Schwieriger Ausstieg
Zwei argentinische Landwirte verlassen das Hamsterrad des agrarindustriellen Anbaus
Wie ein Agrarbetrieb in Argentinien auf Glyphosat verzichtet.
In der fruchtbaren argentinischen Pampa begann einst der Siegeszug von Glyphosat. Ein Geschwisterpaar hat dort den Ausstieg gewagt und erfolgreich bewältigt – doch die Calderóns sind die Ausnahme. Mittlerweile halten aber auch Saatguthersteller die Tage des Unkrautvernichters für gezählt. »Wir waren keine Landwirte mehr, sondern nur noch Unternehmer. Es war ein Leben in einer Kreditblase. Stell dir vor, du bewirtschaftest einen Hof und von allem, was du brauchst, musst du 80 Prozent kaufen und produzierst nur 20 Prozent selbst.«
Marcela Calderón, Landwirtin
Ein Leben ohne Glyphosat ist auch in Argentinien für die meisten Landwirte unvorstellbar. Dass es anders geht, zeigt das Geschwisterpaar Calderón. Doch die Umstellung war nicht einfach. Tief ziehen die Wolken über die flache Landschaft der Pampa Húmeda. Am Horizont verschmelzen Himmel, Wolken und Erde dort, wo jeden Morgen rotglühend die Sonne aufsteigt. El Paraíso heißt die kleine Farm in der Nähe der Kleinstadt Los Toldos rund 300 Kilometer von der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires entfernt. Und das Paradies ist gesegnet mit sehr guten Böden. Die 220 Hektar sind ein winziger Teil der »feuchten Pampa«, einer der fruchtbarsten Regionen der Welt. Sie erstreckt sich von Uruguay und dem Süden Brasiliens bis über weite Teile der argentinischen Provinzen Santa Fe, Córdoba, La Pampa und Buenos Aires.
Auf El Paraíso leben die Geschwister Calderón. Etwas erhöht und im Schutz der Bäume ist ihr Haus zu erkennen. Dahinter stehen das Haus des einzigen Angestellten, die flache Scheune und die große überdachte Lagerhalle. In dieser lässt der Wind den Staub zirkulieren und treibt das Rad der Mühle an, die frisches Wasser in ein großes rundes Vorratsbecken aus Beton pumpt. Hühner scharren nach Würmern und verlorenen Körnern, ein Hahn kräht. Aus den Baumkronen schimpfen kleine grüne Papageien.
In der dritten Generation bewirtschaften die Calderóns ihr kleines Paradies. Anfang des 20. Jahrhunderts begann der Großvater mit einem Ochsengespann, die Ackerkrume umzubrechen, später mit einem Pferdegespann. In den 1940er Jahren spannte dann der Vater den Pflug erstmals hinter einen Traktor. Brauchte der Opa noch einen ganzen Tag, um einen Hektar umzupflügen, schaffte es der Vater nunmehr in einer Stunde. Damals hatten sie 100 Hektar Land, auf denen sie abwechselnd Weizen, Sonnenblumen, Mais und Luzerne anbauten sowie Rinder weideten. Später kauften sie umliegende Flächen hinzu.
Als die Kinder Marco und Marcela die Farm übernahmen, fingen sie 1978 mit dem Anbau von Soja an. Lange noch rissen sie das Unkraut mit den Händen aus. Zu zehnt arbeiteten sie damals. »Herbizide waren zu teuer«, erinnert sich Marco Calderón. Und: »Die Mischungen der Unkrautvernichtungsmittel waren so kompliziert, dass man immer einen Agronomen brauchte«, sagt Marcela, und die mutierten immer mehr zu Chemieverkäufern. Cocktails nannten sie ihre Mixturen. »Man wusste, wogegen jedes einzelne Herbizid wirkte, aber niemand wusste, wie gefährlich sie als Gemisch waren.«
Dann kam ein billiges und wirkungsvolles Unkrautvernichtungsmittel auf den Markt. »Glyphosat war wie eine Befreiung«, sagt Marco. Der Vater hatte damals die Idee, ein mit Glyphosat getränktes Band vor den Traktor zu spannen. Dieses fuhr über die niedrig wachsenden Pflanzen hinweg und streifte dabei das hochwachsende Unkraut. »Glyphosat wirkt durch bloßen Kontakt. Pflanzen, die damit in Berührung kommen, sterben ab«, sagt der 53-jährige Landwirt. Glyphosat riecht kaum und tropft wie frisch gepresstes Olivenöl. »Nach gut 20 Tagen verliert es seine giftige Wirkung auf die Pflanzen.«
Mit dem Allroundvernichter hielt auch die Direktaussaat ihren Einzug. Die Ackerkrume wurde jetzt nicht mehr umgebrochen, sondern das Saatgut unmittelbar in den Boden eingesät. Glyphosat wurde nun mit Wasser vermischt und vor der Aussaat auf die Äcker versprüht. Es sei so verlockend einfach gewesen: den Unkrautvernichter über die Felder sprühen, warten und dann einsäen. »Deshalb wollten alle Glyphosat«, sagt Marco Calderón.
