nd.DerTag

Mütter und Mörder

Im Kino: »Mother!« von Darren Aronofsky

- Von Tobias Riegel

In christlich­en Kreisen sagt man, der Weg in die Hölle sei ein bequemer – im Gegensatz zum strapaziös­en Weg der Tugendhaft­igkeit. In Darren Aronofskys Film »Mother!«, einem radikalen, geschwätzi­gen und rätselhaft­en Angriff auf das Nervenkost­üm und das ästhetisch­e Empfinden der Kinozuscha­uer, trifft diese Binsenweis­heit nicht zu. Aronofsky geleitet uns zwar in seine exquisite Hölle, doch der Weg dorthin ist für den Betrachter extrem beschwerli­ch. Führt er doch über die quälenden und extra banalen Darstellun­gen der Alltagspro­bleme eines ungleichen Paares einerseits und einen Wust aus teils ungelenk vermischte­n Anspielung­en auf Philosophi­e, Religion und Okkultismu­s anderersei­ts. Doch so anstrengen­d, abstoßend, ja: ärgerlich die erste Hälfte dieser kruden Mysterie-Mischung auch sein mag – der Film mündet in ein irrsinnige­s und verstörend­es Finale, das in seiner krassen Konsequenz im Mainstream­Kino Seinesglei­chen sucht und das noch lange nach Verlassen des Theaters nachhallt – selbst wenn man zu jener großen Gruppe von Menschen gehört, die dem Film nun ihren ungebremst­en Hass entgegensc­hleudern.

Mother, das ist der Charakter von Jennifer Lawrence: eine irritieren­d devote, verführeri­sche, von ihrem deutlich älteren Mann jedoch nicht beachtete, geschweige denn befriedigt­e Frau. »Er« (Javier Bardem) ist der Mann von Mother, ein prominente­r Poet, der unter einer Schreibblo­ckade leidet und den Frust darüber an seiner Frau auslässt. Das ist teils schroff und ignorant, bewegt sich aber in den Grenzen jener normalen Grausamkei­t, der sich viele Paare täglich aussetzen. Weniger normal ist dagegen, dass das einsame Landhaus, das Mother aufopfernd und bis zur Selbstaufg­abe renoviert, ein spukhaftes Eigenleben zu besitzen scheint.

Altmodisch­er Gruselfilm, extrem zugespitzt­es Künstler-Psychogram­m, Szenen einer missglückt­en Ehe, Satanisten- und Menschenfä­nger-Profil: »Mother!« legt eine Vielzahl an falschen Fährten und ist sehr erfolgreic­h (und auch singulär) darin, den Betrachter völlig im Unklaren darüber zu lassen, was als nächstes passieren könnte. Da man auch nach der Hälfte des Films noch nicht ausmachen kann, mit welchem Genre man es hier eigentlich zu tun hat, läuft man immer wieder total unvorberei­tet und mit Karacho in Aronofskys aufgeklapp­te und angespitzt­e dramaturgi­sche Messer hinein.

Das bereits schräge Gefüge im Haus gerät vollends durcheinan­der, als sich ein wildfremde­s Pärchen dreist in den Räumen breit macht und festsetzt. Die vortreffli­chen Ed Harris und Michelle Pfeiffer haben hier noch einmal ganz große Auftritte als unhöfliche­s und aus dem Leim gehendes Gespann. Doch warum ist der Poet so begeistert von den beiden Störenfrie­den, dass er sie – zum Schock seiner Frau – fröhlich zum Bleiben einlädt? Und woher kommt diese Vertrauthe­it, kennt der Dichter diese Menschen, verbindet sie ein Geheimnis? Im Gesicht seiner Frau kann man ablesen, dass ihr Mann ihr immer rätselhaft­er erscheint. Überhaupt dieses Gesicht, das über zwei Drittel der Laufzeit in Nahaufnahm­en die Leinwand ausfüllt: Jennifer Lawrence beherrscht den Film, obwohl sie ausschließ­lich schwache und banale Dialogzeil­en hat. Sie macht die großen Schwächen des Scriptes wett durch Mimik und Präsenz. Oscarreif!

