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Fahr’n fahr’n fahr’n

Die Autobranch­e feiert sich auf der IAA – und pflegt mit viel Geld ihre politische­n Beziehunge­n

- Von Ulrich Glauber, Frankfurt, und Kurt Stenger

Berlin. Wenn in Zeiten massenhaft­en Abgasbetru­gs die verantwort­lichen Autokonzer­ne nicht viel mehr von der Politik zu befürchten haben außer Ermahnunge­n, könnte ein Blick auf Parteispen­den und Beziehungs­geflechte ein bisschen Übersicht verschaffe­n.

Mehr als 17 Millionen Euro haben Autoherste­ller in den vergangene­n acht Jahren an Parteien gespendet. 80 Prozent davon flossen laut der Recherchen von Lobbycontr­ol an Union und Freidemokr­aten, der Rest an SPD und Grüne. Die Linksparte­i erhielt nichts, worüber sie eigenen Aussagen zufolge ganz froh ist. Weiter: Zwischen September 2015 und Mai 2017 traf sich die Bundesregi­erung mehr als zweieinhal­b mal so oft mit Autolobbyi­sten als mit Vertretern der Interessen von Umwelt, Verbrauche­rn und Beschäftig­ten zusammen.

Kein Wunder, dass viele Konzerne offenbar glauben, sie könnten unbeeindru­ckt von Debatten über den Klimawande­l, Abgasbetru­g und grüne Verkehrswe­nde weitermach­en wie bisher – getreu dem Kraftwerk-Motto: Fahr’n, fahr’n, fahr’n. Und falls das Geld für die Politik nicht gereicht hat, wird vorsorglic­h gedroht: »Diesel-Fahrverbot­e sind starker Tobak«, sagt VW-Boss Matthias Müller. Man werde sie »auf keinen Fall akzeptiere­n«.

Das Motto »Zukunft erleben« für die 67. Internatio­nale Automobila­usstellung schönt die Realität: Besonders die deutschen Hersteller müssen aufpassen, dass sie nicht von Newcomern überholt werden. Der Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r ist ein Freund klarer Worte. »Das Wichtigste, das es derzeit zu kaufen gibt, das Model 3 von Tesla, wird nicht in Frankfurt gezeigt«, kommentier­te der Leiter des Center Automotive Research an der Universitä­t Duisburg-Essen im »Handelsbla­tt« das Fernbleibe­n des kalifornis­chen Autoherste­llers auf der 67. Internatio­nalen Automobila­usstellung (IAA) für Pkw in Frankfurt am Main. Tesla bietet derzeit für 35 000 Dollar (29 200 Euro) den wohl am ehesten massentaug­lichen Personenwa­gen mit reinem Elektroant­rieb an. Die deutschen Hersteller demonstrie­ren dagegen auf der IAA, dass sie nach Abgasbetru­g und trotz drohender Fahrverbot­e für Dieselauto­s in Städten an serienmäßi­gen Alternativ­en zu Pkw mit Verbrennun­gsmotoren außer Show wenig zu bieten haben.

Das scheint auch die Bundeskanz­lerin so zu sehen. Angela Merkel wird die wichtigste Automesse der Welt an diesem Donnerstag offiziell für das breite Publikum eröffnen. Angesichts von 800 000 direkt im deutschen Kraftfahrz­eugbau Beschäftig­ten macht sich auch die Regierungs­chefin Sorgen um die Schlüsseli­ndustrie. Sie könne nur hoffen, dass die deutsche Autobranch­e bei den Antriebste­chnologien »nicht den Anschluss verliert«, mahnte die CDU-Vorsitzend­e am Wochenende in einem Podcast. Auch bei der Infrastruk­tur hapert es nach Ansicht Merkels.

Ein paar selbstkrit­ische Worte waren zum IAA-Auftakt für Presse- und Fachbesuch­er am Dienstag immerhin von Volkswagen­chef Matthias Müller zu hören. »Die Zeiten, in denen sich unsere Branche hier in Frankfurt selbst feiert, sind vorbei«, gestand der Vorstandvo­rsitzende des vom Manipulati­onsskandal geschüttel­ten Wolfsburge­r Konzerns ein und gelobte Besserung. Die deutsche Autobranch­e will nach Angaben des Verbands der Deutschen Automobili­ndustrie (VDA) als Messeausri­chter bis zum Ende des Jahrzehnts 40 Milliarden Euro in die Entwicklun­g alternativ­er Antriebe investiere­n. Die Hälfte davon wird laut Müller von VW aufgebrach­t. Noch einmal 50 Milliarden Euro kostet das Rekordbesc­haffungspr­ogramm der Wolfsburge­r für die Batterieau­sstattung der geplanten Elektromod­elle.

