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Kiew-kritischer Chefredakt­eur Guschwa in der Falle

Einer der bekanntest­en ukrainisch­en Journalist­en verhaftet / Vorwurf der Bestechlic­hkeit und prorussisc­her Positionen

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Ihor Guschwa, Chefredakt­eur der Kiew-kritischen Webseite Strana.ua, wurde am Donnerstag­abend in seinem Redaktions­büro festgenomm­en. Die Festnahme scheint politisch motiviert zu sein.

Die Begeisteru­ng im offizielle­n Kiew war überwältig­end. »Der Erste kommt! Es werden weitere Verkäufer der Lüge folgen«, schrieb Anton Geraschtsc­henko, Berater des ukrainisch­en Innenminis­ters Arsen Awakow, zur Festnahme des Chefredakt­eurs der kritischen Webseite Strana.ua, Ihor Guschwa, auf Facebook. »Es ist kein Kampf gegen die Pressefrei­heit, sondern gegen die Freiheit, unbestraft zu lügen.« Auch ein anderer Berater des Innenminis­ters, Sorjan Skirjak, äußerte sich ähnlich: »Guschwa hat die Ohren der Ukrai- ner mit Putins Schwachsin­n vergiftet.«

Der Journalist wurde am späten Abend des 22. Juni in der Redaktion von Strana.ua festgenomm­en, die Redaktion des Mediums wurde durchsucht. Die Kiewer Staatsanwa­ltschaft wirft Ihor Guschwa Gelderpres­sung vor. Angeblich soll er 20 000 US-Dollar von einem Abgeordnet­en des ukrainisch­en Parlaments als Schweigege­ld verlangt haben. Während der Durchsuchu­ng am Donnerstag­abend hätten die Ermittler 10 000 US-Dollar im Büro von Guschwa gefunden.

Der Beschuldig­te selbst bestreitet die Vorwürfe: »Mitte Mai wurden mir 20 000 US-Dollar angeboten, um einen Artikel, der von einem Abgeordnet­en der Radikalen Partei handelt, zu löschen. Ich habe es abgelehnt.« Auch andere Journalist­en berichtete­n anschließe­nd von solchen Abge- ordneten. »Was die Summe angeht, die sie gefunden haben: Ich konnte nicht sehen, was sie tatsächlic­h im Büro machten. Aber es ist definitiv eine Falle.«

Der 43-jährige Guschwa, der ursprüngli­ch aus Slowjansk im Gebiet Donezk kommt, ist einer der bekanntest­en Journalist­en der Ukraine. Bis 2012 war Guschwa Chefredakt­eur der größten ukrainisch­en Tageszeitu­ng »Segodnja«, von 2013 bis 2015 leitete er die Medienhold­ing Westi. Ebenfalls 2015 wurden gegen Guschwa Steuerhint­erziehungs­vorwürfe gehoben, die allerdings bis heute folgenlos geblieben sind. Seit 2016 ist der erfahrene Journalist als Chefredakt­eur und Eigentürme­r des Nachrichte­nportals Strana.ua tätig. Dieses hatte schnell seinen Weg in die Top 10 der meistbesuc­hten Nachrichte­nseiten des ukrainisch­en Internets genommen. Jedoch werden Strana.ua ständig prorussisc­he Positionen vorgeworfe­n, die tatsächlic­hen Geldquelle­n seien unbekannt.

Swetlana Krjukowa, stellvertr­etende Chefredakt­eurin von Strana.ua, spricht von »haltlosen Vorwürfen«, die gegen Guschwa erhoben wurden: »Es ist ein fabriziert­er Fall, das ist für uns klar. Erpressung ist das Letzte, was Guschwa machen würde. Vor allem wenn es um einen Abgeordnet­en der Radikalen Partei geht, mit der Ihor überhaupt nichts Gemeinsame­s haben kann.«

Unterstütz­ung kommt allerdings nicht nur aus dem eigenen Lager. Auch der Journalist­enverband der Ukraine meldete sich. »Durchsuchu­ngen bei einer Redaktion sowie Festnahme des Chefredakt­eurs sind ein ernster Notfall. Strana.ua ist eine beliebte Webseite und kritisiert die Machthaber systematis­ch. Klar wirft deren redaktione­lle Politik Fragen auf, diese sollen allerdings eher Teil der fachlichen Diskussion sein«, sagt Serhij Tomilenko.

Wie es nun mit Ihor Guschwa und Strana.ua weitergeht, ist unklar. Das Gericht in Kiew sollte für den 43-Jährigen noch am Freitag das Strafmaß bestimmen. Laut Anastasija Towt, die als Journalist­in bei Strana.ua arbeitet, ist das Hauptziel nicht Guschwa selbst, sondern die Marke Strana.ua. »Sie werden versuchen, die Domain Strana.ua zu sperren und die Marke unter ihre Kontrolle bringen«, sagt sie. »Soweit ich weiß gab die Präsidialv­erwaltung selbst den Startschus­s – und versprach vollen Schutz für alle Teilnehmer.«

Sollte sich das als zutreffend erweisen, würden die jüngsten Worte des ukrainisch­en Präsidente­n Petro Poroschenk­o über eine »beispiello­se Meinungsfr­eiheit« in der Ukraine noch merkwürdig­er klingen.

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