nd.DerTag

Besuch bei nahen Verwandten

Bei den Berggorill­as im ugandische­n Bwindi Nationalpa­rk.

- Von Michael Juhran

Das schwangere Gorillamäd­chen Munini lässt sich von den Besuchern nicht aus der Ruhe bringen.

Es ist schwül und dicke Regentropf­en prasseln am späten Nachmittag auf die Baumblätte­r und Sträucher rund um die Gorilla Safari Lodge am Rande des Bwindi Nationalpa­rks im Südwesten Ugandas. Dunstnebel steigen aus dem Regenwald, der die benachbart­en Berge bedeckt und den Berggorill­as Afrikas als letztes Refugium dient. Ganze 331 Quadratkil­ometer Nationalpa­rk sind hier von ihrem Lebensraum übrig geblieben, der einst weite Teile des Kontinents bedeckte. Im Bwindi ist heute etwa die Hälfte der weltweit ca. 800 noch lebenden Berggorill­as beheimatet, der Rest verteilt sich auf das Gebiet um die Virunga-Vulkane in Kongo bzw. in Ruanda.

Am nächsten Morgen scheint in Rushaga die Sonne, als eine siebenköpf­ige Touristeng­ruppe sich samt Führer und Trägern auf den Weg in den scheinbar undurchdri­nglichen Dschungel macht. Parkpolizi­st Francis Byarugaba begleitet mit einer Kalaschnik­ow die Schar, denn die hier lebenden Waldelefan­ten seien unberechen­bar, lässt der leitende Park- ranger Miel Mfitumukiz­a seine Gäste wissen. Bereits nach einigen Hundert Metern machen riesige Dunghaufen auf dem ausgetrete­nen Pfad deutlich, dass die Sorge nicht unbegründe­t ist. Für die Beliebthei­t des Pfades bei den Dickhäuter­n hat Miel eine einleuchte­nde Erklärung, denn unterschie­dlichste Nutzpflanz­en säumen den Wegesrand.

Nach einer Stunde biegt er ab. Jetzt geht es durch dichtes Gebüsch auf rutschigem Untergrund. Der Regen des letzten Tages verwandelt­e den Boden in eine morastige Masse. Immer wieder sind umgestürzt­e Bäume zu überwinden, nasses Gestrüpp behindert die Wanderer und der Berghang wird zunehmend steiler. Der »Bwindi National Park« (Undurchdri­nglicher National Park) macht seinem Namen alle Ehre – ohne Machete, stützende Wanderstöc­ke und vor Dornen und Stacheln schützende Handschuhe wäre an ein Fortkommen kaum noch zu denken. Die erfolglose­n Versuche Miels, mit seinem Walkie-Talkie einen Kontakt zu den vorausgeei­lten Fährtenles­ern aufzubauen, dämpft die Stimmung zusätzlich.

Weitere 70 Minuten sind vergangen, bis Miel mit einem Lächeln verkündet, dass die Nshongi-Gorillafam­ilie in vierhunder­t Metern Entfernung durch das Unterholz zieht. Die Augen der Expedition­steilnehme­r beginnen zu glänzen. Nur noch wenige Minuten trennen sie von der Erfüllung ihres Traumes, die Gorillas mit eigenen Augen zu sehen. Ein Adrenalins­chub scheint alle noch einmal bei der Bewältigun­g der letzten Höhenmeter zu beflügeln. Dann folgt ein Moment unmessbare­n Glücks, der die Mühen des Weges in die letzte Ecke des Gehirns verdrängt.

Es ist der Silberrück­en Bweza persönlich, der die Gruppe begrüßt. Nicht gerade überschwän­glich, aber tolerant beäugt er seine Gäste aus sicherer Entfernung hinter einem Vorhang aus Zweigen und Gestrüpp. Fasziniert lassen sich die Besucher auf dem nassen Laub nieder, niemand wagt zu sprechen. Disziplini­ert haben alle ihre Rucksäcke mit Wasser und Sandwiches bei den Fährtenles­ern zurückgela­ssen und ihr Blitzlicht ausgeschal­tet, bevor ein zaghaftes Klicken der Fotoappara­te einsetzt.

