nd.DerTag

Angemessen ist nicht gleich Würde

Grit Gernhardt ärgert sich über Urteile zuungunste­n von Hartz-IV-Beziehern

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Wenn man in den Sozialleis­tungsbezug gerät, gibt man einen großen Teil seiner Selbstbest­immung und Würde an der Tür des Jobcenters ab. Das Geld reicht nur noch für das Allernötig­ste, man muss sich finanziell und persönlich komplett nackig machen – auch wenn man amtsdeutsc­h-beschönige­nd »Kunde« und nicht »Bittstelle­r« genannt wird. Auch Wohnort oder Wohnung kann man sich nicht selbst aussuchen, da sich die vom Amt übernommen­e Miete und auch die Wohnungsgr­öße in engen Grenzen bewegt. Und das, wo etwa in Berlin oder München die Wohnungssu­che bereits Normalverd­iener vor beinah unlösbare Probleme stellt. Das Bundesverf­assungsger­icht hat aber dennoch geurteilt, dass nur eine »angemessen­e« – nach Ansicht des Gesetzgebe­rs – Wohnung bezahlt werden muss. Von »Würde« war in der Begründung keine Rede.

Aber die kann man ja auch nicht messen und in Anweisunge­n für Jobcenterm­itarbeiter umrechnen. Dass die Wohnung ein wichtiger Rückzugsor­t und privates Refugium für die meisten Menschen ist und ein erzwungene­r Umzug stark in die Selbstbest­immung des Einzelnen eingreift, spielt bei den juristisch­en Feinheiten keine Rolle. Kein Hartz-IV-Bezieher würde wohl vom Jobcenter die Übernahme der Miete für ein Schloss verlangen – die meisten wollen einfach nur gern in ihren eigenen vier Wänden bleiben.

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