Die Vertreter von Banken, Saatgut-, Chemie- und Maschinenfirmen gaben sich nicht nur bei den Calderóns die Klinke in die Hand. In der Pampa Húmeda begann der Siegeszug von Glyphosat. »Wenn ich nur die Wahl hätte zwischen Glyphosat und den Chemiecocktails, würde ich immer Glyphosat wählen«, sagt Marco. 1994 kauften die Calderóns die großen Saat- und Erntemaschinen, pachteten noch 2500 Hektar hinzu und bauten großflächig Soja an.
Jetzt war der Landwirt ständig auf Achse oder dirigierte die Vertragsangestellten über die Felder. Täglich besprühten sie Felder, brachten Düngemittel, Saatgut und Pflanzenschutzmittel aus, holten die Ernte ein, zahlten vom Erlös die immensen Steuern und die Pacht, tilgten die Kredite für Maschinen und Saatgut, nahmen neue auf für den nächsten Anbauzyklus. Marcela, mit erfolgreichem Abschluss in Landwirtschaftsverwaltung, kam vor Papier- und Computerkram kaum noch aus dem Büro.
»In der Werbung zeigen sie den Produzenten, wie er auf seiner großen Erntemaschine auf das Display des Bordcomputers tippt, während ihn der Autopilot über das Feld steuert. Anschließend fährt er mit seinem Toyota Hilux nach Hause, wo ihn die Familie freudig empfängt. Tatsächlich bist du in einem Hamsterrad.« Man renne vom Finanzamt zu den kreditgebenden Banken hin zu den Agrarchemie- und Saatgutfirmen. Aus der feuchten Pampa sei so eine riesige Mine unter freiem Himmel geworden, aus der statt Gold und Silber Wasser und Mineralien entnommen werden, sagt Marco Calderón und rauft seine weißen Haare.
2012 sind sie ausgestiegen. »Wir waren keine Landwirte mehr, sondern nur noch Unternehmer. Es war ein Leben in einer Kreditblase. Stell dir vor, du bewirtschaftest einen Hof und von allem, was du brauchst, musst du 80 Prozent kaufen und produzierst nur 20 Prozent selbst«, sagt die 50-jährige Marcela. Heute habe sich das Verhältnis umgekehrt.
Doch der Ausstieg war schwer. Sie hatten Kreditschulden, mussten Angestellte entlassen und entschädigen. Sie verkauften Maschinen und den Hilux, gaben die gepachteten Felder ab. Die Beamten vom Finanzamt standen als erstes auf der Matte. Wo denn die Steuern blieben? »Die konnten sich gar nicht vorstellen, dass jemand da aussteigt«, schmunzelt Marco. Heute machen die Handels- und Bankenvertreter einen Bogen um das Paradies, die gesponserten Einladungen zu den Verkaufsmessen in aller Welt bleiben aus.
30 Hektar um das Haus herum sind im vierten Jahr ohne Düngemittel und Pestizide. Die anderen 190 Hektar haben sie verpachtet und werden weiter konventionell bewirtschaftet. Die Erlöse dienen noch immer der Schuldentilgung. Ihr Ziel ist, alle ihre 220 Hektar umzustellen. Bei der Direktaussaat sind sie geblieben. Die Erde wird nicht umgebrochen. Doch statt mit Glyphosat dem Unkraut zu Leibe zu rücken, weiden jetzt Schafe die Felder vor der Aussaat ab. »Die fressen auch die hartnäckigsten Unkräuter.« Kot und Urin düngen zugleich den Boden. Marco Calderón stößt den Spaten in den Boden, hebt ihn an und dreht die lockere Erde nach oben. Dicke Regenwürmer winden sich darin. »Ein toller Anblick, nicht wahr?«
Bis heute sind die Calderóns ein Einzelfall in der Umgebung von Los Toldos. Im vergangenen Jahr hatten sie auf zwölf Hektar Bioweizen angebaut. 36 000 Kilo konnten sie ernten. »Der Markt für Bioprodukte ist erst im Entstehen.« Darauf setzen sie ihre Hoffnung. Und sie werden immer weniger belächelt. Von der nahen Landwirtschaftsschule seien sie gekommen, um Proben von den Böden in der Umstellungsphase und den Böden nach 30 Jahren Direktsaat zu nehmen. Gemessen werden sollten der Gehalt der Biomasse und die Aufnahmebereitschaft für Wasser und Luft. Schon mit bloßem Auge kann man die Fülle der Mikroorganismen und Würmer erkennen, während die Erde der Direktsaat praktisch tot war. »Wenn in der Erde Leben ist, ist sie gesund«, sagen sie in El Paraíso.