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Damals mit Heiner

- Von Frank Jöricke Frank Jöricke, geboren 1967 in Trier, ist Autor und Slampoet

Es war die letzte Hochphase des Kalten Kriegs. Breschnew war gerade gestorben. Ihm sollten zwei weitere Politbüro-Greise folgen, ehe Gorbatscho­w alles veränderte. Damals aber, Anfang 1983, hätte keiner an Glasnost und Perestroik­a zu denken gewagt. Wir kannten ja nichts anderes als klare Fronten: USA oder UdSSR? Freiheit oder Sozialismu­s? Nachrüstun­g oder Abrüstung?

Man musste sich entscheide­n. Selbst in der gemütliche­n Bundesrepu­blik hieß es, Stellung zu beziehen. Es gab die Schwarzen, und es gab die Roten. Und es gab einen Schwarzen, der den Roten blaue Augen verpasste: Heiner Geißler.

Sein offizielle­r Titel lautete Generalsek­retär, aber eigentlich hätte General genügt. Denn Geißler verstand die Auseinande­rsetzung mit dem politische­n Gegner als psychologi­sche Kriegsführ­ung. Und wie im realen Krieg ging es darum, den Feind zu überrumpel­n. Ihn dort anzugreife­n, wo er es am wenigsten erwartete. Geißler, der clevere Jesuit, tat dies, indem er die SPD nicht von rechts attackiert­e, sondern von links. Er bezichtigt­e sie der »Mietlüge« und zitierte als Kronzeugen ausgerechn­et den Kommuniste­n Bertolt Brecht: »Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.« Das war der entscheide­nde Wirkungstr­effer im Wahlkampf 1983. Demagogie auf Champions-League-Niveau.

Natürlich trat ich danach in die Protestbew­egung Junge Union ein. Denn es war die beste Möglichkei­t, die ach so verständni­svollen 68er-Lehrer endlich mal verständni­slos zu erleben. Vor allem aber tat ich es, weil ich Geißlers Grundidee teilte: In der Welt des Kalten Kriegs gab es Gute und Böse. Und weil ich Geißlers Scharfsinn und Klarheit bewunderte, musste er zu den Guten gehören. So einfach war das.

Natürlich wurde ich enttäuscht. Heiner Geißlers Verspreche­n – eine Politik, die aufregende­r sein würde als das technokrat­ische Verwalten des Status quo – löste Helmut Kohl nicht ein. Und als Kohl ihn 1989 absägte, war nicht nur Geißlers Parteikarr­iere zu Ende, sondern auch der Kalte Krieg.

Heute, im Wahlkampf 2017, könnte ich nicht sagen, wer die Guten sind und wer die Bösen. Wahrschein­lich hat auch Geißler es nicht gewusst. Der Mann, der als Inbegriff des »Schwarzen« galt, nahm im Lauf der Jahre immer mehr »rote« Positionen ein und trat Attac bei. Ja, er wurde sogar Schlichter bei Tarifkonfl­ikten und dem Bahnhofspr­ojekt Stuttgart 21 – die Zeit der klaren Fronten war auch für Geißler vorbei.

So ist alles ziemlich unübersich­tlich geworden. Bei vielen Wahlkampfs­logans bin ich mir nicht sicher, ob sie von der CDU, der SPD oder den Grünen stammen. Und dann denke ich an 1983 zurück: Wie aufregend WahlKampf mal war. Damals mit Heiner.

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