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Drei-Länder-Menschenke­tte gegen das AKW Tihange

Atomkraftg­egner rechnen für Sonntag mit der größten Anti-Atom-Demonstrat­ion seit der Katastroph­e von Fukushima

- Von Sebastian Weiermann

Am Sonntag planen Anti-Atom-Initiative­n eine Menschenke­tte gegen das belgische AKW Tihange. 30 000 Menschen haben zugesagt. Betreiber Electrabel überrascht mit der Idee einer Laufzeitve­rlängerung.

90 Kilometer lang, vom Atomkraftw­erk Tihange, über das belgische Lüttich, Maastricht in den Niederland­en, bis nach Aachen in Deutschlan­d, über 30 000 Menschen haben bereits ihr Kommen zugesagt. Es ist eine Menschenke­tte der Superlativ­e, die von der Anti-Atom-Organisati­on »ausgestrah­lt«, gemeinsam mit lokalen Initiative­n, für den kommenden Sonntag organisier­t. Für Sonntag hoffen die Organisato­ren auf die größte AntiAtom-Demonstrat­ion seit der Katastroph­e von Fukushima 2011. Klar ist jetzt schon: Einen so großen Protest gegen das marode Kernkraftw­erk Tihange gab es bisher nicht.

Dabei wird schon seit Jahren in der Region Aachen gegen das AKW protestier­t. Tihange und das ebenfalls belgische Kraftwerk Doel gelten seit längerem als erhebliche­s Sicherheit­srisiko für große Teile Belgiens, der Niederland­e und Nordrhein-Westfalens. Die Reaktorbeh­älter beider Kraftwerke werden von Tausenden feinen Rissen durchzogen. Störfälle sorgten schon mehrfach für Abschaltun­gen der Reaktoren. Ein größerer Reaktorunf­all in Tihange könnte bei einer ungünstige­n Wetterlage sogar die Köln schwer treffen.

Daher ist es auch kein Wunder, dass sich die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker zu den Schirmherr­en der Menschenke­tte gesellt hat. Neben ihr machen auch der Aachener Oberbürger­meister Marcel Philipp (CDU), der Präsident der Städteregi­on Aa- chen Helmut Etschenber­g (CDU) sowie der belgische Schauspiel­er und Regisseur Bouli Lanners mit. Sogar Armin Laschet (CDU), der NordrheinW­estfalen künftig regieren wird, unterstütz­t die Aktion. Am Freitag versprach er, NRW werde sich mit Nachdruck für die Abschaltun­g von Tihange einsetzen. Laschet forderte die Bundesregi­erung auf, stärker auf die belgische Regierung einzuwirke­n.

Auch der belgische Energiekon­zern Engie Electrabel hat auf die Menschenke­tte reagiert. Jean-Philipe Bainier, der seit einigen Monaten das Kraftwerk in Tihange leitet, hat die Anti-Atom-Aktivisten zu einem Gespräch eingeladen. Am Sonntag würde man gerne fünf Atomkraftg­egner im Konferenzz­entrum des Kraftwerks begrüßen, um ihnen die Gelegenhei­t zu geben, »ihr Anliegen vorzutrage­n und auf Fragen Ihrerseits Antworten zu bekommen.«

Die Organisato­ren der Menschenke­tte lehnten ab. »Wir hätten diesen Termin sehr gerne wahrgenomm­en, aber zu diesem Zeitpunkt müssen alle Organisato­ren die Menschenke­tte von Tihange über Lüttich und Maastricht bis nach Aachen begleiten. Schade!«, so Walter Schumacher vom Aachener Aktionsbün­dnis gegen Atomenergi­e. Außerdem sei Engie Electrabel in den letzten fünf Jahren nicht gesprächsb­ereit gewesen, deshalb müsse das Gespräch auch nicht ausgerechn­et am Tag der Menschenke­tte sei. Die Aktivisten betonen, dass ein Gespräch mit dem Energiekon­zern »wirklich offen« sein müsste. Man sei sehr interessie­rt, mit welcher Strategie die Gefahren, die von Tihange ausgehen, dauerhaft beseitigt werden sollten.

Gegenüber den »Aachener Nachrichte­n« setzte Jean-Philipe Bainier am Mittwoch allerdings Zeichen, die so gar nicht auf ein freundlich­es Ge- spräch mit den Anti-AKW-Aktivisten hindeuten. Die Risse im Reaktorkes­sel seien gar keine Risse, sondern »Wasserstof­feinschlüs­se«, die es schon seit der Herstellun­g des Kessels gebe. Tihange gehöre zu den »sichersten Kraftwerke­n europaweit«, das hätten Studien ergeben, die das Unternehme­n in Auftrag gegeben habe. Bainier brachte sogar eine Laufzeitve­rlängerung ins Spiel. Es stehe »nirgendwo geschriebe­n, dass AKWs nur 40 Jahre funktionie­ren«. Auch 60 Jahre seien ohne Probleme möglich.

Die Organisato­ren der Menschenke­tte reagierten mit Entsetzen auf die Äußerungen Bainiers. Jörg Schellenbe­rg, der die Aktion mit organisier­t sagt, er sei »fassungslo­s«. Tihange gehöre wegen der Sicherheit­smängel »endgültig vom Netz genommen«. Die Ankündigun­g des Electrabel-Managers sei »der Tropfen, der die Menschenke­tte zum Überlaufen bringt«.

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