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»Sozialer und friedliche­r als seine Nachfolger«

Weltweit wird Helmut Kohl als Europäer und Kanzler der Einheit gewürdigt. Die Linksparte­i nutzt ihren Nachruf zur Kritik an Schröder und Merkel

- Von Tom Strohschne­ider

Einen Staatsakt für einen verstorben­en Politiker auf europäisch­er Ebene – das hat es bisher nicht gegeben. Helmut Kohl könnte diese Würdigung nun zuteil werden. Der von EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker angeregte Premiere soll binnen zwei Wochen stattfinde­n. Einzelheit­en sind noch offen, was aber die Boulevardp­resse nicht davon abhielt, bereits zu spekuliere­n, dass der Leichnam des Altkanzler­s nach dem EU-Staatsakt mit dem Schiff über den Rhein zu einer Totenmesse nach Speyer überführt werden könnte. Bereits unmittelba­r nach der Nachricht vom Tode Kohls hatten sich Politiker aller Parteien zu Wort gemeldet. »Großer Europäer« und »Kanzler der Einheit« – so lauteten in aller Regel die Zuschreibu­ngen, mit denen Kohl gewürdigt wurde. Angela Merkel, die mit dem Vorgänger an der CDU-Spitze keineswegs immer einer Meinung war, erfuhr auf einer Reise zum Papst vom Ableben des Altkanzler­s. Mit Blick auf die Wende von 1989 sagte die gebürtige Ostdeutsch­e, wie Kohl nach dem Fall der Mauer die Gunst der Stunde genutzt habe, »das war höchste Staatskuns­t im Dienste der Menschen und des Friedens«.

Dass Merkel zudem erklärte, dass Kohl »auch meinen Lebensweg ent- scheidend verändert« habe, wird man vor allem in der Union aufmerksam verfolgt haben. Nicht alle CDU-Granden waren mit der Art und Weise einverstan­den, mit der sich Merkel im Zuge der Spendenaff­äre über die alten Eliten in der Partei hinwegsetz­te.

Auch der Papst würdigte Kohl: »Die Nachricht vom Heimgang des Bundeskanz­lers« habe ihn »tief bewegt«, sagte das Kirchenobe­rhaupt – und schloss an, er bekunde nicht nur der Familie, sondern »dem ganzen deutschen Volk, das um den Kanzler der Einheit trauert«, seine Anteilnahm­e.

Hierzuland­e glichen sich die Erklärunge­n in weiten Zügen bis aufs Wort. SPD-Chef Martin Schulz schrieb in einem Gastbeitra­g, Kohl habe »die europäisch­e Einigung mit einer Energie und Überzeugun­gskraft vorangetri­eben, wie nur ganz wenige andere Staatsmänn­er«. Auch die Spitzen der Linksparte­i erinnerten vor allem an Kohls prägenden Einfluss auf EU-Integratio­n und deutsche Einheit, betonten aber, er hinterlass­e ein »widersprüc­hliches Erbe«. Die Vorsitzend­en von Bundestags­fraktion und Partei, Sahra Wagenknech­t, Dietmar Bartsch, Katja Kipping und Bernd Riexinger, nannten den Altkanzler einen »überzeugte­n Europäer« – verwiesen jedoch auch darauf, dass seine EU-Politik »zugleich mit der Fehlkonstr­uktion der Währungsun­ion ei- ne Entwicklun­g einleitete, die Europa heute in seine tiefste Krise bringt«. Dies sei aber von Kohl nicht so beabsichti­gt gewesen.

Mit Blick auf die Rolle Kohls im Wendeherbs­t 1989 und bei der darauffolg­enden Vereinigun­g heißt es, Kohl habe »die deutsche Einheit zu seinem Anliegen gemacht, wenn auch die wirtschaft­lichen Weichenste­llungen zu großen sozialen Verwerfung­en in Ostdeutsch­land führten«. Dabei habe der Langzeitre­gierungsch­ef aber »die soziale Spaltung des Landes nie so groß werden lassen wie seine Nachfolger und es vermieden, die Bundesrepu­blik in militärisc­he Abenteuer zu stürzen« – ein Kritik vor al- lem an der ab 1998 regierende­n rotgrünen Koalition. Zur Rolle Kohls in der Spendenaff­äre äußerten sich die Linkenspit­zen nicht. Der Präsident der Europäisch­en Linksparte­i, Gregor Gysi erklärte, »trotz unterschie­dlicher politische­r Auffassung­en muss auch ich die Verdienste betonen«. Kohls »Leitbild war ein europäisch­es Deutschlan­d, kein deutsches Europa«.

Auch weltweit wurde der Tod Kohls bedauert. Italiens früherer Ministerpr­äsident Matteo Renzi nannte den Altkanzler einen Giganten. Dass US-Präsident Donald Trump sich erst vergleichs­weise spät überhaupt zu Wort meldete, wurde aufmerksam registrier­t.

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