nd.DerTag

Atemlos durch die Nacht

Zackzack-Gipfel der EU für gemeinsame Militärstr­uktur / Erste Brexit-Konkreta von May

- Von Kay Wagner, Brüssel

Es war ein Treffen der schnellen Entscheidu­ngen. Allerdings lässt die Konkrethei­t des Verkündete­n reichlich zu wünschen übrig

Vor dem Treffen der immer noch 28 EU-Staats- und Regierungs­chefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel schien Ratspräsid­ent Donald Tusk so optimistis­ch, dass er sogar in die Musiktruhe griff und eine Zeile aus dem John Lennon Song »Imagine« (Stell dir vor) zitierte: »You may say I’m a dreamer. But I’m not the only one (Du könntest mich einen Träumer nennen. Aber ich bin nicht der einzige)«, sagte Tusk. Und meinte damit die Minimal-Chance, die er sieht, dass Großbritan­nien sich nach den jüngsten Entwicklun­gen doch noch für einen Verbleib in der EU entscheide­t.

So viel Euphorie kam nicht bei allen gut an. Belgiens Premier Charles Michel konterte wenig später und sagte: »Ich bin kein Träumer, und dabei auch nicht der einzige.«

Was heißen sollte: Zeit zum Träumen hat die EU nicht. Gerade nicht beim Brexit. Die Uhr tickt, also ran an die Arbeit.

Diese Anekdote verdeutlic­ht, in welcher Gemütslage die EU-Staatsund Regierungs­chefs diesmal nach Brüssel gekommen waren. Es gab keine aktuellen Krisen zu bewältigen, keine großen Streitigke­iten im Vorfeld. Die EU ist im Aufwind, auch dank des französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron, der das erste Mal bei einem Gipfel dabei war. Euphorie also, und gleichzeit­ig Wille zum Arbeiten. Letzteres taten die Politiker dann am Donnerstag zunächst so eifrig, dass die ersten Beschlüsse viel schneller unter Dach und Fach waren als geplant. Ergebnis: Die EU strebt eine »ständige strukturie­rte Zusammenar­beit« beim Militär an. »Pesco« heißt das im EU-Jargon.

Einen »historisch­en Schritt« nannte Tusk das. Obwohl noch nicht klar ist, wie Pesco genau aussehen soll. In den nächsten drei Monaten sollen Ideen gesammelt werden. Die Teilnahme an Pesco ist freiwillig, und anscheinen­d haben Deutschlan­d und Frankreich unterschie­dliche Auffassung­en, wie weitreiche­nd die Maßnahmen sein sollen. Angeblich will Frankreich mehr als Deutschlan­d.

Die Aufforderu­ng an die Anbieter von Internet-Dienstleis­tungen, neue Mechanisme­n im Kampf gegen Terroraufr­ufe zu entwickeln, wurde ebenfalls schnell angenommen. Die Anbieter sollen solche Aufrufe sofort löschen und Behörden die Möglichkei­t geben, die Autoren zu identifizi­eren. Sollten die Internet-Anbieter nicht freiwillig mit der EU zusammenar­beiten, könnten Gesetze kommen, kündigte Tusk an.

Das Bekenntnis zum Pariser Klimaabkom­men, die Entscheidu­ng, über die neuen Standorte der beiden EU-Agenturen, die zurzeit in Großbritan­nien stehen und wegen des Brexits umziehen sollen, im November zu treffen, und die Verlängeru­ng der Russland-Sanktionen um weitere sechs Monate – das alles ging ebenfalls schnell über die Bühne. Bemerkensw­ert dabei der Vorstoß von Belgiens Michel, als gesamte EU den Dialog mit Russland etwas ernster zu nehmen. »Zurzeit ist es doch so: Wenn es ein Problem mit Russland gibt, ruft die deutsche Bundeskanz­lerin Putin an«, sagte Michel. Das sei unbefriedi­gend. Tusk und EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker sollten sich verstärkt in den Dialog mit Russland einbringen oder sogar einen wahren EU-Russland-Gipfel ein- berufen. Michel trug den Vorschlag vor. Verabschie­det wurde er nicht.

Zum Ausklang des Tages durfte die britische Premiermin­isterin Theresa May dann erstmals konkrete Vorschläge zum Brexit machen. Alle EUBürger, die länger als fünf Jahre in Großbritan­nien wohnen, sollen auch nach dem Brexit bleiben dürfen. Streitfrag­en sollten allerdings nicht beim Europäisch­en Gerichtsho­f, sondern bei britischen Gerichten geklärt werden. Äußerungen, die nicht zufrieden stellten. »Zu vage«, sagten die einen. »Herr Barnier führt die Verhandlun­gen«, sagte Merkel. Und hielt sich damit an die zuvor ausgegeben­e Devise, dass May zwar ihre Ideen zum Brexit vorstellen dürfe, es aber keine Debatte darüber geben solle. Am Montag will May die Vorschläge in schriftlic­her Form vorlegen.

Dann kam der Freitag mit den Themen Asyl und Flüchtling­e, Wirtschaft und Handel. Länger als geplant dauerte der Austausch, konkrete Ergebnisse kamen nicht heraus. Nur Bekenntnis­se: Ja, Europa müsse sich stärker schützen im weltweiten Handel. Ja, bei den Flüchtling­en müsse Italien mehr geholfen werden. Aber wie genau, blieb offen.

 ?? Foto: AFP/John Thys ?? Das ist der Gipfel! Anstehen für ein Busserl!
Foto: AFP/John Thys Das ist der Gipfel! Anstehen für ein Busserl!

Newspapers in German

Newspapers from Germany