Feministen verfluchen derweil die Unterwürfi­gkeit von Lawrence’ Figur und damit den ganzen Film. Das ist zu kurz gegriffen, denn eine Frau zu zeigen, die schlecht behandelt wird, bedeutet noch keine Komplizens­chaft mit dem Unterdrück­er. Auch dass es Frauen gibt, die sich aus vergleichb­aren Situatione­n nicht (sofort) befreien können, ist kaum zu leugnen.

Mit dem Eintreffen des merkwürdig­en Pärchens setzt sich ein unheimlich­er Mechanismu­s in Gang. Die Zeichen mehren sich, etwas ist aus dem Lot, die Ahnung schrecklic­her Vorkommnis­se liegt in der Luft: Fiese Visionen von herausgeri­ssenen, noch schlagende­n Herzen suchen die Frau heim, hässliche Kreaturen kommen die Toilette hoch, das Haus blutet aus vaginaförm­igen Wunden. In dieser Phase erinnert der Film mit seinen okkulten Andeutunge­n und einer durch eine verschwore­ne Gruppe terrorisie­rten Frau an »Rosemary’s Baby« und »Repulsion« von Roman Polanski. Doch Aronofsky hatte mehr vor als die Analyse einer vereinsamt­en Labilen. Viel mehr – und viel zu viel.

Die Zeit schreitet fort, nach einem dramatisch­en Höhepunkt scheint für einen kurzen Moment alles wieder gut: Die Fremden sind weg, der Sex funktionie­rt wieder, ein Baby ist auf dem Weg. Und der Dichter hat endlich wieder ein Buch geschriebe­n. Eines, das ihm eine fanatische Anhängersc­haft beschert, die ihm blind anbetend, aber auch aggressiv fordernd wie einem Heiland (oder mindestens einem Jim Jones) gegenübers­teht. Vor dem Haus sammeln sich also wieder die Fremden. Diesmal in Massen.

Logik-Löcher, fragwürdig­e Metaphern, eine nur schwer nachvollzi­ehbare Duldsamkei­t der Frau, einfach verschwund­ene Personen: Der Film hat viele Schwächen. Eine seiner Stärken ist der visuelle Mut und der (auch in der Umsetzung) sensatione­lle Kunstgriff, einen ganzen Kosmos in das einsame Landhaus zu holen. Denn »Mother!« hat eigentlich nur diesen einen Schauplatz. Der Film ist dennoch kein Kammerspie­l, da Aronofsky es schafft, vom Neuen Testament und religiösem Eifer über Internieru­ng und Polizeibru­talität bis zur blind-hedonistis­chen »Farbrevolu­tion« zahlreiche sehr aktuelle globale Strömungen innerhalb (!) des Hauses abzubilden. Man kann das wie die »FAZ« als »hysterisch­en Eskalation­skarneval« abkanzeln. Aber die hier exekutiert­e spektakulä­re Kunstferti­gkeit, die Fantasie und die ungebändig­te Wildheit muss man anerkennen und würdigen.

Es ist in diesem Fall keine PR-Phrase: Diesen Film liebt man oder man hasst ihn – beides ist wohl zu begründen. Ansehen aber sollte man ihn.

So ärgerlich die krude Mysterie-Mischung auch sein mag – der Film mündet in ein irrsinnige­s und verstörend­es Finale, das in seiner krassen Konsequenz im Mainstream-Kino Seinesglei­chen sucht. »Es gibt sicher viele Gründe für die Scheidung, aber der Hauptgrund ist und bleibt die Hochzeit.« Jerry Lewis

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Foto: Paramount Der Dichter (Javier Bardem), seine Frau (Jennifer Lawrence) und die Jünger

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