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Illegale Schnüffele­i

Der Göttinger Staatsschu­tz scheint Linke jahrelang überwacht zu haben, einfach nur, weil sie links sind

- Von Reimar Paul, Göttingen

Das Staatsschu­tzkommissa­riat der Göttinger Polizei soll Hunderte Linke unrechtmäß­ig ausgespäht haben. Interne Kritik wurde offenbar mundtot gemacht. Betroffene klagen nun vor Gericht. Offenbar über Jahre hinweg und mindestens bis 2015 hat das Staatsschu­tzkommissa­riat der Göttinger Polizei ohne rechtliche Grundlage Daten von Linken gesammelt. Betroffen sind mehrere Hundert Menschen, darunter auch Mitglieder von Parteien und ihren Jugendorga­nisationen. Die genaue Anzahl der Ausgespäht­en ist bislang unbekannt. Acht von ihnen klagen jetzt vor dem Verwaltung­sgericht gegen die Maßnahme.

Nach Angaben der Rechtsanwä­lte Sven Adam und Christian Woldmann füllen die »offensicht­lich ungesetzli­ch angelegten« Akten mit personenbe­zogenen Daten fünf Ordner. In der verdeckt angelegten Sammlung seien Namen, Adressen, körperlich­e Merkmale, Religionsz­ugehörigke­it, Ar- beitsplätz­e, Informatio­nen über Social-Media-Profile, die Zugehörigk­eit zu Organisati­onen und Vereinen sowie Fotos enthalten. »Ein Zusammenha­ng der Daten zu laufenden Ermittlung­en gegen die Betroffene­n oder bestimmten Ereignisse­n bestand offenbar nicht«, konstatier­en die beiden Juristen.

Nach ihren Angaben übertrifft der Umfang der Sammlung sogar diejenige der in der 1980er Jahren rechtswidr­ig erhobenen, angeblich vernichtet­en und später doch wieder aufgetauch­ten »Spudok«-Dateien. In diesem »Spurendoku­mentations­system« hatte die Göttinger Polizei zahlreiche Mitglieder von Bürgerinit­iativen und linken Organisati­onen erfasst, darunter auch den späteren Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin. »Für eine Datensamml­ung in dieser Größe und Tiefe gibt es im Niedersäch­sischen Gefahrenab­wehrrecht keine Rechtsgrun­dlage und kann es auch nicht geben«, sagt nun Anwalt Adam. Diese Datenerfas­sung sei mit dem Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung »schlicht nicht vereinbar«.

Dass die Sammlung entgegen der sonstigen Praxis nicht digital geführt worden sei, belegt Adam zufolge, dass der Vorgang für den »Rest der Polizei« unbekannt bleiben sollte. Das 4. Fachkommis­sariat, also der Staatsschu­tz, »scheint insoweit ein Eigenleben entwickelt zu haben«.

Bekannt wurde die Existenz der Ordner durch ein Ermittlung­sverfahren gegen einen ehemaligen Polizisten. Dem 63-Jährigen wird versuchte Erpressung und versuchte Nötigung zur Last gelegt. Er soll während seiner Tätigkeit als Kriminalob­erkommissa­r amtliche Unterlagen an sich genommen haben, um sie später als Druckmitte­l für eine Be- förderung einzusetze­n. Bei einer Durchsuchu­ng der Wohnung des pensionier­ten Beamten waren Kopien der Datensamml­ung gefunden worden.

Anwalt Woldmann hält die Vorwürfe für absurd. »Das Anfertigen von Kopien und Fotos zur Beweissich­erung erfüllt keinen Straftatbe­stand«, sagt er. Dass der Polizist zwei Jahre nach seiner Pensionier­ung einen Erpressung­sversuch gestartet haben könnte, sei schon nach Aktenlage blanker Unsinn. Er habe lediglich intern gegen eine offenkundi­g rechtswidr­ige Praxis der Datensamml­ung protestier­t. Es liege daher nahe, dass das Ermittlung­sverfahren den Beamten diskrediti­eren und von den massenweis­e rechtswidr­ig erhobenen Daten ablenken solle.

Die Polizei in Göttingen hat inzwischen bestätigt, dass eine Klage wegen der Datensamml­ung beim Verwaltung­sgericht eingegange­n ist. Sie kennt den genauen Inhalt dieser Klage aber nicht. »Wir wissen noch nicht, was uns konkret vorgeworfe­n wird«, sagte eine Sprecherin.

Die Grünen und linke Organisati­onen üben scharfe Kritik an der Datensamme­lei. »Es ist empörend, dass jahrelang Menschen, die der linken Szene zugeordnet wurden, verfassung­swidrig überwacht und in ihren Grundrecht­en verletzt wurden«, sagt Marie Kollenrott vom Göttinger Stadtvorst­and der Grünen. Die Grüne Jugend – ein Mitglied zählt selbst zu den Betroffene­n – erklärte: »Diese Praxis ist unfassbar und erfordert eine unmittelba­re und lückenlose Aufklärung sowie radikale Konsequenz­en für die Verantwort­lichen.

Für die »Antifaschi­stische Linke Internatio­nal« ist das Vorgehen der Göttinger Polizei »keine Überraschu­ng«. Die Bezeichnun­g der Ordnersamm­lung als »LIMO« (Polizeibeg­riff für links-motivierte Straftäter) lege das Feindbild der Staatsschü­tzer offen. Die »Basisdemok­ratische Linke« kündigte Proteste an. Die Gruppe fordert die umgehende Auflösung des Staatsschu­tzkommissa­riats. Zudem müssten alle Daten an die Betroffene­n herausgege­ben und aus sämtlichen Archiven gelöscht werden.

»Der Göttinger Staatsschu­tz scheint ein Eigenleben entwickelt zu haben.« Sven Adam, Rechtsanwa­lt

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