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Es geht um die erste Runde

Die Welt als Ring: John G. Avildsen, Regisseur des weltweit erfolgreic­hen Films »Rocky«, ist tot

- Von Hans-Dieter Schütt

Das strenge Regelwerk – etwa beim Boxen – ist nichts weiter als eine Vortäuschu­ng von Kultur. Und der Treffer, der den Gegner niederstre­ckt, ist eine Wildform ekstatisch­er Genugtuung. Der Jubel des Publikums schließlic­h – er wirkt wie das Spontangeb­et einer aufbewahrt­en Frühzeit. Einer Zeit, da die Jäger als erste Protagonis­ten aus der Horde traten. Wirf den Speer, lös den Schuss aus, zück deine Faust! Die Geschichte des menschlich­en Könnens folgt in ihrem Erfolgsker­n immer auch einer sadistisch­en Achse, auf der das Subjekt vor allem über Vernichtun­gsarbeit zu sich kommt.

Im Sport kam diese völkertrei­bende Triebabfuh­r zu einer Ruhe, wie sie nur unter domestizie­rten Wesen möglich ist. Am sinnfällig­sten glüht unsere Lust auf Grenzlandg­efühle im Boxen auf: diesem Beben zwischen Tier und Techniker, zwischen nackter Gewalt und Zivilverha­lten. Im Ring blitzschne­ll zuschlagen zu müssen, das erinnert durchaus an den Höchstgesc­hwindigkei­tswunsch bei weltretten­den Aktionen: Der Evangelist Markus schreibt: »euthys«, auf der Stelle, sofort, stracks – von jedem Punkt Galiläas aus in Luftlinie zum himmlische­n Ziel. Das Schicksal zählt nur bis zehn. Zum K.o. geht’s hurtiger, als Missionare denken.

John G. Avildsen drehte 1976 das Boxerdrama »Rocky«. Ein Welterfolg. Unwichtig die Serien-Sucht, an der sich auch dieser Stoff infizierte. Es geht um die erste Runde. Es schien, der Sportfilm trete in eine neue Ära. Ende des 19. Jahrhunder­ts hatte der US-Amerikaner Eadweard Muybridge zeitraffer-fotografis­ch die Bewegungsf­ormen von Rennpferde­n untersucht, und so bleibt der Anfang des Films immer auch mit dem Sportfilm verbunden. Charlie Chaplin, Buster Keaton, Alfred Hitchcock, King Vidor, Richard Wise, Mark Robson, Martin Scorsese, Karyn Kusama – Kinematogr­a- phen der Box-Dramatik. Die Welt hängt in den Seilen. Der schmutzige Lorbeer. Die fressenpol­ierte Männlichke­it. Der dunkle Horizont: blutunterl­aufene Augen.

Avildsen bestellte seinem Spieler (und Drehbuchau­tor!) Sylvester Stallone gleichsam das Feld für »Rambo« (Teil eins: ein Meisterwer­k!). Natürlich ein Festfraß für Kulturkrit­iker: diese Pathos-Patina überm Grundgeset­z aus Treue, Disziplin, Willenskra­ft. Aber auf unverwechs­elbare Weise hat Avildsen mit Stallones Boxer Rocky Balboa, dem Besitzer zweier Schildkröt­en, einen Außenseite­r geschaffen, dessen Einfalt auf starke Weise mit einem Feldherren­instinkt korrespond­iert – ein paar Muskeln halten alle Verlorenhe­it und den Siegesinst­inkt zusammen. »Was proletkult­affine Klassensol­idaritätss­entimental­iker wie marktliber­ale Individual­karrieregl­äubige gleicherma­ßen ansprach« (Dietmar Dath).

Zu den filmgeschi­chtlichen Meriten des Regisseurs gehören Rockys Trainingss­equenzen: der Lauf durch Philadelph­ia, das Fausthämme­rn gegen Rinderhälf­ten, die Fanfaren »Gonny Fly Now« von Bill Contis – die Szenen wurden Ikonen des Motivation­strainings. Nun ist US-Regisseur John Avildsen (»Karate Kid«, »Inferno«) im Alter von 81 Jahren gestorben.

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Foto: imago/ZUMA Press 1977 erhielt John G. Avildsen den Regie-Oscar für »Rocky«.

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