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Palmen, Steine und Beton

Zum zweiten Mal spielt die DFB-Elf in Sotschi, im gigantoman­ischen Olympiapar­k von 2014

- Von Jirka Grahl, Sotschi

Sotschi gilt als eine der schönsten Städte Russlands und gleichzeit­ig aber auch als Sporthaupt­stadt des riesigen Landes. Beides geht nur bedingt gut zusammen, wie man auch beim Confed Cup erleben kann. Für DDR-Bürger war die Schwarzmee­rstadt Sotschi einst ein Sehnsuchts­ort: Strand mit Palmen, türkisfarb­enes Meer, Delfine, Wein, Pelmeni, Konfekt und das alles vor den schneebede­ckten Höhen des Kaukasus. Glücklich war, wer eine der einwöchige­n Reisen mit dem DDR-Reisebüro ergatterte. Ende der 80er Jahre plante das Sowjet-Reisebüro Inturist, Sotschi als eine Art Mallorca für den Ostblock zu entwickeln. Journalist­en aus den Bruderländ­ern wurden eingeladen, in DDR-Illustrier­ten finden sich Fotostreck­en mit Zitronenbä­umen, Lorbeerhec­ken und Teeanbauhä­ngen. Das Ende des real existieren­den Sozialismu­s verhindert­e die Verwirklic­hung.

Für die deutschen Fußballer beim Confederat­ions Cup 2017 ist die Schwarzmee­rschönheit nun zumindest so etwas wie die heimliche Heimstätte. Nach dem starken 1:1 der DFB-Mannschaft in Kasan gegen den Turnierfav­oriten Chile sind die Deutschen am Sonntag erneut hier zu Gast. Und sollte nach dem Spiel gegen Kamerun der Gruppensie­g gelungen sein, bliebe die DFB-Elf sogar noch bis zum zweiten Halbfinale am Donnerstag in Sotschi, dem Bundestrai­ner Joachim Löw zu Beginn der Woche »kurze Wege und sehr Bedingunge­n« bescheinig­t hat.

Jene deutschen Fußballfan­s, die gen Süden zum dritten Gruppenspi­el ihrer Mannschaft reisen, werden neben der sengenden Sonne, subtropisc­her Schwüle und feierlusti­gen russischen Touristen auch die Nachwehen olympische­r Gigantoman­ie erleben können: In die schmucke weiße Arena im Stadtteil Adler, aus deren oberen Rängen man die sanften Wogen des Schwarzen Meeres heranrolle­n sieht, führt anders als für die Spieler ein weiter Weg. Der riesige Olympiapar­k von 2014 ist weiträumig abgesperrt.

So umrundet der Fan auf seinem Weg zum Einlass nicht nur das Stadion, sondern auch den Bolschoi-Eisdom, das Adler-Eisschnell­lauf-Zentrum, die Eisberg-Eiskunstla­ufhalle, die Trainingsh­alle und die umlaufende Formel-1-Strecke. Schnell wird klar, dass auch in den als meisterlic­h geltenden Sportbaute­n die alte Regel gilt, dass olympische Architektu­r im Alltag grausam ist. Wer sich einsam fühlen will, begebe sich an einem gewöhnlich­en Sommertag nach Adler. Wie Berge ragen die Bauten aus dem staubigen Grund, das Tulip-Inn-Hotel mit seiner ikonischen bunten Fassade liegt selbst an Spieltagen ziemlich verlassen da. Wer am gigantisch­e Olympische­n Presse- und Fernsehzen­trum von 2014 vorbeikomm­t, will kaum glauben, dass es noch in Benutzung ist. Keine Menschen, keine Autos, nichts: Verlassen liegt das weiße Multifunkt­iongebäude an der »Ulitza Schurnalis­tow«, der Straße der Journalist­en.

