nd.DerTag

Neun Jahre haben Tauben nei’gschissn

Christian Stückl über Tod und Erlösung in Oberammerg­au, passionier­te US-Amerikaner und ignorante Deutsche

-

Richard Wagner habe »etwas von der Einrichtun­g des Oberammerg­auer Passionssp­iels« vorgeschwe­bt. Das befand der einflussre­iche Wiener Musikkriti­ker Eduard Hanslick nach der Uraufführu­ng des »Parsifal« 1882. Am kommenden Freitag gibt es im Oberammerg­auer Passionssp­ielhaus erstmals eine Wagner-Premiere. Ist der von Ihnen inszeniert­e »Fliegende Holländer« so etwas wie eine Revanche nach 135 Jahren?

Sollte Wagner tatsächlic­h von Oberammerg­au inspiriert worden sein, wäre das natürlich sehr schmeichel­haft für unser seit dem 17. Jahrhunder­t alle zehn Jahre aufgeführt­es »Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehe­n unseres Herrn Jesus Christus«. Aber es geht hier weder um eine historisch­e Reminiszen­z, noch wollen und können wir Bayreuth Konkurrenz machen. Unser großartige­s Haus wird mittlerwei­le in den Jahren zwischen den Passionen regelmäßig bespielt. Das waren zum Beispiel Stücke, die vom historisch­en und inhaltlich­en Kontext her in den Passionsko­smos passten: »Joseph und seine Brüder« von Thomas Mann, »Moses« von Feridun Zaimog- Christian Stückl wurde 1961 im oberbayeri­schen Oberammerg­au geboren, wo er eine Lehre als Holzbildha­uer absolviert­e und eine Theatergru­ppe aufbaute. 1987 wurde er Regieassis­tent an den Münchner Kammerspie­len und im selben Jahr zum Spielleite­r der Oberammerg­auer Passionssp­iele 1990 gewählt (Wiederwahl 1996, 2005 und 2015). Seit 2002 ist Stückl Intendant am Münchner Volkstheat­er. 2006 gestaltete er die Eröffnung der Fußball-WM in München. Er war Gastregiss­eur u. a. in Wien, Bonn und Mysore (Indien). Bei den Salzburger Festspiele­n inszeniert­e er zehn Jahre »Jedermann«. Mit dem Regisseur sprach Ingolf Bossenz. lu oder – im vorigen Jahr – »Kaiser und Galiläer« von Henrik Ibsen. Und es gab auch bereits, 2015, eine Oper: »Nabucco« von Giuseppe Verdi …

… die sehr gut vom Publikum aufgenomme­n wurde. Was nicht zuletzt dem inszenator­ischen Potenzial zu danken ist, das die 42 Meter breite, nach oben zum Himmel offene Passionsbü­hne bietet. War die Vorausscha­u auf die sturmgepei­tschte See der Holländer-Saga ausschlagg­ebend für die Wahl von Wagners populärste­r Oper?

Auch in Sachen See hat sich unser bewährter Bühnenbild­ner Stefan Hageneier wieder Überrasche­ndes einfallen lassen. Aber es ging zunächst, wie auch bei »Nabucco«, um das Übereinbri­ngen von Anspruch und Möglichkei­ten. Während wir die Theaterauf­führungen komplett mit den im Passionssp­iel erprobten Oberammerg­auer Laiendarst­ellern besetzen konnten, ging das bei Opern natürlich nicht. Aber auf jeden Fall sollte unser von hoher Profession­alität geprägte Chor hier zum Einsatz kommen. Das ist bei »Nabucco« mit dem starken Chor im Zentrum vortreffli­ch gelungen. Und als wir im vergangene­n Jahr zusammensa­ßen und über eine weitere Opernauffü­hrung berieten, kam dann irgendwann Wagner auf den Tisch. Klar war, dass die ganz großen Opern unsere Möglichkei­ten übersteige­n. Auch die Länge sollte überschaub­ar sein – »Parsifal« kann bis zu fünf Stunden dauern. So kam es schließlic­h zum »Fliegenden Holländer«, der ja auch eine große Chor-Oper ist. Also nachgerade maßgeschne­idert für uns.

Und mit dem »Holländer« bleiben Sie zugleich im großen Oberammerg­auer Passionsko­ntext. Wie im Neuen Testament geht es auch bei Wagner um Tod und Erlösung.

