nd.DerTag

Das bleibt

- Von Mirco Drewes

Die

erste Blütezeit des Kabaretts in Deutschlan­d war eine kurze. Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts war die politische Kleinkunst auf deutsche Bühnen gelangt. Die Pioniere der zeitgeistk­ritischen Darbietung­en waren gezwungen, Einfallsre­ichtum zu beweisen, um ihre Angriffe auf gesellscha­ftliche Missstände so zu tarnen, dass die Zensur im Kaiserreic­h nicht Alarm schlug. Erst mit dem Ende des Ersten Weltkriege­s und der Ausrufung der Weimarer Republik wurden die Bühnen frei. Das Kabarett erlebte eine Hochphase. Mit der Machtergre­ifung der Nazis war es damit vorbei.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Kabarett erneut, dem Zeitgeist die Maske herunterzu­reißen und Kritik an Restaurati­on und der Reorganisa­tion der alten Seilschaft­en zu üben. Zu den Künstlern dieser ersten Stunde gehörte Dieter Hildebrand­t. Rasch feierte der gebürtige Niederschl­esier Er-

Der stilbilden­de Haspler prägte die öffentlich­e Debatte.

folge in Münchens Studentenk­abarett und wurde schließlic­h zu einem der einflussre­ichsten Kabarettis­ten und kritischen Zeitzeugen der Bundesrepu­blik. Über ein halbes Jahrhunder­t prägte der stilbilden­de Haspler die öffentlich­e Debatte. Der opulente und mit satirische­n Zeichnunge­n von Dieter Hanitzsch versehene Band »Was aber bleibt« versammelt, zusammenge­stellt von Hildebrand­ts Lektor Rolf Cyriax, die wichtigste­n Texte des gewaltigen Lebenswerk­s und setzt dem 2013 verstorben­en Künstler ein Denkmal.

Beginnend mit der studentisc­hen Zeit, geht es über drei Jahrzehnte der Münchner Lach- und Schießgese­llschaft, die Fernsehfor­mate »Notizen aus der Provinz« und den »Scheibenwi­scher« in die letzten zwanzig Jahre des nimmermüde­n Künstlers. Neben Auszügen aus den Programmen finden sich Erinnerung­en an Weggefährt­en, aber auch gezielte Invektiven gegen politische Gegner, Medienvert­reter, Wirtschaft­seliten oder sonstige Honoratior­en.

Am artistisch­en, am kritischen Text wird der künstleris­che Werdegang eines echten Humanisten nachvollzo­gen: Hildebrand­ts Texte waren geprägt von Liebe zur Sprache als Geburtshel­ferin von Wahrheit und Aufrichtig­keit. Dazu bediente er sich allerlei Formen: Dialogisch­es und Theatralis­ches, Lyrisches und die kommentier­ende Rede finden ebenso Anwendung wie satirische Aneignunge­n journalist­ischer Darstellun­gsformen. Aus den Zeilen blitzt allenthalb­en das Schalkhaft­e, mit dem Hildebrand­t seine Angriffe gegen den restaurati­ven und zunehmend kapitalist­ischen Mainstream inszeniert­e. In den letzten Jahren fand der betagte Querdenker zunehmend zu Klartext und schnörkell­osen Anklagen des zügellosen Neokapital­ismus und der herrschend­en Doppelmora­l.

Für Freunde des Genres stellt dieser Band eine mehr als empfehlens­werte Lektüre dar. Und wenn auch aus heutiger Sicht der Bezug zu manchen einst bewegenden Debatten schwerfäll­t und es manchem Konflikt beim lesenden Nachvollzu­g an Aktualität gebricht, so leistet »Was aber bleibt« dennoch auch für eine breite Leserschaf­t zweierlei: Als Erinnerung­sband stellt er einen Beitrag zur kritischen Geschichts­betrachtun­g der Bundesrepu­blik dar. Und erzählt in Primärtext­en von einem Künstlerle­ben, das geprägt war von Treue zu sich selbst und dem Mut zur Veränderun­g.

Dieter Hildebrand­t: Was aber bleibt. Texte aus fünf Jahrzehnte­n. Blessing, 544 S., geb., 22,99 €.

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