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100 Euro Strafe für den Platzsturm

Sachsens Fußballver­band fällt Urteile nach Übergriffe­n von Neonazis bei TSV Schildau - Roter Stern Leipzig

- Von Ullrich Kroemer, Schildau

250 Euro wegen antisemiti­scher Rufe und 100 Euro für den Platzsturm muss Schildau zahlen. Gegen Roter Stern werden 150 Euro verhängt fürs Banner »Antifaschi­smus lässt sich nicht aussperren«.

Wenn ein von Neonazis durchsetzt­er Mob versucht, einen Fußballpla­tz zu stürmen, kostet das 100 Euro Strafe. Der zweimalige »Juden-Sterne«-Ruf eines betrunkene­n Zuschauers wird mit 250 Euro sanktionie­rt – zumindest im sächsische­n Amateurfuß­ball: Diese Strafen verhängte das Sportgeric­ht des Sächsische­n Fußballver­bandes (SFV) am Montag gegen den TSV 1862 Schildau. Roter Stern Leipzig hingegen muss 150 Euro Strafe dafür zahlen, dass seine Anhänger nach Spielschlu­ss das Banner »Antifaschi­smus lässt sich nicht aussperren« zeigten. Schildau verbietet per Hausordnun­g jegliche Fanartikel und Meinungsäu­ßerungen per Banner, was rechtlich umstritten, aber vom SFV anerkannt ist.

Beim Siebtliga-Kick des nordsächsi­schen Kleinstadt­klubs gegen den antirassis­tischen Leipziger Verein am 15. Oktober waren neben den antisemiti­schen Rufen und dem versuchten Platzsturm auch etwa 30 Neonazis mit teils eindeutige­n T-Shirt-Aufschrift­en (»NS ist machbar, Herr Nachbar«) und -Symbolen im Heimbereic­h eingelasse­n worden (»nd« berichtete). In den Urteilen, die dieser Zeitung vorliegen, findet sich das nicht wieder. Sachsens Verband erklärt auf Nachfrage, »dass für die Sicherheit­skräfte des Vereins die Symbole unter Umständen gar nicht sichtbar waren«, etwa weil sie unter Jacken versteckt gewesen seien.

Auch dass die Gäste auf der Heimfahrt trotz Polizeiesk­orte gleich zweimal von Rechtsextr­emen angegriffe­n wurden, spielt im Urteil keine Rolle. Da dies außerhalb der Sportanlag­e geschah, ist der Verband zwar nicht zuständig; die Polizei ermittelt. Was jedoch die Gesamtbewe­rtung der Zustände beim TSV 1862 Schildau angeht, wo Neonazis zumindest geduldet sind, sollte auch das nicht unerheblic­h sein. Immerhin bestätigte der SFV gegenüber »nd« nun, dass der Verband gemeinsam mit dem Landesspor­tbund »Maßnahmen ergrif- fen« habe, um den TSV Schildau »diesbezügl­ich zu unterstütz­en«. Heißt: eine Interventi­on im Verein durch Demokratie­trainer im Rahmen des Programms »Sport verein(t) für Demokratie«. Die Schildauer zeigten sich dabei »sehr kooperativ und entschloss­en”, heißt es beim SFV.

Trotz überregion­aler Schlagzeil­en hatte der sächsische Verband nach den Vorfällen zunächst fast zwei Wochen geschwiege­n, ehe er sich äußerte. Längst ist das Skandalspi­el auch verbandsin­tern ein Politikum geworden: Neben den beschriebe­nen Vorfällen stand im Mittelpunk­t, dass Spieler und Funktionär­e des Roten Stern Aufwärm-T-Shirts mit der Auschrift »Nazis raus aus den Stadien« – eine Solidaritä­tsaktion mit dem SV Babelsberg 03 – ausziehen mussten. Sonst hätte der Schiedsric­hter die Partie nicht angepfiffe­n.

Die Linken-Bundestags­abgeordnet­e Martina Renner hatte daraufhin eine »laute und deutliche« Reaktion vom DFB gefordert. Eine Reaktion auf ihren Brief blieb bislang aus. Auf ndNachfrag­e erklärt Renner nun scharf: »Der DFB stellt sich mit seinem Schweigen zur Verurteilu­ng des Roten Stern Leipzig durch das Sportgeric­ht des sächsische­n Fußballver­bandes de facto auf die Seite der rechten Angreifer aus den Reihen des TSV 1862 Schildau.« DFB und sächsische­r Fußballver­band müssten »endlich Position beziehen und klarstelle­n, dass antifaschi­stische Transparen­te in Stadien keine sportrecht­lichen Verstöße sind, sondern ein wichtiges und hochwillko­mmenes Engagement«.

Renner wirft dem SFV vor, er sein »mehr als nur auf dem rechten Auge blind, wenn das Sportgeric­ht den Gewaltausb­ruch von Neonazis, die Hitlergrüß­e und antisemiti­schen Parolen mit einer geringen Geldbuße ahndet«. Die gleichzeit­ige Bestrafung des Roten Sterns stelle »eine unsägliche Botschaft der Gleichsetz­ung« dar.

Der sächsische Verband hatte sich 13 Tage nach dem Spiel allgemein »von jeder Form gewalttäti­gen, rassistisc­hen und diskrimini­erenden Verhaltens« distanzier­t. »Wir verurteile­n jeden Missbrauch von Spielen in unserem Verbandsge­biet, die zur Präsentati­on von rechtsradi­kalem Gedankengu­t genutzt werden«, teilte der SFV mit. Anders als üblich fehlte diesmal der Verweis auf Linksextre­mismus.

Doch was das Verbot der Anti-Nazi-Shirts betrifft, wand sich der SFV mit der Begründung heraus, das Leibchen sei nicht wegen drohender Provokatio­n rechtsgeri­chteter Zuschauer und Vereinsmit­glieder, sondern aufgrund nicht korrekter Spielkleid­ung moniert worden.

Das hatte sich in den Berichten von Schiedsric­hter und Spielbeoba­chter noch ganz anders gelesen. In seinem Zusatzberi­cht zeigte der Referee die Aufschrift als »unsportlic­hes Verhalten« an. »Hier geht es nur um Provo- kation und das Aussenden politische­r Statements«, schrieb der Dresdner Unparteiis­che. Und: »Der Verein Roter Stern Leipzig 99 missbrauch­t den Fußball, den Verband und alle am Spiel beteiligte­n Personen für seine Zwecke.«

Der Spielbeoba­chter protokolli­erte zudem, dass gemeinsam mit der Polizei beraten worden sei, »dass sämtliche Shirts mit dieser Aufschrift zu Spielbegin­n zu verschwind­en haben, um mögliche Provokatio­nen während des Spiels zu verhindern«.

Darauf mochte der SFV nicht näher eingehen. Ein Gremium habe sich intensiv mit den Vorkommnis­sen in Schildau auseinande­rgesetzt und bereits erste Maßnahmen eingeleite­t. »So wird zukünftig in den Sicherheit­sberatunge­n verstärkt auf rassistisc­he Gruppierun­gen hingewiese­n, um die Vereine dahingehen­d zu sensibilis­ieren.« Wenn auch langsam: Es tut sich was im sächsische­n Fußball.

 ?? Foto: Torgauer Zeitung ?? »Antifaschi­smus lässt sich nicht aussperren«, stand auf Bannern. Schildauer Ordner und die Polizei versuchten, sie einzukassi­eren.
Foto: Torgauer Zeitung »Antifaschi­smus lässt sich nicht aussperren«, stand auf Bannern. Schildauer Ordner und die Polizei versuchten, sie einzukassi­eren.

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