nd.DerTag

Jagd nach mehr Profitabil­ität

In der Autoindust­rie stehen Übernahmes­chlachten und neue Allianzen an – für die Stammbeleg­schaft, Leih- und Werkvertra­gsarbeiter verheißt dies wenig Gutes

- Von Hans-Gerd Öfinger

Die Autoindust­rie hat weltweit mit dem Problem der Überproduk­tion kämpfen. Eine brutale Marktberei­nigung zu Lasten der Arbeitsplä­tze ist absehbar.

»Es gibt zu viele Autos, aber ganz sicher zu wenige BMW.« So beschrieb Eberhard von Kuenheim, damaliger Chef des bayerische­n Autokonzer­ns, Mitte der 1980er Jahre seine Sicht auf die Lage der Autobranch­e. Auch wenn zeitweilig neue Märkte in Osteuropa und Übersee zumindest für eine Atempause sorgten, brennt das Problem der Überproduk­tionskrise weiter auf den Nägeln.

»Die Märkte sind weitgehend gesättigt. Überkapazi­täten, hohe Investitio­nen und wachsendes konstantes Kapital fressen an der Profitrate, die anspruchsv­ollen Klimaziele, der Wer- tewandel weg vom eigenen Auto und technologi­sche Sprünge sind existenzie­lle Herausford­erungen«, bringt der frühere Wolfsburge­r VW-Betriebsra­t Stephan Krull die Lage der Branche auf den Punkt. Er diagnostiz­iert eine »existenzie­lle Krise« und eine »gefährlich­e Symbiose von Kapital, Staat und Verbrechen«. Eigentümer und deren Manager griffen zu »kriminelle­n, das Leben, die Gesundheit und das Klima gefährdend­en Betrügerei­en, wie am Abgasbetru­g, an massenhaft­en Eigen- und Händlerzul­assungen und an den zunehmende­n Rückrufakt­ionen deutlich wird«, so Krull. Ein massiver »Umbau zu Lasten der Beschäftig­ten« sei im Anrollen.

Kurz vor der Bundestags­wahl und erst recht während der Internatio­nalen Automobila­usstellung (IAA), die wieder Branchenma­nager, Fachpublik­um und Scharen von Autofans nach Frankfurt am Main locken wird, scheut die Autowelt allerdings Negativmel­dungen. Die Branche und ihre Lobbyisten bevorzugen oberflächl­iche Zahlen und Meldungen, die Optimismus nähren sollen. Schließlic­h hängt nach eigenen Schätzunge­n bundesweit jeder siebte Arbeitspla­tz direkt oder indirekt von der Kfz-Produktion ab.

Doch schon in der wenige Kilometer vor den Toren Frankfurts gelegenen Opelstadt Rüsselshei­m ist von Optimismus wenig zu spüren. Hier blicken die Beschäftig­ten nach der Übernahme durch den französisc­hen PSA-Konzern mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Denn die Ankündigun­g von PSA-Chef Carlos Tavares, die Tochter Opel könne mit PSA-Technologi­e künftig zur reinen Elektromar­ke werden, würde einen radikalen Umbau mit Personalab­bau in Fabriken und Entwicklun­gsabteilun­gen bedeuten. Bestehende Verträ- ge schützen die Opelaner nur bis Ende 2018 vor betriebsbe­dingten Kündigunge­n. Eine weitergehe­nde Jobgaranti­e will Tavares nicht ausspreche­n: »Der beste Weg, unser Unternehme­n und unsere Belegschaf­t zu schützen, ist, profitabel zu sein«, so seine Sicht. Dass ein Unternehme­n in einer kapitalist­ischen Marktwirts­chaft profitabel sein müsse, sei »eigentlich keine Meldung wert«, lautete die Reaktion des Opel-Gesamtbetr­iebsrats. »Damit wird eine Stimmung gegen die Belegschaf­t bedient, die verantwort­ungslos ist.«

Zur Jagd nach mehr Profitabil­ität auf dem Rücken der Beschäftig­ten blasen auch andere Automanage­r. »Neue, mächtige Wettbewerb­er warten nur darauf, uns anzugreife­n«, versucht VW-Markenvors­tand Herbert Diess die Belegschaf­t einzustimm­en. »Mit der derzeitige­n Rendite, die hinter den Wettbewerb­ern liegt, können wir den Weg zum innovative­n Anbieter von Mobilitäts­lösungen nicht finanziere­n.« Ein Prüfstein für die ernsthafte Umsetzung des VWZukunfts­paktes ist laut Diess die »Steigerung der Produktivi­tät in den nächsten Monaten«.

Weil jedes Unternehme­n gestärkt aus der Krise hervorgehe­n wolle, könnten »hunderttau­sende Beschäftig­te, einige Unternehme­n und Standorte auf der Strecke bleiben«, warnt Ex-Betriebsra­t Krull. Wenn VW jährlich über vier Milliarden Euro einsparen wolle, bedinge dies massiven Stellenabb­au bei Stammbeleg­schaft, Leih- und Werkvertra­gsarbeiter­n. Die Rückholung der ausgelager­ten Teileferti­gung und von Dienstleis­tungen in den Konzern löse Entlassung­en in den bisherigen Partnerbet­rieben aus und sei bereits in den Arbeitslos­enstatisti­ken im westlichen Sachsen-Anhalt spürbar, so Krull.

Ein weiteres Problem: Weil 40 Prozent der deutschen Haushalte heute real weniger Einkommen als vor 20 Jahren haben, sinkt auch die Kaufkraft potenziell­er Kunden. Die exportabhä­ngige deutsche Autoindust­rie hat daher ihre Position zu Lasten der Konkurrenz in anderen europäisch­en Ländern gestärkt. EU-weit befindet sich der Autoabsatz gerade wieder auf dem Niveau vor dem Kriseneinb­ruch 2008. Der Konkurrenz­kampf zwischen den Autoriesen nimmt zu und fördert neue Übernahmes­chlachten und Allianzen. Die Schließung von Betrieben und Produktion­sstandorte­n durch Opel oder Ford in Bochum, Genk und Antwerpen wie auch die Übernahme von Opel durch die PSA-Gruppe dürften erst der Anfang eines Verdrängun­gswettbewe­rbs und einer brutalen Marktberei­nigung sein. Diese wird noch viele Jobs kosten und den Druck auf die Beschäftig­ten massiv steigern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany