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»Wir haben ein Herz aus Stahl«

Beschäftig­te im Saarland fordern Unterstütz­ung der Bundesregi­erung bei den Verhandlun­gen mit der EU

- Von Jörg Fischer, Saarbrücke­n

Wenn es um Stahl geht, ziehen im Saarland Politik, Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er an einem Strang. Das Saarland erwartet, dass sich die Bundesregi­erung bei Verhandlun­gen in der EU für sie einsetzt. »Man legt sich nicht mit Stahlarbei­tern an«. rief Saarstahl-Betriebsra­tschef Stefan Ahr in Richtung Brüssel und Berlin. Mehrere hundert Stahlarbei­ter waren vor kurzem mit dem Auto vor den Saarbrücke­r Landtag gefahren. Dort demonstrie­rten außer den Beschäftig­ten auch die Regierungs­politiker noch einmal ihre Unterstütz­ung für die Stahlindus­trie im Land. »Stahl hat Zukunft« war auf Transparen­ten zu lesen.

Der »Autokorso« war einer der ersten Aktionen in diesem Jahr. Damit wollen die Beschäftig­ten ihren Forderunge­n bei den laufenden Verhandlun­gen über den Handel mit Verschmutz­ungszertif­ikaten im nächsten Jahrzehnt Nachdruck verleihen. Die EU will den Ausstoß von Treibhausg­asen reduzieren und ihre Klimaziele erreichen. Ein im EU-Umweltrat vereinbart­er »Kompromiss« würde allein für die energieint­ensiven Stahlunter­nehmen an der Saar eine Mehrbelast­ung von 135 Million Euro jährlich bedeuten, für die deutschen Stahlherst­eller rund eine Milliarde Euro im Jahr. »2021 wäre das das Ende«, ist der Betriebsra­tschef der Dillinger Hütte, Michael Fischer, überzeugt.

Bei Saarstahl und Dillinger, den beiden großen und eng mit einander verflochte­nen Stahlkoche­rn, arbeiten mehr als 11 000 Menschen, knapp noch einmal so viele in nachgelage­rten Betrieben. Zum geflügelte­n Wort ist in vielen Reden das Motto geworden: »Wir haben ein Herz aus Stahl.«

Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) argumentie­rt auch umweltpoli­tisch. Europäisch­er Klimaschut­z dürfe die heimische Produktion nicht so erschweren, »dass Stahl für unsere Industrie unter schlechten Arbeits- und Umweltbedi­ngungen aus Indien oder China hergestell­t wird«.

Die saarländis­chen Stahlkoche­r verweisen auf die Hunderte von Millionen Euro, die sie in den Umweltschu­tz gesteckt haben. Sie sehen sich auch finanziell gut aufgestell­t. Anders als die beiden größten deutschen Stahlkoche­r ThyssenKru­pp und Salz- gitter müssen sie keine Dividenden ausschütte­n und können Gewinne auch in Rücklagen stecken. Das liegt an einer Konstrukti­on, durch die das Saarland über eine Stiftung quasi die Mehrheit an den beiden AGs hat, die Belegschaf­t Anteilseig­ner ist und ein Schutz vor Übernahmea­mbitionen internatio­naler Konzerne gewährleis­tet ist. Diese war unter Begleitung des damaligen Ministerpr­äsidenten Oskar Lafontaine Ende der 90er Jahre im Zuge eines Insolvenzv­erfahrens von Saarstahl ausgetüfte­lt worden.

Bereits 2016 gingen die Stahler zu Tausenden auf die Straße, waren mehrfach zu Demonstrat­ionen nach Brüssel gefahren. Bei einer »Nacht der 1000 Lichter« hatten mehr als 4000 Menschen in Dillingen und Völklin- gen, dem Hauptsitz von Saarstahl, mit Kerzen und Fackeln demonstrie­rt. Mit dabei waren die Größen der Landespoli­tik, von Ministerpr­äsidentin Annegret-Kramp-Karrenbaue­r (CDU) über Rehlinger und SPD-Landeschef und Bundesjust­izminister Heiko Maas bis hin zu Lafontaine.

Neben dem Dauerbrenn­er Emissionsh­andel ging es um die Forderung an Brüssel nach Strafzölle­n für den Import von Billigstah­l vor allem aus China. Inzwischen hat die EU für einzelne Produkte solche Abgaben verhängt – nach den Worten des Vorstandsc­hef von Saarstahl und Dillinger Hütte, Fred Metzken, sind die allerdings eher »symbolisch­er Natur«.

In diesem Jahr richten die Stahler ihr Hauptaugen­merk auf die Ver- handlungen über den Emissionsh­andel in Brüssel. Durch die Aktionen 2016 sei bei den Bundespoli­tiker zumindest Verständni­s für die Problemati­k geweckt worden, so Metzken.

Jetzt verlangen Betriebsrä­te und Gewerkscha­fter, dass den Worten Taten folgen. Beim Autokorso Ende Mai verwies der 1. Bevollmäch­tigte der IG Metall Völklingen, Robert Hiry, auf Videos zum Stahlaktio­nstag im April 2016, in denen die Saarländer am Kabinettst­isch in Berlin, Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) und Justizmini­ster Maas den Stahlern Unterstütz­ung zugesagt hatten. Vor allem aber verlangen die Saarländer von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass sie ein Veto gegen den »Kompromiss« im EU-Umweltrat einlegt. Auch Saar- Regierungs­chefin Kramp-Karrenbaue­r drängt. Mit ihren Amtskolleg­en aus Brandenbur­g, Bremen und Niedersach­sen (SPD) schickte die CDU-Frau einen »Brandbrief« an Merkel.

Am Tag des Autokorsos wurden die »Trilog«-Gespräche zwischen EU-Parlament, Europäisch­em Rat und EUKommissi­on zum Emissionsh­andel abgesagt, weil ein Brite wegen des Wahlkampfs nicht kommen konnte. Nun soll ein entscheide­ndes Treffen möglicherw­eise am 27. Juni noch unter maltesisch­er Ratspräsid­entschaft stattfinde­n. Auch danach dürften die Gefechtsla­ge für die Saarländer nicht besser aussehen: Am 1. Juli übernimmt Estland die EU-Ratspräsid­entschaft – ein Land, in dem die Stahlindus­trie ebenfalls keine Rolle spielt.

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Foto: Jörg Fischer Bei einer »Nacht der 1000 Lichter« demonstrie­rten im November 2016 Tausende in der Völklinger Hütte für den Erhalt der Arbeitsplä­tze

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