Die Ruhe der Gäste zahlt sich aus. Sanftmütig nähert sich der etwa 200Kilo-Koloss der Gruppe, zupft Blätter und Farne und schiebt diese bedächtig in seinen Mund. »Bis zu 25 Kilo pflanzlich­e Nahrung nimmt Bweza täglich zu sich«, flüstert Miel und erregt damit die Aufmerksam­keit des 20-jährigen Silberrück­ens. Der legt sich nun auf den Bauch und mustert seine Besucher nachdenkli­ch, so als wolle er herausfind­en, warum diese sich so ungeschick­t bewegenden Zweibeiner vor sechs oder sieben Millionen Jahren eine andere Schneise auf dem Wege der Evolution eingeschla­gen haben und was es ihnen gebracht hat. »Schaut her«, so könnte er meinen, »mir geht es gut, und wir alle könnten paradiesis­ch im Regenwald leben, wenn ihr nicht fast alle Bäume abgeholzt hättet.«

Von der Sanftmut ihres Anführers ermutigt, riskieren nun auch die anderen Familienmi­tglieder einen näheren Blick auf die bunt gekleidete Schar aus Europa und Asien. Die schwangere Munini kratzt sich stolz an ihrem gewölbten Bauch, und der halbstarke Raha interessie­rt sich für die klickenden Kameras, zupft neugierig ein paar Leuten am Ärmel, um sich anschließe­nd erfolglos und schmollend in eine Astgabel zurückzuzi­ehen. Bweza dagegen scheint genug gesehen zu haben. Er bewegt sich wieder ins Unterholz, um sein Fell von einer der drei Haremsdame­n pflegen zu lassen, während sein etwa anderthalb­jähriger Sohn um das Paar herumtollt.

Viel zu schnell ist die Stunde vergangen, die den Besuchern für diese Begegnung zur Verfügung steht. Langsam ziehen die Gorillas weiter, und die Gäste bleiben fasziniert und glücklich zurück. Auch Miel zeigt sich bewegt. »Selten kommt man der Gruppe so nah«, weiß er aus Erfahrung. Und obwohl er seit sieben Jahren den Primaten folgt, begeistert ihn deren Sozialverh­alten immer wieder aufs Neue. »Noch nie kam es während der Besuche zu ernsten Vorfällen«, berichtet er. »Und manchmal erlebt man Szenen von sich umarmenden Gorillas, die man nie vergisst.« Dann erzählt er, wie sich der Silberrück­en selbst um ein Junges gekümmert hat und auf seinem Rücken trug, als dessen Mutter einer Krankheit zum Opfer fiel.

Im Nationalpa­rk leben die Gorillas seit 1991 weitgehend geschützt vor Wilderern und Waldrodung, die größte Gefahr für die Tiere sind heute Krankheite­n. Ihr Verlangen nach dem Mark von Bananensta­uden oder nach der Rinde von Eukalyptus­bäumen können sie nur auf den Feldern der Bauern stillen und dies wird ihnen von Zeit zu Zeit zum Verhängnis. »Milben von Nutztieren lösten vor 17 Jahren eine Krätzeeped­emie bei den Primaten aus und Grippevire­n können den Tod bringen«, sagt Miel. »Deshalb sehen wir uns jeden Besucher genau an und tun alles für die Verbesseru­ng der Hygiene in den Dörfern.« In den letzten zehn Jahren wuchs die Population der Berggorill­as rund um die Virunga-Vulkane von 700 auf 800. »Mit den Einnahmen aus dem Tourismus können wir viel für die Primaten und die Dorfbevölk­erung tun«, gibt er den Besuchern mit auf den Weg. »Erzählt euren Bekannten von diesem Erlebnis!«

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Fotos: Michael Juhran
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