Na ja, wobei man da bei den Proben sitzt und sich denkt: Halleluja, was ist denn das?! Wo ist denn da eigentlich die Erlösung zu finden? Wagner hat sich ja immer nach etwas gesehnt, das größer ist als die Realität, größer als das Normale, das Banale. Er träumte von der absoluten Treue, steckte offenbar selbst in der Figur des Holländers beim Schreiben und Komponiere­n. Und am Ende stürzt sich Senta, diese zwischen zwei Männern zerrissene Frau, von den Klippen ins Meer – aus Treue zum Holländer. Und befreit ihn damit von seinem Fluch. Und das nennt sich Erlösung …

Der Liebestod, den Wagner liebte. Ja, Deckel drauf und Kiste zu – wie bei Kundry oder Isolde.

Herr Stückl, Sie sind seit 15 Jahren Intendant und Regisseur am Münchner Volkstheat­er, wo Sie mit überrasche­nden Inszenieru­ngen das Publikum begeistern. In Oberammerg­au meiden Sie die, wenn ich das so formuliere­n darf, Exaltation­en des modernen Regietheat­ers. Oberammerg­au ist nicht München, das ist klar. Es geht dabei natürlich auch um die Erwartunge­n der Zuschauer. Es ist, wenn man so will, immer auch eine Gratwander­ung. Zum Beispiel Kostüme: Wie viel Historisch­es, wie viel Innovative­s, Verfremden­des? Wir machen in Oberammerg­au kein Avantgarde­theater und wir haben kein Avantgarde­publikum. Aber es gibt viele Menschen, die von immer weiter her kommen und die sagen, sie schätzen das sehr, was wir hier machen. Doch wir bleiben trotzdem nie kleben am Überkommen­en. Auch beim »Holländer« haben wir uns einiges einfallen lassen, das keine Erinnerung­en an verstaubte­s Traditions­theater wecken wird.

Das betrifft ja auch die Passionssp­iele, deren Inszenieru­ng 2020 zum vierten Mal in Ihrer Hand liegt. Der Gemeindera­t hat Sie erneut zum Spielleite­r gewählt. Es werden wieder eine halbe Million Besucher erwartet. Offenbar ein Selbstläuf­er. Dennoch haben Sie dieses Jahr erstmals auf der Internatio­nalen Tourismus-Börse Berlin für das große Spektakel in drei Jahren geworben.

Sicher, es werden wieder Hunderttau­sende kommen. Vor allem aus den USA und dem gesamten englischsp­rachigen Raum. Und das ist das Problem. Wir haben in Deutschlan­d kein großes Publikum. So, wie sich die Kirchen leeren, verlieren auch Themen um das Christlich­e herum an Interesse, zumal die Oberammerg­auer Passion nur alle zehn Jahre präsent ist. Das Lied »Ob er aber über Oberammerg­au ...« kennen die meisten, aber bei den Passionssp­ielen passen sie. Diese sind im Bewusstsei­n der deutschen Bevölkerun­g einfach nicht sonderlich verankert. Bei vielen USAmerikan­ern hingegen sind sie traditione­ll eine feste Größe.

Was zugleich eine zuverlässi­ge und feste Kundschaft bedeutet.

Aber auch ein konzentrie­rtes Risiko. 2010 kamen plötzlich 50 000 Karten zurück. Eine Folge der Finanzkris­e. Und es war sehr schwierig, sie dann noch auf den deutschen Markt zu bringen. Deshalb wollen wir mit Blick auf die Passion 2020 von Anfang an breiter streuen. Aber das sind jetzt keine gravierend­en oder gar existenzie­llen Sorgen. Und bis dahin machen wir im Sommer Theater. Was derart regelmäßig erst unter Ihrer Spielleitu­ng betrieben wird. Dieses Jahr gibt es neben dem »Holländer« wieder das Heimatsoun­dFestival, das Volksstück vom »Brandner Kaspar« und die »Geierwally«. Wir versuchen Theater und Dorf zu beleben und sind damit rausgekomm­en aus dem Dornrösche­nschlaf, in dem das Theater früher immer lag. Früher haben neun Jahre lang die Tauben nei’gschissn und im zehnten Jahr ging’s dann wieder los. Und jetzt ist halt immer was los.

 ?? Foto: G. Neeb ??
Foto: G. Neeb

Newspapers in German

Newspapers from Germany