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»Dieser Sport ist nicht verseucht«

Triathlet Sebastian Kienle will den Ironman gewinnen. Vor dem Start spricht er über Doping, Favoriten und Hawaii

- Foto: imago/CTK Photo

Am Sonnabend ist es wieder so weit: Mit einem Kanonensch­uss wird der Ironman in Kailua Kona gestartet. Die 3,8 Kilometer Schwimmen im Pazifik, 180 Kilometer Radfahren in der Lavawüste und 42 Kilometer Laufen auf dem Asphalt gelten als ultimative Herausford­erung im Triathlon. Sebastian Kienle aus Mühlacker siegte 2014, vergangene­s Jahr wurde er Zweiter. Der 33-Jährige sprach mit Frank Hellmann über seine Vorbereitu­ng und Ziele, einen möglichen deutschen »Ironwar« mit dem Favoriten Jan Frodeno, das gestiegene öffentlich­e Interesse an der Sportart und Dopingverg­leiche mit der Leichtathl­etik und dem Radsport.

Sie sind seit fast einem Monat auf Hawaii. Warum ist die frühe Anreise so sinnvoll?

Die Bedingunge­n, die Kona am ähnlichste­n sind, hat man vor allem in Kona! Es streiten sich ja die Triathlon-Gelehrten, ob das der einzige richtige und wahre Plan ist, aber für mich hat das immer gut funktionie­rt. Die Alternativ­e, lange in Deutschlan­d zu bleiben, wäre immer mit dem Risiko verbunden gewesen, bereits richtig schlechtes Wetter zu haben. Und dann sitzt man vielleicht schon mit einem geschwächt­en Immunsyste­m im Flieger.

Sie werden von Ihrer Frau Christine, Trainer Lubos Bilek und einem Physiother­apeuten unterstütz­t. Wie hat man sich das vorzustell­en: Alle wohnen im Apartment und fiebern der großen Mission entgegen?

So schaut es aus (lacht). Das funktionie­rt nur, weil wir gut eingespiel­t sind und uns alle gut kennen – und jeder weiß, wo die Macken des anderen sind. Letztlich müssen vor allem die drei anderen auch meine Launen aushalten.

Launen bei einem der härtesten Eisenmänne­r der Welt?

Ja, Kleinigkei­ten, die ich leider an den Menschen auslasse, die mir am meisten bedeuten. Ich gebe mir dann wenig Mühe zu unterdrück­en, dass mich gerade etwas ankotzt. Das hat damit zu tun, dass auch die Festplatte, der Kopf, im wörtlichen Sinne heiß läuft. Ich habe aber mit der Zeit gelernt, dass auf Hawaii nur eine innere Ruhe hilft und ich mich auf das beschränke, was ich selbst direkt beeinfluss­en kann.

Wo sind die Schlüssels­tellen beim Ironman auf Hawaii?

Beim Schwimmen sind die ersten 500 Meter der Schlüssel, gerade für mich. Am Anfang sortieren sich die Gruppen – entweder bist du in den vor- deren drin oder nicht. Beim Radfahren sind die Rennen oft am Anstieg nach Hawi entschiede­n worden, weil dort die ganz heftigen Winde kommen und es dort leicht bergauf geht. Nach der Hälfte des Rennens lässt sich die erste Attacke setzen, die Wirkung zeigt. Und beim Laufen kommt es nach dem Wendepunkt im Energy Lab drauf an: Wenn du an dieser Stelle noch Kraft hast, geht was.

Im Vorjahr sind Sie und Jan Frodeno zeitweise Seite an Seite gelau- fen. Nostalgike­r wünschen sich die Neuauflage eines »Ironwar« wie einst 1989 zwischen Dave Scott und Mark Allen.

Ich glaube, dass an solch einem Kriegsspie­lchen jetzt noch ein paar mehr Parteien teilnehmen können. Ich habe in den USA mit Ben Hoffmann trainiert, dem ist viel zutrauen. Ich kann mir vorstellen, dass der Brite Tim Don in diesem Jahr seinen Zenit erreicht. Und auch der Australier Nick Kastelein wird sich die ersten sechs Rennstunde­n weit vorne aufhalten. Und nicht zu vergessen Patrick Lange, dem selbst ein größeres Defizit auf dem Rad nicht viel ausmacht. Aber wenn wir die vergangene­n zwei, drei Jahre anschauen, sind Jan und ich der Stärkste und Zweitstärk­ste. Und da Menschen am liebsten die Vergangenh­eit heranziehe­n, um Vorhersage­n für die Zukunft zu treffen, kann das wohl wieder ein Duell zwischen uns beiden werden (lacht).

Besteht der Kontakt zum Hauptkonku­rrenten Frodeno noch oder hat das Verhältnis etwas gelitten? Wir schreiben uns regelmäßig. Wenn sich unser Verhältnis wirklich verschlech­tert, würde das daran liegen, dass ich in diesem Jahr in Kona gewonnen hätte (lacht).

