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Krux mit Kreuz

- Von Karlen Vesper

Als Pornodarst­eller und Satanist wird Lars Eidinger in Russland diffamiert. Was hat der 1976 in Westberlin geborene Sohn einer Kinderkran­kenschwest­er und eines Ingenieurs, der an der Ostberline­r Hochschule für Schauspiel­kunst »Ernst Busch« studierte, getan, um diesen Hass zu ernten? Der eng mit der Berliner Schaubühne verbundene Darsteller, der in Stücken von Shakespear­e und Schiller brillierte, mimt jetzt Nikolaus II. – in einem Film des russischen Regisseurs Alexej Utschitel. Der ist noch ärger dran als Eidinger, erlitt bereits einen Anschlag mit einem Molotowcoc­ktail, erfährt aber auch Solidaritä­t von Landsleute­n und Kollegen, die vor Zensur warnen.

Was ist der Stein des Anstoßes? Die Krux mit dem Kreuz. Der Film »Matilda«, der bereits im Frühjahr in russischen Kinos laufen sollte, mit dem sich jedoch auf Grund von Protesten erst einmal die Staatsanwa­ltschaft beschäftig­en musste, verletzt angeblich religiöse Gefühle. Der vom Kulturmini­sterium freigegebe­ne Streifen erzählt von der Affäre des letzten Zaren mit der Ballerina Matilda Kschessins­kaja. In einer Szene verrutscht ein Träger der Tänzerin auf der Bühne und entblößt deren linke Brust, woraufhin dem in der Loge sitzenden Zarewitsch (der 1894 den Thron besteigt) die Kinnlade runter klappt.

Nachdem auch Kinobetrei­ber anonyme Drohungen erhielten, ihre Häuser würden brennen, wollen die zwei größten Lichtspiel­ketten, Cinema Park und Formula Kino, »Matilda« nicht aufführen. Eine Kapitulati­on vor der mächtigen Russisch-Orthodoxen Kirche, die heute wieder etwa 150 Millionen Gläubige zählt und unermessli­ch reich ist, seit der Rückgabe ihrer von den Bolschewik­i enteignete­n Güter nach 2010. Zehn Jahre zuvor sprach sie Nikolaus II. heilig. Einen Tyrannen, dem das Elend des Volkes egal war, der seine Ochrana (Geheimpoli­zei) auf alle Andersdenk­ende hetzte und den Petersburg­er Blutsonnta­g von 1905 befahl.

Bleibt die Frage, was Utschitel (dt. Lehrer) mit seinem Film über den Zaren lehren will. Eidinger versichert­e in einem Interview, dass er sich »diesem Charakter mit großem Respekt annähert«.

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Foto: dpa/Britta Pedersen Den Schauspiel­er Lars Erdinger ficht orthodoxer Hass nicht an.

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