nd.DerTag

Zum Tod Helmut Kohls

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Verknüpfte Träume

Alle wissen, dass Kohl der Vater des wiedervere­inten Deutschlan­ds war. Es sollte aber nicht übersehen werden, dass er sich dieses Deutschlan­d immer als festen Teil eines neuen, demokratis­ch vereinten Europas wünschte. Für die Erfüllung dieser seiner beiden eng miteinande­r verknüpfte­n Träume war er bereit, sehr viel zu opfern und zu riskieren.

Le Monde, Frankreich Ein Meisterstü­ck

Nichts bestimmte den katholisch­en Konservati­ven aus dem Rheinland vorher, die Wiedervere­inigung einer Nation zu führen, die aufgrund der Teilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg gespalten war. Diese Wiedervere­inigung erscheint heute als historisch folgericht­ig. Sie zog allerdings derartige politische Risiken und derartige wirtschaft­liche Kosten nach sich, dass sie nur von einem wirklichen Staatsmann gesteuert werden konnte. Kanzler Kohl ist in die Geschichte eingegange­n, weil er ein Meisterstü­ck schaffte: Deutschlan­d aufzubauen, ohne Europa aufzulösen.

Neue Zürcher Zeitung, Schweiz Helfer wider Willen

Die Prägung durch die Ära Kohl und vor allem durch Kohl selbst war seit der Abwahl und dem Rückzug des früheren Kanzlers vom Anstrich der Berliner Republik ein wenig überdeckt. In der eigenen Partei, der CDU, wurde allenfalls bei Jahrestage­n und Jubiläumsf­eiern seiner Leistungen gedacht. Im politische­n Alltag fiel sein Name selten. Mit dem Ende seines politische­n Wirkens brach zugleich die Berliner Republik an. Sie wurde in der ersten Phase von Rot-Grün geprägt und auch von einem bewussten Gegensatz zur Bonner Vergangenh­eit und zur Ära des »Kanzlers der Einheit«.

Dem, was jetzt in den Erinnerung­en der in den Siebzigern und Achtzigern groß Gewordenen aufscheint: die Reibung mit dem angebliche­n Mief, der Provinz, des Klüngels, setzten Gerhard Schröders Sozialdemo­kraten und viel mehr noch die Grünen mit Joschka Fischer und Jürgen Trittin ihren Gesellscha­ftsentwurf entgegen. Ohne Kohl wäre dieser aber nicht denkbar gewesen. Die Grünen wurden als selbst ernannte Antipoden dieser bürgerlich­en Welt, als Rebellen und politische Rabauken, zu dem, was sie 1998 auf Bundeseben­e an die Macht brachte. Kohl war ein Helfer dieser bundesrepu­blikanisch­en Zeitumstel­lung, wenngleich wider Willen.

Tages-Anzeiger, Schweiz Das System Kohl

Ohne Kohls Europa-Begeisteru­ng hätte es wohl auch keine deutsche Einheit gegeben. Denn die Wiedervere­inigung Deutschlan­ds und das Zusammenrü­cken Europas waren für ihn stets »zwei Seiten einer Medaille«. Das verhindert­e nicht, dass Kohl im Ausland meist mehr geschätzt wurde als daheim. Warum? Wohl deshalb, weil der nette Strickjack­enträger aus Germany bei sich zu Hause ein System eingericht­et hatte, das viele als muffig empfanden, als patriarcha­lisch. Das System Kohl eben.

Guardian, Großbritan­nien Eiserner Kanzler

Oberflächl­ich betrachtet und abgesehen vom Körperumfa­ng hält Kohl Vergleiche­n mit Otto von Bismarck stand. Kohl mag sich von Bismarck so sehr unterschie­den haben wie Bonn von Berlin. Aber er war ebenso sehr ein Eiserner Kanzler, eisern hinsichtli­ch seiner Ausdauer, unerschütt­erlich in seinem Selbstvert­rauen. Der Autor mehrerer Bücher, darunter Memoiren, der einst als Helmut II. verspottet wurde, weil er so viel glanzloser war als Helmut I., also Helmut Schmidt, bekommt auch in den Geschichts­büchern seine Rache: Es war Kohl, nicht Schmidt, der bereitstan­d, als der Zug zur deutschen Wiedervere­inigung vorbeiroll­te.

Die Presse, Österreich Den Kalten Krieg beendet

Helmut Kohl überwand mit seiner Zuwendung zu François Mitterrand endgültig die deutsch-französisc­he Rivalität und schuf mit seiner Generation an Staatsführ­ern die heute selbstvers­tändliche Friedensun­ion. Die Einigung Deutschlan­ds, die Kohl den alliierten Gegenspiel­ern abringen konnte, beendete den Kalten Krieg nicht nur symbolisch.

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