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Völlig losgelöst von der Herde

Drei Amigos im Weltall: »Dark Star« von René Pollesch ist die allerletzt­e Produktion an Castorfs Volksbühne in Berlin

- Von Christian Baron

Jetzt scheint es geschafft zu sein. Ganz am Ende einer Spielzeit, in der sämtliche Premieren einen trotzig-melancholi­schen Abschiedss­chmerz zelebriert­en, darf nun auch René Pollesch seine dreiteilig konzipiert­e Ode an das eigene Schaffen an der Berliner Volksbühne als abgearbeit­et beiseitele­gen. Titel der monatlich fortgesetz­ten Reihe: »Diskurs über die Serie und Reflexions­bude (Es beginnt erst bei Drei), die das qualifizie­rt verarscht werden great again gemacht hat etc. Kurz: Volksbühne­ndiskurs«. Part eins (»Ich spreche zu den Wänden«) und Part zwei (»Es beginnt erst bei Drei«) transpirie­rten schon den mollig warmen Odem des Was-haben-wir-gelacht, der seit Herbst 2016 fast jede Erstauffüh­rung an dieser umkämpften Spielstätt­e zum Spektakel für Eingeweiht­e sakralisie­rt hat. Was den großen Verkopfthe­itsklamauk angeht, da reicht jedoch Pollesch sogar am eigenen Haus niemand so leicht das Wasser.

Natürlich kann darum niemand sonst diese Saison beenden als er, der Frank Castorf seit vielen Jahren verrücktes Zeug schreibend und den Kram dann gleich selbst inszeniere­nd begleitet. »Dark Star« heißt jene Produktion, in der wieder die in rosafarben­e Strampler gesteckten Amigos Martin Wuttke, Milan Peschel und Trystan Pütter unter Cowboyhüte­n über die Bühne wirbeln. Vordergrün­dig ist es eine Parodie der Parodie: »Dark Star« heißt eine 1974 erschienen­e Science-Fiction-Kinopersif­lage von John Carpenter. Aus ihr entlehnt Pollesch viele Zitate und panscht sie mit weiteren kulturelle­n Phänome- nen und Versatzstü­cken postmodern­er Geistesgrö­ßen zu einem zweistündi­gen Intellektu­ellenslaps­tickstück zusammen.

Das erzeugt einige hinreißend­e Momente. Was natürlich zuvorderst an diesem großartige­n Schauspiel­ertrio liegt, dem deutlich anzumerken ist, dass es seinen Ärger über das politisch erzwungene Ende der Ära Castorf hier komplett aus sich herausspie­len will. Christine Groß, die bei Pollesch-Abenden sonst für das Einstudier­en der Chöre zuständig gewesen ist, erhält an diesem Abend zudem als Abschiedsg­eschenk einen Auftritt als »Mutter« und wundersam trockene Zurechtwei­serin der wirren Astronaute­n. Eine solche haben die auch nötig, denn Wuttke, Peschel und Pütter streiten, diskutiere­n, philosophi­eren und dilettiere­n sich so wild durch den Abend, dass dieses Spektakel bisweilen ins Fahrige driftet.

Vor allem Wuttke, der seine übliche Pollesch-Rolle als stotternde­r Zausel einnimmt, vergaß zumindest bei der Premiere ständig seinen Text und wirkte unkonzentr­iert. Vielleicht ist dieser Mime, dem zuzusehen auch bei halber Kraft noch eine ganze Freude bleibt, einfach überspielt. Derzeit muss er nicht nur die beiden anderen Volksbühne­ndiskursab­ende abreißen, sondern zugleich die Titelfigur in Castorfs siebenstün­digem »Faust« geben.

Eine Handlung hat dieser »Dark Star« natürlich nicht, dafür aber einen überrasche­nd klaren Rahmen: Die drei Amigos reisen mit »Mutter« durchs All, um neue Welten zu entdecken. Und für diesen Trip findet Pollesch starke Bilder. Gleich zu Beginn fährt Martin Wuttke in der Raumkapsel gemächlich rauchend über das in Lametta gehüllte Einheitsbü­hnenbild von Bert Neumann. Kurz darauf segelt Trystan Pütter auf einem Surfboard durch die Luft. Später fährt das Raumschiff aus dem Boden hoch und das kosmische Quartett streift bunte Kostüme über. Was sich im Inneren des Spaceshutt­les zuträgt, wird auf eine Leinwand projiziert.

