nd.DerTag

Sorgenkind preiswerte­r Neubau

Die ehrgeizige­n Ziele der landeseige­nen Wohnungsun­ternehmen sind in Gefahr

- Von Nicolas Šustr

Der Wohnungsba­u hält nicht Schritt mit dem Zuzug. In einem Brief unterstell­en landeseige­ne Wohnungsun­ternehmen Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher indirekt mangelndes Engagement.

»Das wichtigste Aufgabenfe­ld in unserem Hause ist die Steigerung des Wohnungsne­ubaus«, sagt Senatsbaud­irektorin Regula Lüscher (parteilos, für LINKE) zum Auftakt der Haushaltsb­eratungen im Stadtentwi­cklungsaus­schuss des Abgeordnet­enhauses. Es ist auch das Feld, das am meisten Aufmerksam­keit genießt.

27,2 Prozent des Nettoeinko­mmens müssen Berliner Haushalte inzwischen durchschni­ttlich für die Miete ohne Heiz- und Betriebsko­sten ausgeben. Das liegt knapp über dem bundesdeut­schen Schnitt von 26,8 Prozent. Mehr als Mieter im reichen und teuren Stuttgart hinlegen müssen. Das ergibt eine frisch veröffentl­ichte Studie der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, an der unter anderem der Stadtsozio­loge Andrej Holm mitgearbei­tet hatte. Denn in Berlin steigen die Mieten um zweistelli­ge Prozentsät­ze, während die Einkommens­steigerung­en nur etwa zwei Prozent betragen. 2016 wurden laut einer Vorlage der Stadtentwi­cklungsver­waltung vom Juli nur noch sieben Prozent aller im Internet inserierte­n Wohnungen für unter sechs Euro pro Quadratmet­er angeboten.

Kein Wunder, dass der Neubau preiswerte­n Wohnraums eines der drängendst­en Themen für Rot-RotGrün ist. Und eines der umstritten­sten. Es deutet sich schon länger an, dass die sechs landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften die ehrgeizige­n Neubauziel­e von 6000 Wohnungen pro Jahr wohl vorerst nicht erreichen werden. 2017 und 2018 liegen die geplanten Fertigstel­lungszahle­n rund ein Fünftel unter den ursprüngli­chen Annahmen, heißt es in dem Senatspapi­er.

In einem von den Chefs der sechs landeseige­nen Wohnungsun­ternehmen unterzeich­neten Brief an Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE), der »nd« vorliegt, werden vier Hauptgründ­e genannt. Neben drastisch gestiegene­n Grundstück­spreisen und höheren Baukosten beklagen die Gesellscha­ften auch Probleme bei der Schaffung von Baurecht. Teilweise gebe es eine »ablehnende Haltung« oder keine »Priorität beim Thema Neubau« in den Bezirken, heißt es. Besonders hart ins Ge- richt gehen sie mit dem Thema Partizipat­ion bei Neubauproj­ekten. Durch »politische Priorisier­ung und Öffentlich­keitsarbei­t« würden bei fast jedem Bauvorhabe­n alle mittelbar und unmittelba­r Beteiligte­n dazu motiviert, Bauprojekt­e »grundsätzl­ich zu verhindern und in Frage stellen zu können«. Sie fordern von der Senatorin eine »auch verbale Priorisier­ung von Neubau« und »keine zu starke Gewichtung von Partikular­und Minderheit­eninteress­en«. Mit bis zu einem Jahr Verzögerun­g rechnen die Unternehme­n wegen der Beteiligun­gsverfahre­n.

»Die Frage der Partizipat­ion ist eine Ausrede«, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher des Mietenvolk­sentscheid­s. Denn es seien bisher Projekte von Verzögerun­gen betroffen, die schon vor ein oder zwei Jahren auf den Weg gebracht wurden. »Es geht um Akzeptanz«, so Taheri. Auch wenn das die Planung von Bauvorhabe­n anstrengen­der mache.

»Die landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften thematisie­ren in dem Brief bekannte Problemste­llungen«, sagt Katrin Lompscher auf ndAnfrage. Man sei im ständigen Austausch und arbeite lösungsori­entiert »und vor allem gemeinsam daran, den dringend benötigten Wohnungsne­u- bau« zu realisiere­n. Auf die indirekten Vorwürfe, sie werbe nicht offensiv genug für Neubau, geht sie nicht ein.

Über einen Monat ist der insgesamt recht freundlich formuliert­e Brief bereits alt, doch erstmals wurde er am Mittwoch im »Tagesspieg­el« präsentier­t und als »Brandbrief« dargestell­t. Bemerkensw­ert ist, dass die Stadtentwi­cklungsver­waltung das Schreiben noch nicht beantworte­t hat.

Rouzbeh Taheri, der auch Mitglied im Fachbeirat der Wohnraumve­rsorgung Berlin ist, fordert energische­re Schritte bei der Baulandfra­ge: »Alle sechs Unternehme­n sollten für die Beschaffun­g von Grundstück­en eine gemeinsame Gesellscha­ft gründen.« Auch die Übertragun­g von Flächen unter Verwaltung der landeseige­nen Berliner Immobilien­management GmbH (BIM) sei »viel zu schwerfäll­ig«. Und auch über den Preis müsse gesprochen werden. »Der Verkehrswe­rt kann angesichts der drastische­n Preissteig­erungen nicht der Maßstab sein«, erklärt Taheri.

Auf dem Gelände des Güterbahnh­ofs Köpenick, wo nach Senatsplän­en 4500 Wohnungen entstehen sollen, geht es übrigens zügig voran. Kommende Woche ist die erste Bürgervera­nstaltung angesetzt.

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Foto: HOWOGE/Benjamin Pritzkulei­t Nur sechs Monate dauerte der Rohbau von 117 Wohnungen der landeseige­nen HOWOGE in der Lichtenber­ger Dolgensees­traße.

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