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Wieder mal kein Mathe

Für viele Niedersach­sen ist die Bildungspo­litik das wichtigste Thema bei der Landtagswa­hl

- Von Hagen Jung

Am Sonntag wird in Niedersach­sen ein neuer Landtag gewählt. Umfragen sehen ein enges Rennen zwischen der regierende­n SPD und der CDU. Die Konservati­ven hoffen, wegen der verbreitet­en Unzufriede­nheit mit der Bildungspo­litik punkten zu können.

Befragunge­n der niedersäch­sischen Wähler haben ergeben, dass sie mehrheitli­ch unzufriede­n mit der Bildungspo­litik der rot-grünen Regierung sind. Vor allem der hohe Unterricht­sausfall wird beklagt. »Mathe und Englisch hatten wir heute nicht.« Immer wieder hören Eltern in Niedersach­sen einen solchen Satz von ihren Kindern. Oft fallen Schulstund­en aus, obwohl sie auf dem Stundenpla­n stehen. Väter, Mütter und Lehrer sind sauer über diesen Zustand. Ihr Unmut mag sich in einer Umfrage zur Zufriedenh­eit mit der Landesregi­erung widerspieg­eln. Nur 24 Prozent der Befragten zeigten sich darin mit der Arbeit von SPD und Grünen im Bereich Schule und Bildung einverstan­den. Zudem ist laut einer ARD-Vorwahlumf­rage die Schul- und Bildungspo­litik für 56 Prozent der Befragten in Niedersach­sen sehr wichtig für die Wahlentsch­eidung. Damit war die Bildung das Topthema. Es folgten die Gerechtigk­eitspoliti­k mit 43 Prozent und die Innenpolit­ik mit 42 Prozent.

Diese Umfragen sind Steilvorla­gen für die schwarz-gelbe Opposition, die solche Zahlen besonders jetzt vor der Wahl gerne nutzt, um auf Sozialdemo­kraten und Grüne einzudresc­hen. Opfer ist dann zumeist Kultusmini­sterin Frauke Heiligenst­adt (SPD). Unter ihrer Führung, rügt die Union, sei die Unterricht­sversorgun­g innerhalb von drei Jahren von 101 auf 98,9 Prozent gesunken.

Eine Zahl, die Heiligenst­adt einräumt. Vielen Bürgerinne­n und Bürgern sagt das aber wenig. Denn die Zahl ist ein aus mehreren Kriterien errechnete­r theoretisc­her Wert. CDUSpitzen­kandidat Bernd Althusmann nennt eine Zahl, die das Debakel besser verdeutlic­ht: 600 000 Unterricht­sstunden seien 2016 an niedersäch­sischen Schulen ausgefalle­n. Grund hierfür ist der Lehrermang­el.

Die Kultusmini­sterin wirbt um Verständni­s. Es seien eben zu wenig Pädagogen auf dem Arbeitsmar­kt. Heiligenst­adt verweist zudem auf die rund 30 000 Flüchtling­skinder, für deren Sprachunte­rricht allein 2300 Lehrkräfte eingesetzt sind. Das schmälert den Prozentsat­z der allgemeine­n Unterricht­sversorgun­g. Diese leidet auch darunter, dass Lehrer von ihrer Stammschul­e an andere Schulen abgeordnet werden, um dort Personallü­cken zu füllen.

Die Unterricht­sversorgun­g von 100 Prozent und mehr sei ein vorrangige­s Ziel, betont die SPD in ihrem Wahlprogra­mm. Parallel dazu wollen die Sozialdemo­kraten weitere Studienplä­tze für künftige Pädagogen schaffen. Darüber hinaus planen sie, die Zulassungs­bedingunge­n für Quereinste­iger zu vereinfach­en. Diese Menschen haben kein Lehramtsst­udium, aber ein anderes Studium absolviert und eignen sich für den Schuldiens­t.

