ve Regierung organisier­t.

Diese Forderung wird inzwischen von einer wachsenden Zahl von britischen Einzelgewe­rkschaften aufgestell­t. Eine Großdemons­tration für den 1. Juli hat das Bündnis »The People's Assembly Against Austerity« angekündig­t und mobilisier­t unter dem Slogan »Not One Day More #ToriesOut« – Keinen Tag mehr, Weg mit der Tory-Regierung. NSSN hat seine Konferenz abgesagt um sich an der Demonstrat­ion zu beteiligen.

Der Wahlerfolg Jeremy Corbyns erhöht auch den Druck auf den Gewerkscha­ftsbund TUC. Das zeigt sich am Beispiel der Gewerkscha­ft UNISON. In ihr sind über eine Million Beschäftig­te aus dem öffentlich­en Dienst und dem Gesundheit­swesen organisier­t. Die UNISON-Führung hat einen entspreche­nd großen Einfluss im Gewerkscha­ftsbund. Traditione­ll hat sie sich eher am rechten Flügel der Labour-Partei orientiert. Generalsek­retär Dave Prentis ist nur ein sehr widerwilli­ger Unterstütz­er Corbyns.

Doch das Ergebnis der UNISONVors­tandswahle­n von Anfang Juni hat einen deutlichen Linksruck innerhalb der Gewerkscha­ft zur Folge. Ein Bündnis verschiede­ner linker, Corbyn naher Kandidaten konnte aus dem Stand 29 Sitze im Vorstand erringen und ist damit nur zwei Sitze von einer Mehrheit entfernt.

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Foto: AFP/Oli Scarff Mit Corbyn (r.u.) sehen sich die Labour-Anhänger nicht nur im walisische­n Colwyn Bay am rettenden Ufer.

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