nd.DerTag

Verloren an den Islamismus

Yassin Musharbash­s Thriller über eine der größten Herausford­erungen des modernen Westens

- Von Katharina Schwirkus

Was treibt einen jungen deutschen Mann dazu, in den Krieg nach Irak oder Syrien zu ziehen, um für die Errichtung eines islamische­n Staates zu kämpfen? Angetriebe­n von dieser Frage entwickelt Yassin Musharbash die spannende Geschichte des Gent Sassenthin, eines Mannes in seinen frühen Zwanzigern, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens zum Islam konvertier­t.

Nachdem seine Schwester sich das Leben nimmt, ist Gent verzweifel­t und verfällt in Depression­en. Im Islam findet er Zuflucht und Antworten auf die Fragen, die er sich stellt. Dass es der Islam ist, von dem er Hilfe erhofft, ist zunächst ein Zufall. Durch einen netten Taxifahrer kommt er zum ersten Mal mit dem Propheten in Kontakt. Zum Ende der Fahrt gibt ihm der Taxifahrer eine islamische Weisheit, ein Hadith, mit auf den Weg: »Der Pfeil, der dich treffen soll, wird dich nicht verfehlen. Und der Pfeil, der dich verfehlen soll, wird dich nicht treffen.«

Gent fragt den Fahrer nach seinem Namen und sucht den Mann kurz darauf in den Moscheen Berlins. Er findet ihn und besucht bald öfter die Moschee, in welcher er spricht. Die Beschäftig­ung mit dem Islam füllt ein Loch in Gents Leben. Er beginnt, Arabisch zu lernen und feiert nicht mehr Weihnachte­n. Seine Eltern bittet er darum, ihn Abdallah zu nennen, wie es seine muslimisch­en Brüder tun.

Gents Eltern tun sich schwer mit der Konvertier­ung ihres Sohnes, mer- ken aber erst, dass sie ihn verloren haben, als er schon nicht mehr in Deutschlan­d ist. In ihrer Verzweiflu­ng wenden sie sich an eine Beratungss­telle, genauer gesagt, an den Mitarbeite­r Titus Brandt, der etliche Familien betreut, deren Kinder sich radikalisi­ert haben und in den Dschihad gezogen sind. Dennoch fällt es ihnen schwer, sich Brandt zu öffnen, der für seine Arbeit so viel wie möglich über die Beziehung zu ihrem Sohn wissen muss.

Spätestens, als der Autor durch den Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes, Sami Mukhtar, einen weiteren Erzählstra­ng aufmacht, merkt die Leserin, dass Musharbash ein Experte für islamistis­chen Terror ist. Der Einblick in Mukhtars Arbeit zeigt ein sehr realistisc­hes Bild der deutschen Behörden: Rivalitäte­n zwischen dem Bundesnach­richtendie­nst und dem Verfassung­sschutz, egozentris­che Männer bestimmen das Bild. Die Zusammenar­beit der einzelnen Behörden mit der Presse funktionie­rt da besser, weswegen immer wieder sensible Informatio­nen an die Öffentlich­keit gelangen, noch bevor die jeweils andere Behörde informiert ist. Eine Journalist­in namens Merle Schwab ist schließlic­h die letzte Hauptfigur, deren Erzählstra­ng mit Mukhtar eng verflochte­n ist. Die Figur der Journalist­in zeigt, welchen moralische­n Gewissensb­issen Journalist­innen bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind und wie einfach ihnen ihre Geschichte­n entgleiten können.

Mit »Jenseits« zeichnet Musharbash nicht nur den Weg junger Islamisten nach, sondern auch die Schwächen unserer modernen, westlichen Kultur. Er selbst kennt sowohl die arabische als auch die deutsche Kultur, da er jordanisch­e und deutsche Wurzeln hat. Dass er sich im Islam auskennt, ist auch seinem Studium der Arabistik und Politologi­e zuzuschrei­ben. Zunächst arbeitete er als Journalist für die »taz« und die »Jordan Times«, mittlerwei­le ist er im Investigat­ivressort der »Zeit« tätig.

Nach dem islamistis­chen Attentat in Barcelona im August dieses Jahres ist umso klarer, wie aktuell Musharbash­s Buch ist. Darin erzählt er von den verheerend­en Auswirkung­en eines terroristi­schen Attentats im andalusisc­hen Córdoba. Auch hier thematisie­rt er das Versagen und die Untätigkei­t der Sicherheit­sbehörden.

Wenngleich Musharbash keine Antworten darauf geben kann, wie wir uns vor dem Islamismus schützen können, macht er es nachvollzi­ehbar, warum sich Menschen in der Radikalitä­t verlieren. Zudem gibt er einen tiefen Einblick in eine der größten Herausford­erungen des Westens.

Die ganze Erzählung ist ein Thriller. Hat man einmal richtig angefangen zu lesen, kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ein spannender­es und zugleich so aktuelles Buch wird man lange suchen müssen.

Musharbash zeichnet auch die Schwächen unserer modernen, westlichen Kultur nach.

Yassin Musharbash: Jenseits. Roman. Kiepenheue­r & Witsch, 320 S., br., 14,99 €.

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