Eine solche Eignung ließe sich auch durch den Meisterbri­ef belegen, meint die CDU. Praktiker aus dem Bereich des Handwerks seien als Quereinste­iger eine Bereicheru­ng für die berufsbild­enden Schulen und sie könnten dort den Lehrermang­el »bekämpfen«. Der Unterricht­sausfall an den allgemeinb­ildenden Schulen ist nach Ansicht der Union auch dem Einsatz von Pädagogen für unterricht­sferne Arbeiten anzulasten, etwa für Verwaltung­stätigkeit­en. Eigens für diese wolle eine mögliche CDU-geführte Regierung spezielle Mitarbeite­r einstellen.

Allerdings ist fraglich, ob die mit der rot-grünen Bildungspo­litik unzufriede­nen Bürger davon ausgehen, dass es die CDU insgesamt besser machen würde. Althusmann räumte kürzlich gegenüber der »taz« ein, dass die Einführung des verkürzten Abiturs nach zwölf Jahren, die er als Kultusmini­ster einst befürworte­t hatte, nicht optimal gelaufen sei. Rot-Grün hatte die Entscheidu­ng in dieser Legislatur­periode rückgängig gemacht und flächendec­kend wieder das Abitur nach 13 Jahren eingeführt.

In puncto Quereinste­igereinsat­z, Entlastung der Pädagogen von berufsfrem­den Tätigkeite­n sowie einer gerechten Bezahlung der Lehrkräfte an allen Schulforme­n sind sich die zur Landtagswa­hl angetreten­en Parteien, von Nuancen abgesehen, zumeist einig.

Zankapfel ist hingegen nach wie vor die Inklusion. Dabei geht es um den gemeinsame­n Unterricht für Schülerinn­en und Schüler mit und ohne Behinderun­g. SPD, Grüne und Linksparte­i gehen konsequent diesen Weg. Die rot-grüne Landesregi­erung hat bereits damit begonnen, die Förderschu­len für Lernschwac­he ganz abzuschaff­en. Auch CDU und FDP sagen ja zur Inklusion. Sie wollen allerdings die Förderschu­len erhalten. Sie unterstrei­chen zudem: Nicht die Politik, sondern die Eltern und die Schüler sollten entscheide­n: Förderschu­le oder aber Inklusion, also Besuch der Regelschul­e.

Der Wunschkata­log der Parteien zu Schule und Bildung ist lang. Genannt seien hier nur ein paar wichtige Beispiele: Weil der Bedarf an sozialer Betreuung von Schülerinn­en und Schülern gestiegen sei, will die SPD, wenn sie weiterhin die Landesregi­erung anführen sollte, die Schulsozia­larbeit als neue Landesaufg­abe langfristi­g ausbauen. Die CDU verspricht, an allen Schulen im Interesse einer »vertieften digitalen Bildung« ein verlässlic­hes WLAN-Netz bereitzust­ellen. Schon für sehr junge Unternehme­r verwendet sich die FDP. Sie möchte das Gründen von Schülerfir­men fördern, bei denen die »Betriebs- und Mitarbeite­rführung« gelernt werden kann. Sitzenblei­ben und erzwungene­n Schulwechs­el wollen die Grünen abschaffen. Durch solche »antiquiert­en Maßnahmen« würden die Betroffene­n beschämt, kritisiert die Ökopartei. Schulbüche­r sollen Eltern nicht mehr finanziell belasten, fordert die LINKE. Sie will die völlige Lernmittel­freiheit.

Und die AfD wettert gegen den Ausbau des islamische­n Religionsu­nterrichts und gegen das Thema »Sexuelle Vielfalt« auf dem Lehrplan. Zudem fordern die Rechtspopu­listen ein schnellere­s Vorgehen von Jugendamt und Polizei gegen Schulschwä­nzer.

Zankapfel ist nach wie vor die Inklusion. Dabei geht es um den gemeinsame­n Unterricht für Schülerinn­en und Schüler mit und ohne Behinderun­g.

 ?? Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte ?? An der Bildungspo­litik von Rot-Grün in Niedersach­sen gibt es viel Kritik. Die SPD sieht darin nur »Zahlenspie­le« der Opposition.
Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte An der Bildungspo­litik von Rot-Grün in Niedersach­sen gibt es viel Kritik. Die SPD sieht darin nur »Zahlenspie­le« der Opposition.

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