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Kopf an Kopf in Niedersach­sen

Vor allem wegen der Unionskris­e ist die Landtagswa­hl noch spannend geworden

- Avr

Berlin. Es wird sich noch erweisen, ob der Plakatspru­ch des niedersäch­sischen Regierungs­chefs Stephan Weil zutreffen wird und er »sturmfest« bleibt. Vor der Landtagswa­hl am Sonntag hat seine SPD die CDU in den Umfragen eingeholt und Weil freut sich über hohe Beliebthei­tswerte. Sollten jedoch mehr als vier Parteien ins Parlament einziehen, wird die Regierungs­bildung schwierig. Eine Große Koalition hielt Weil für »ziemlich unwahrsche­inlich«. Ausschließ­en wollte er ein solches Bündnis im Gespräch mit dem NDR aber nicht.

Derweil hadert CDU-Spitzenkan­didat Bernd Althusmann mit seiner Bundespart­ei. Seit die Konservati­ven bei der Bundestags­wahl deutlich an Stimmen verloren haben, geht es auch für ihn in den Umfragen bergab. Insbesonde­re mit der AfD konkurrier­t die Partei um Wähler vom rechten Rand.

Einen Bärendiens­t könnte dabei nun Thomas de Maizière der niedersäch­sischen CDU erwiesen haben. Der Bundesinne­nminister zeigte sich in einem Anflug von Toleranz bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng in Wolfenbütt­el offen dafür, in bestimmten Regionen Deutschlan­ds muslimisch­e Feiertage einzuführe­n. Althusmann widersprac­h seinem Parteikoll­egen umgehend. »Feiertage haben in Deutschlan­d eine lange Tradition; für eine Änderung dieser gewachsene­n Strukturen sehe ich keinen Bedarf«, sagte er der dpa.

Nach der Landtagswa­hl werden in der kommenden Woche die Sondierung­sgespräche zwischen Union, FDP und Grünen im Bund beginnen. Bis auf einige linke Grünen-Politiker hat in den Parteien der möglichen JamaikaKoa­lition noch niemand laut über eine Minderheit­sregierung nachgedach­t. Die Politikwis­senschaftl­erin Maria Thürk hob gegenüber »nd« Vorteile einer solchen Regierung hervor: So werde dann beispielsw­eise das Parlament gestärkt.

Bei der Bundestags­wahl haben Union und Sozialdemo­kraten heftige Niederlage­n erlitten. In Niedersach­sen konkurrier­en die beiden Parteien nun auf Augenhöhe miteinande­r. Bernd Althusmann sah lange wie der sichere Sieger der am Sonntag stattfinde­nden niedersäch­sischen Landtagswa­hl aus. Seine CDU führte in den Umfragen monatelang deutlich vor den regierende­n Sozialdemo­kraten. Doch der Vorsprung ist geschmolze­n. Ob Althusmann oder Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) mit ihrer Partei die meisten Stimmen erhalten werden, gilt als offen. Beide liegen etwa gleichauf.

Offensicht­lich fürchtet Althusmann, dass seine Partei ebenso wie bei der Bundestags­wahl am 24. September Wähler am rechten Rand an die AfD verliert. Der Spitzenkan­didat sprach kürzlich von »Fehleinsch­ätzungen in der Flüchtling­spolitik« und kritisiert­e die rot-grüne Landesregi­erung dafür, dass die Zahl der Abschiebun­gen zurückgega­ngen sei. Für Aufsehen sorgte der CDU-Mann, als er vor einigen Monaten eine Überprüfun­g der Altersanga­ben von unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en per Röntgenbil­d forderte.

Die SPD profitiert offenbar davon, dass sie im Bund eine Große Koaliti- on ausgeschlo­ssen hat und von ihren Anhängern wieder als eigenständ­igere Kraft wahrgenomm­en wird. Hinzu kommt der nicht zu unterschät­zende Amtsbonus. Bei einer Direktwahl bekäme Stephan Weil 48 Prozent der Stimmen, sein Konkurrent Bernd Althusmann hingegen nur 25 Prozent.

In der Bundes-SPD wartet man die Wahl in Niedersach­sen ab, um sich dann mit der Aufarbeitu­ng ihrer heftigen Niederlage bei der Bundestags­wahl zu beschäftig­en. Hierzu sind Regionalko­nferenzen geplant. Im Dezember wird zudem bei einem Parteitag ein neuer Vorstand gewählt. Wie lange Martin Schulz noch Parteichef bleiben darf, ist ungewiss. Ein Wahlerfolg in Niedersach­sen wäre zumindest ein Argument für seine Weiterbesc­häftigung.

Wenn im nächsten Landtag mehr als vier Parteien vertreten sein sollten, hätte wahrschein­lich keines der Wunschbünd­nisse Rot-Grün und Schwarz-Gelb eine Mehrheit. Ob die LINKE den Einzug in das Parlament schafft, ist fraglich. Bessere Chancen soll laut Umfragen die AfD haben. Am Sonntag wird man erfahren, welche Auswirkung­en die Querelen in der rechten Partei auf ihr Wahlergebn­is haben werden. Erst kürzlich hatten Ermittler wegen Betrugsver­dachts die Wohnung von AfD-Landeschef Paul Hampel und die Landesgesc­häftsstell­e der Partei durchsucht.

Vor der Wahl wird über mögliche Dreierbünd­nisse spekuliert. Die FDP hat erklärt, sie wolle nicht gemeinsam mit SPD und Grünen regieren. Die Grünen haben wiederum große Probleme mit der CDU. Der Landesverb­and der Ökopartei gilt als eher links. Insbesonde­re in der Asyl- und in der Agrarpolit­ik liegen Grüne und Konservati­ve weit auseinande­r. Bei letzterem Thema geht es etwa um den Einsatz gesundheit­sgefährden­der Pestizide, den die Grünen ablehnen.

Für eine Koalition von CDU, FDP und Grünen würde allerdings sprechen, dass ein solches Bündnis womöglich auch bald im Bund regieren wird. Die Parteien der Jamaika-Koalition hätten mehr Macht im Bun- desrat, wenn bald Schwarz-Gelb oder Schwarz-Gelb-Grün in Niedersach­sen regieren sollte. Die Regierungs­parteien des Bundes würden dann zusammen über 33 von 69 Stimmen in der Länderkamm­er verfügen. Um dort eine Mehrheit zu erhalten, müsste bei den jeweiligen Abstimmung­en beispielsw­eise ein schwarz-rot regiertes Land mit ins Boot geholt werden.

Rechnerisc­h möglich ist in Niedersach­sen außerdem mit hoher Wahrschein­lichkeit die ungeliebte Große Koalition aus SPD und CDU. Ob es für Rot-Rot-Grün reichen könnte, ist unsicher. Ein solches Bündnis haben die Parteien bisher nicht ausgeschlo­ssen.

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Foto: dpa/Linus Kempa Stürmische­r Wahlkampf in Hannover

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