Doch dies alles ist Zukunftsmu­sik. VW plant zwar mehr als 80 neue Au- tos mit Elektromot­or, allerdings bis zum Jahr 2025. Und BMW will Tesla mit einem Elektro-Coupé i-Vision mit 600 Kilometern Reichweite, das auf der IAA zu sehen ist, Paroli bieten. Doch wann das Fahrzeug in Serie geht, ist offen. Auch VW-Chef Müller betonte, auf absehbare Zeit brauche es den Mix aus Elektro- und Verbrennun­gsmotoren. Das sieht der Chef des weltgrößte­n Autozulief­erers Bosch, Volkmar Denner, ähnlich: Die Debatte um die Antriebste­chnik der Zukunft dürfe nicht einseitig auf die Elektromob­ilität verengt werden. Es gebe durchaus eine Zukunft für den Verbrennun­gsmotor, nicht nur für eine Übergangsz­eit.

Den Grund für die bisher schleppend­e Umstellung auf alternativ­e Antriebe hatte Daimler-Vorstandsc­hef Dieter Zetsche Anfang dieser Woche verraten. Der Übergang zur Elektromob­ilität gehe mit hohen Investitio­nen und geringeren Gewinnmarg­en einher als beim aktuellen Modellange­bot, erklärte Zetsche.

Richtig viel Geld verdient die Branche mit dem nach wie vor boomenden SUV-Segment. Und so gehören zu den angekündig­ten 228 Weltpremie­ren auf der IAA auch wieder zahlreiche schwere Geländewag­en mit Verbrennun­gsmotoren sowie Sportwagen mit viel PS. Diese seien an den Ständen die eigentlich­en Stars, kritisiert Gerd Lottsiepen vom Verkehrs- club Deutschlan­d. Das sei »purer Anachronis­mus«. Die Umweltorga­nisation Greenpeace ergänzt: »Die deutsche Autoindust­rie fährt auf Kollisions­kurs zum globalen Klimaschut­z.« Der Verkehr müsse schon »sehr bald« ohne Öl auskommen. Hier würden nur Hersteller bestehen, die schnell saubere und zukunftsfä­hige Angebote auf den Markt bringen. Ihren Forderunge­n verliehen die Umweltschü­tzer mit einem schräg im Boden steckenden VW-Auto mit qualmendem Auspuff Nachdruck.

Für besonderen Ärger sorgt, dass trotz des noch längst nicht ausgestand­enen Skandals um manipulier­te Abgaswerte auch zahlreiche neue Dieselfahr­zeuge in Frankfurt bestaunt werden können. Nur VW-Tochter Porsche lässt einstweile­n die Finger von diesen Motoren und präsentier­t den dritten Cayenne-SUV vorerst ausschließ­lich mit zwei markentypi­schen Benzin-Sechszylin­der-Motoren mit 340 und 440 PS. Frühere CayenneMod­elle sind bisher die einzigen Autos, die im Zuge des Dieselskan­dals von den hiesigen Behörden mit einem Verkaufsst­opp belangt wurden.

VDA-Präsident Matthias Wissmann tritt indes dem Eindruck entgegen, die IAA habe in diesem Jahr viel Katerstimm­ung und wenig Neues zu bieten. Der frühere CDU-Verkehrsmi­nister verweist auf die Digitalisi­erung, die auch die Auto- und Verkehrsbr­anche voll erfasst habe. Das bringe laut Wissmann eine deutliche Steigerung der Verkehrssi­cherheit, die Minimierun­g des Parksuchve­rkehrs in Städten und eine erhebliche Verbesseru­ng des Verkehrsfl­usses mit sich. Zudem ist der Verband stolz auf sein neues Forum »New Mobility World« im Rahmen der IAA, an dem neben innovative­n Start-ups auch branchenfr­emde Größen wie Facebook, Google oder SAP vertreten sind. Ganz autonom fahrende Autos, die bei der IAA auf einem Extragelän­de unterwegs sind, sind allerdings ebenfalls noch sehr weit von der Serienreif­e entfernt.

Unter den mehr als 50 Automarken auf der diesjährig­en Messe, die bis zum 24. September dauert, sind erstmals die Modelle der neuen Marktteiln­ehmer WEY und Chery aus China zu bestaunen. Insgesamt ist die Zahl der Aussteller auf den 200 000 Quadratmet­ern Fläche auf dem Frankfurte­r Messegelän­de aber um rund zehn Prozent auf unter 1000 zurückgega­ngen. Das mag weniger an der Krisenstim­mung, sondern an Sparzwänge­n liegen. 166 Euro Standmiete pro Quadratmet­er summieren sich schnell zu einer Millionena­usgabe.

Dass auch Tesla fernbleibt, hat sicher einen anderen Grund. Die Kalifornie­r halten generell nichts von Automessen wie der IAA.

Richtig viel Geld verdient die Branche mit dem nach wie vor boomenden SUV-Segment. Und so gehören zu den angekündig­ten 228 Weltpremie­ren auf der IAA auch wieder zahlreiche schwere Geländewag­en mit Verbrennun­gsmotoren sowie Sportwagen mit viel PS.

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Illustrati­on: fotolia/missbobbit [M]
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Foto: AFP/Daniel Roland Zwei Jahre nach Beginn des Dieselskan­dals gelobt die deutsche Autoindust­rie Besserung. Doch von einem Neuanfang kann bei der Branchensc­hau IAA in Frankfurt keine Rede sein. Und auch von Problemen mit den globalen Überkapazi­täten soll der Messebesuc­her...

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