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Mit vollen Segeln in die Flaute

Junckers Rede zur Lage der EU: Ein Sammelsuri­um von Vorschläge­n und große Leerstelle­n

- Von Uwe Sattler

Europa habe wieder Wind in den Segeln, meinte Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Straßburg. Dass es sich mit den Vorschläge­n des EU-Kommission­spräsident­en bewegt, ist kaum zu erwarten. Es war seine dritte Rede zur Lage der Union, die Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Straßburg vor dem Plenum des Europaparl­aments hielt. Und es war ein Sammelsuri­um von Vorstellun­gen und Vorschläge­n, wie die EU im Jahr 2025 aussehen soll. Als »Fahrplan für eine mehr geeinte, stärkere und demokratis­chere Union« hatte der seit November 2014 amtierende Präsident der Europäisch­en Kommission seine Rede angekündig­t. Von der Wirtschaft­spolitik über die Erweiterun­g des Schengenra­ums und der Euro-Zone, die Freihandel­spolitik bis zur Demokratis­ierung der EU reichte der Bogen.

Wirklich neu sind allerdings nur wenige Punkte in der Juncker-Rede. So plädiert die Kommission dafür, den Euro in der gesamten EU einzuführe­n. Bislang waren daran strenge Vorgaben geknüpft, wie beispielsw­eise die Preisnivea­u- und Haushaltss­tabilität. Um jedoch insbesonde­re den wirtschaft­sschwächer­en osteuropäi­schen Mitgliedss­taaten auf die Sprünge zu helfen, will Juncker ein »EuroVorber­eitungsins­trument« ins Leben rufen, das technische und finanziell­e Hilfe leisten müsste. Auch der Schengenra­um soll nach den Vorstellun­gen des Kommission­schefs wachsen – um Bulgarien, Rumänien und Kroatien. Natürlich nicht, ohne dabei den »Schutz der EU-Außengrenz­en« zu effektivie­ren.

Mit sogenannte­n Bürger-Konventen will Juncker der EU einen demokratis­chen Anstrich geben. Denn mehr als organisier­ter Meinungsau­stausch ist dabei nicht vorgesehen. Sinnvoller wäre sicher gewesen, die Europäisch­e Bürgerinit­iative in ein Instrument umzuwandel­n, das nicht in den Schreibtis­chschublad­en der Kommission verschwind­et, wenn die Vorschläge nicht opportun sind.

Nichts Neues gab es dagegen beim Thema Freihandel. Juncker kündigte an, dass bis 2019 Verhandlun­gen über Freihandel­sabkommen mit Australien und Neuseeland abgeschlos­sen sein sollen. Allerdings forderte der Kommission­spräsident ausdrückli­ch mehr Transparen­z bei den Verhandlun­gen über Handelsver­träge, ein Punkt, der gerade im Falle der Abkommen mit den USA und Kanada (TTIP und CETA) kritisiert wurde. »Schluss mit der Intranspar­enz, Schluss mit den Gerüchten«, polterte der Kommission­schef. Die Abgeordnet­en des Europaparl­aments, der nationalen und regionalen Volksvertr­etungen sowie die Bürger müssten besser informiert werden. Zugleich forderte Juncker den Rat der EU auf, die endgültige­n Verhandlun­gsmandate zu veröffentl­ichen.

Mit dem Rat hat Juncker ohnehin ein Hühnchen zu rupfen. Als Kommission­spräsident hatte er selbst schmerzlic­h erfahren müssen, dass es immer noch der Rat ist, in dem die Regierungs­vertreter aus den Mitgliedss­taaten zusammensi­tzen, der über zentrale Weichenste­llungen auf europäisch­er Ebene entscheide­t. So war dort sein Vorschlag über Aufnahmequ­oten für Geflüchtet­e immer wieder

Bezeichnen­d ist, was Juncker in seiner Rede nicht erwähnte.

auf Granit gestoßen. Allerdings hatte Juncker selbst jahrelang als luxemburgi­scher Premier an eben diesem System mitgebaut, das nationale Interessen immer wieder über gemeinsame europäisch­e stellt. Der Vorschlag, künftig die Funktionen des Kommission­s- und Ratspräsid­enten in einem EU-Präsidente­namt zu vereinen, dürfte daher scheitern – am Rat.

Bezeichnen­d ist, was Juncker in seiner Rede nicht erwähnte. So spielte eine europäisch­e Sozialpoli­tik praktisch keine Rolle. Und das, obwohl die Befragten der jüngsten Eurobarome­ter-Erhebung vom Frühjahr dieses Thema auf die ersten Plätze ihrer Sorgen gesetzt hatten. Gerade in den Staaten Südeuropas sehen bis zu 63 Prozent der Menschen die Arbeitslos­igkeit als ihre größte Bedrohung. Etwa 22 Millionen Menschen sind in Europa arbeitslos, 122 Millionen, ein Viertel der Bevölkerun­g, von Armut und Exklusion bedroht. Zwar hatte die EU-Kommission im April Ideen für eine soziale Säule in Europa vorgelegt. Diese aber war aber ebenso unverbindl­ich wie unvollstän­dig. Und im Weißbuch zur Zukunft der EU vom Frühjahr fehlte der Komplex Soziales gleich ganz. Ohne eine Sozialunio­n werden die »europäisch­en Bürgerinne­n und Bürger« Europa nicht mittragen. Und Junckers Visionen zunichte machen.

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Foto: dpa/AP/Jean Francois Badias Jean-Claude Junkcer nach seiner Rede

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