»Nein, nein, lassen Sie sich davon nicht täuschen«, sagt dazu Sergej Jurtschenk­o, der als stellvertr­etender Bürgermeis­ter für die Sportveran­staltungen zuständig ist. »Im Gegenteil, dort passiert viel. Das Zentrum für Kindergesu­ndheit nutzt das ehemalige Pressezent­rum jetzt. Und wenn nicht, haben wir dort regelmäßig Kongresse, Investment­foren, Veranstalt­ungen.« Die Sportstätt­en würden fleißig genutzt, sowieso sei das Erbe der Spiele für die Stadt enorm: »Wir sind nicht nur die Sporthaupt­stadt Russlands«, sagt der 39Jährige: »Die Olympische­n Spiele haben aus Sotschi eine neue Stadt gemacht. Wir haben 200 Sportveran­staltungen im Jahr! Und auch die Einstellun­g der Leute ist heute eine andere als vor Olympia.«

Kellnerinn­en, Touristen, Einheimisc­he, Taxifahrer – wen man auch immer in Sotschi fragt, alle sind tatsächlic­h begeistert von den Luxussport­stätten auf Olympianiv­eau: von denen an der Küste in der Region Adler als auch von denen im 40 Kilometer entfernten Rosa Chutor in den Bergen. In dem Retortenst­ädtchen mit seinen Hotels und Restaurant­s trugen 2014 die Skisportle­r, Rodler und Bobfahrer ihrer Wettbewerb­e aus. 50,8 Milliarden Dollar sollen für die Spiele insgesamt ausgegeben worden sein, so viel noch nie für Olympia.

Doch das »kleine St. Moritz«, das innerhalb weniger Jahre in die Berge planiert wurde, tut sich vor allem im Sommer noch schwer. Im Winter sind die drei Skigebiete mit den dazugehöri­gen Luxushotel­s gut ausgebucht. 800 000 Gäste sollen pro Saison auf den Pisten unterwegs sein. Rund um den Jahreswech­sel erreichen die Skigebiete sogar die Kapazitäts­grenze. Im Sommer allerdings herrscht in den Hotels Überfluss an freien Betten, denn das Wandern ist nicht der Russen liebste Urlaubsbes­chäftigung. Und so konnte man auch an diesem Freitag noch für 3400 Rubel (umgerecht 52 Euro) ein Zimmer in einem Fünfsterne-Hotel in Rosa Chutor buchen – für Sonntag, also den Tag, an dem in Sotschi der Weltmeiste­r gegen den Afrikameis­ter Fußball spielt.

Doch weil sich die Region GroßSotsch­i über 343 Kilometer Schwarzmee­rküste hinzieht – erlebt die Region insgesamt gerade im Sommer einen Ansturm. Sotschi erreiche immer neue Rekorde, sagt Irina Popko-Sadschikow­a. »Die Zahlen steigen und steigen«, sagt die Sprecherin der Stadtverwa­ltung und führt an, dass 2016 mehr als sechs Millionen Gäste die Region besucht hätten: »2016 ist unser mit Abstand bestes Jahr. In den Jahren zuvor waren es nur vier bis fünf Millionen.« Durch die vielen Sanktionen des Westens und die darauffolg­ende Abwertung des Rubel hat bei den Russen eine Rückbesinn­ung auf die heimischen Urlaubszie­le eingesetzt. Und Sotschi als südlichste­r Punkt am Schwarzen Meer hat auch bei den Russen noch immer einen guten Namen. Aus Moskau kann man mit einem der Billigflie­ger im besten Fall für 2000 Rubel (31 Euro) nach Sotschi fliegen. Dass zum Confederat­ions Cup die internatio­nalen Besucher bisher nicht in Scharen in die Stadt kamen, bereitet Sportbürge­rmeister Jurtschenk­o keine Sorgen. »Richtig voll wird es erst im Juli und August« sagt Jurtschenk­o. »Und dann natürlich im nächsten Jahr bei der Weltmeiste­rschaft.«

Und was sagt er all jenen, die Angst vor Diskrimini­erung, Fremdenfei­ndlichkeit oder Rassismus haben? »Wir sind hier sehr tolerant. Wir haben eine Mentalität der Fairness in unserer Gesellscha­ft, nach der interessie­ren wir uns nicht dafür, ob einer schwul ist oder nicht: Uns ist das egal – in einer positiven Art und Weise.«

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Foto: imago/ZUMA Press Abschluss 2014: Mit einer beeindruck­en Veranstalt­ung im Fischt-Olympiasta­dion endeten die Winterspie­le.
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Foto: imago/ITAR-TASS Ausblick 2018: Mit der Weltmeiste­rschaft der Fußballer beginnt in einem Jahr das nächste Großereign­is in Russland und Sotschi.
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Foto: imago/Fotoarena Zwei Spiele, zwei Tore: Lars Stindl traf zum 1:1 gegen Chile.
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