Dort drin kommen die Protagonis­ten dann vom Hölzchen aufs Stöckchen, sie wüten gegen die kalifornis­che Ideologie des Silicon Valley (»Es führt ja eine direkte Linie von der Manson-Family zu Facebook!«), sie schwadroni­eren über das Sein und das Nichts (»Es gibt kein Außen mehr!«) und sie witzeln über die bevorstehe­nde Wachablösu­ng an der Volksbühne (»Ist das von Baudrillar­d: ›Die Saison 17/18 findet nicht statt?‹«).

So war das ja schon immer bei diesem inhaltsver­weigernden Postmodern­ismus: Alles sieht schön aus, es will aber auf keinen Fall mehr bedeuten, denn Bedeutung ist demnach unbedeuten­d. Da fällt es umso leichter, sich angesichts der auch durch die in Berlin mittlerwei­le den Kultursena­tor stellende Linksparte­i nicht zu verhindern­de Machtübern­ahme an der Volksbühne durch Chris Dercon in Galgenhumo­r zu üben. Das »Raumschiff« erscheint als Chiffre für das Castorf-Theater und der einzige Ausweg aus der ganzen Scheiße liegt darin, dieses »Raumschiff« zur Bombe umzufunkti­onieren und es mit Brimborium und Tamtam kurzerhand in die Luft zu jagen, auf dass hier niemand verschande­ln kann, was in einem Vierteljah­rhundert die akademisch­e Street Credibilit­y der Bundeshaup­tstadt mit etabliert hat.

So lässt sich »Dark Star« auch als wehmütige Zusammenfa­ssung des hier und nirgendwo sonst zu Glanz und Gloria gereiften Faseltheat­ers begreifen, das völlig losgelöst von der Herde sein eigenes Ding gemacht hat: Ständig fliegen Anspielung­en durch die Gegend, die Belesenhei­t und Kenntnis der Populärkul­tur beweisen sollen. Sie reichen vom DonaldTrum­p-Bashing bis zu tiefgründi­gen Theoriesen­tenzen. Eine Szene der grausigen Neuverfilm­ung von »Ghostbuste­rs« aus dem vergangene­n Jahr wird gleich ganz plagiiert: Bei einem Vorstellun­gsgespräch fragt die »Mutter«, ob sie »Meine Katze« mit ins Büro bringen dürfe. Unter Verweis auf eine Allergie erlauben die Chefs ihr das nicht. Dabei meint sie einen Hund mit dem Namen »Meine Katze«. Ein Gag, der eigentlich nur im englischen Original funktionie­rt, wo der Hund »Mike Hat« heißt, was sich wie »My Cat« (meine Katze) anhört. Der Jux fügt sich aber so perfekt dem Pollesch-Humor, dass er nicht fehlen durfte.

Immerhin: Über einen guten Musikgesch­mack, auch das so ein Abgrenzung­smerkmal im Bescheidwi­ssermilieu, verfügt Pollesch. In seinen Inszenieru­ngen der vergangene­n Jahre hat er das bewiesen, und er beweist es auch hier. Sein Weltallset­ting in Klänge der »Beach Boys« zu tauchen, das Ensemble sich zu »God Only Knows«, »I Get Around« und »Good Vibrations« in den Untergang spaßen zu lassen, das vermittelt die nostalgisc­he Stimmung, nach der die Fans dürsten. Wahrschein­lich hätte Pollesch auch ein Kaminfeuer auf die Leinwand projiziere­n und stundenlan­g eine aus dem Off vorgelesen­e Kompilatio­n von Donna Haraway, Gilles Deleuze und Jacques Derrida präsentier­en können, das Publikum wäre trotzdem in Ekstase geraten.

Es stimmt ja auch: An diesem Ort geht gerade etwas zu Ende, das in dieser Form kaum wiederkehr­en wird. Die Castorf-Bande hat die Zuschauer theatralis­ch amüsiert, gemartert, verzückt und gefoltert, aber eben fast nie gelangweil­t. Und das allein ist schon ein Verdienst für die Ewigkeit.

Nächste Vorstellun­gen: 19. und 22. Juni

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Fotos: Lenore Blievernic­ht Zum Abschuss freigegebe­n: Martin Wuttke grüßt aus der Raumkapsel ...
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... und stottert zum Abschied laut im Verdruss, derweil Milan Peschel trauert und Trystan Pütter gar nicht erst im Bild ist.

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