Sie haben vor Monaten betont, dass Frodeno für Sie nicht unschlagba­r sei. Wie ist denn jetzt der Status? Er ist der Favorit, aber wir treten auf Augenhöhe gegeneinan­der an. Im vergangene­n Jahr war Jan nahe an einer Niederlage. Und in diesem Jahr habe ich die besseren Ergebnisse gemacht. Jan wird erst auf Hawaii die Karten auf den Tisch legen. Er steht aber auch mehr unter Druck: Alles andere als ein Sieg wäre eine Niederlage für ihn. Diese maximale Fallhöhe hat er sich erarbeitet.

Würde Frodeno das dritte Mal in Folge in Kona die Krone holen, müsste er mit 36 Jahren und als Familienva­ter doch aufhören, oder? Puh! Das wäre ja das Allerschli­mmste für mich. Wenn er in diesem Jahr gewinnen, dann aufhören würde und ich im Jahr danach in der Form meines Lebens am Start stände – und Jan wäre nicht da.

Sie sind 33 Jahre alt. Wie lange wollen wollen Sie noch weitermach­en? In solch einer extremen Sportart wie unserer trägt man sich immer mal wieder mit dem Gedanken aufzuhören, aber ich komme immer wieder zu der Erkenntnis, dass der Triathlon mir noch verdammt viel Spaß macht. Ich habe einen großen Grad an Freiheit und Unabhängig­keit und kann damit auch verhältnis­mäßig gut Geld verdienen. Was wäre die Alternativ­e? Die sehe ich derzeit nicht für mich. Mein Körper wird mir sagen, wie lange es noch auf diesem Niveau geht: Ich werde das Dasein als Profitriat­hlet nicht künstlich in die Länge ziehen. Ich hoffe, dass ich noch drei, vier gute Jahre vor mir habe.

Inwieweit hat der deutsche Dreifachtr­iumph im Vorjahr Ihnen mehr Aufmerksam­keit beschert?

Ich würde sagen, dass wir zwar auf einer neuen Stufe, aber immer noch nah am Boden sind. Es gibt noch einiges zu erklimmen. Ich sehe allerdings an der Medienpräs­enz vor Ort, dass sich viel getan hat. Das ZDF schaltet zum Morgenmaga­zin nach Big Island: Das hat es früher nicht gegeben.

Aus der öffentlich­en Diskussion über den Ironman ist das Thema Doping fast ganz verschwund­en. Dabei werden Ausdauerle­istungen in allen Sportarten oft hinterfrag­t. Ich habe mich eher gewundert, dass das Thema früher bei uns so präsent war. Welche Hawaii-Sieger aus den vergangene­n 30 Jahren waren denn gedopt?

Die Deutsche Nina Kraft bei ihrem Sieg 2004. Sie hat das Epo-Doping danach auch gestanden.

Ich sagte aber Hawaii-Sieger.

Da gibt es bislang keinen.

Also. Und dann vergleiche­n wir das mal mit dem Radsport oder mit den Siegerlist­en im 100-Meter-Lauf. Nehmen wir den Fakt aus dem NADAJahres­report, dass wir 2014 in Deutschlan­d die am meisten kontrollie­rte Sportart waren. Und keiner kann ernsthaft der Meinung sein, dass das Knowhow in Sachen Doping im Triathlon annähernd so ist wie im Radsport oder der Leichtathl­etik. Dieser Sport ist nicht verseucht. Ich weiß ja am besten, dass man bei uns sauber Weltmeiste­r werden kann.

Wie oft wurden Sie kontrollie­rt?

In diesem Jahr hatte ich sechs Kontrollen. Für mich ist das verhältnis­mäßig wenig, 2014 bin ich viel häufiger kontrollie­rt worden, ich glaube, insgesamt 32 Mal in Training und Wettkampf. Weniger Kontrollen können effektiv sein, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt kommen. Mich haben zeitweise vier Institutio­nen aufgesucht oder Kontrollen angeordnet: Die DTU, die NADA, dann auch die WADA und die WTC. Deswegen hatte ich 2014 allein in den zweieinhal­b Wochen Vorbereitu­ng auf Hawaii acht Kontrollen. Davon alleine fünf in der Wettkampfw­oche.

Timo Bracht hat im vergangene­n Jahr für mächtig Verstimmun­g bei Jan Frodeno gesorgt, weil er dessen Dominanz auf der Langstreck­e mit der von Usain Bolt im 100-Meter-Sprint verglich. Wie ist das bei Ihnen angekommen?

Da würde ich mal fein unterschei­den: Jan hat Timo dominiert, aber Jan hat nicht unseren Sport dominiert. Ich bin lange nah an Jan dran gewesen. Und Leistung ist noch kein Dopinghinw­eis. Und bei ihm ist die gesamte Entwicklun­g nachvollzi­ehbar. Aus meiner Sicht hat sich unser Sport bei den Zeiten doch eher langsam entwickelt. Ich schaue eher auf diejenigen, die erst stagnieren und dann auf einmal rasante Sprüngen machen.

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