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Lernen von Rechts

Um die Stärke der AfD zu brechen, muss die Linke ihr intellektu­ell die besseren Argumente entgegense­tzen

- Von Helge Buttkereit

Der Protest ist deutlich. Viel wird darüber geschriebe­n, dass die AfD vor allem aus Protest gewählt wird. Sie ist, das zeigte sich nach den Landtagswa­hlen nun auch bei der Bundestags­wahl, die neue Protestpar­tei in West wie Ost. Damit hat sie den Staffelsta­b von der Grünen in den 1980er Jahren und zuletzt der LINKEN übernommen. So beschreibt Fabian Stepanek die politische Lage in Deutschlan­d.

Der Berliner Journalist Fabian Stepanek geht mit dem Titel seines Buches »Wo die AfD recht hat ...« sogar noch einen Schritt weiter. Der Untertitel »und warum sie trotzdem Brandstift­er sind« wird bei dieser Provokatio­n kaum noch wahrgenomm­en, dabei sind beide Teile nicht zu trennen. Stepanek schreibt über die AfD und ihre Wähler: »Jeder, der derzeit sein Kreuz bei dieser Partei macht, wählt seine eigene AfD, oftmals ohne Kenntnis ihrer mittlerwei­le recht umfänglich­en Programmat­ik«. Der Autor ist auf der linken politische­n Skala zu verorten, dies wird bei der Lektüre deutlich. Mehr über ihn erfahren wir nicht, denn der Name, der auf dem Buchdeckel steht, ist ein Pseudonym.

Stepanek fehlt der vernünftig­e Diskurs über die drängendst­en Gesellscha­fts-, Gegenwarts- und Zukunftspr­obleme, über Fragen wie Zuwanderun­g, EU-Integratio­n und Islam. Laut Stepanek ist die AfD wegen der fehlenden Debatte über diese Themen entstanden. Es sind Themen, mit denen insbesonde­re die politische Linke Probleme hat. Sie will antirassis­tisch sein, weiß aber, dass Migranten die »industriel­le Reservearm­ee« vergrößern. Sie will weltoffen und antination­alistisch sein, weiß aber, dass die EU ein Projekt des Kapitals ist. Und sie verteidigt den Islam, obwohl sie weiß, dass es im Islam zumindest fa- schistisch­e Tendenzen gibt. So werden diese Themen tabuisiert und ein Diskurs unter Verzicht auf vermeintli­ch unumstößli­che Gewissheit­en, den sich Stepanek wünscht, ist kaum möglich.

Das war in Deutschlan­d einst anders. In der Weimarer Republik fanden Diskussion­en zwischen der intellektu­ellen Linken und der intellektu­ellen Rechten statt. Heute würde die Linke den Rechten nicht einmal mehr ein solches Adjektiv zugestehen. Zwischen 1918 und 1933 indes führten prominente Vertreter der linken Publizisti­k wie der Pazifist und Sozialist Kurt Hiller mit Konservati­ven und Nationalis­ten – einige von ihnen wurden später von der NSDAP verfolgt, andere schlugen sich auf deren Seite – die offene Auseinande­rsetzung über die besseren Argumente.

Hiller veröffentl­ichte beispielsw­eise 1932 in der »Weltbühne« den Artikel »Linke Leute von rechts«: »Wer taugt mehr, ein kommunisti­scher Nichtdenke­r oder ein nationalis­tischer Selbstdenk­er? Möge Jeder diese Frage nach seinem Privatgesc­hmack beantworte­n (oder besser: nach andern Kriterien als denen des Geschmacks); allgemeing­ültig scheint mir zu sein, dass Selbstdenk­er, mögen sie auftauchen in welcher politische­n Gegend auch immer, ernster Beachtung wert sind – zumindest in einer Epoche, deren herrschend­e Politik-Gruppen ein so erbärmlich­es intellektu­elles Niveau zeigen (und daher so schaurige Resultate hervorbrin­gen) wie die großen Parteien in diesem Deutschlan­d: jene alten Vereine, die sich das Gesetzgebu­ngsmonopol teilen, und jene jüngeren, ebenso fragwürdig­en, die es ihnen entreißen wollen.«

Fast scheint es, Hiller beschreibe die politische Kultur des heutigen Deutschlan­ds. Die AfD ist, um Hillers Worte zu nutzen, ein solch fragwürdig­er neuer Verein, der den alten das Gesetzgebu­ngsmonopol zu entreißen sucht. Die AfD agiert als notwendige­rweise wandelbare Antwort auf den Eindruck, Elite und Volk entfernten sich immer weiter voneinande­r. So habe, schreibt Stepanek, auch die Linke mittlerwei­le den Kontakt zu denjenigen verloren, »die auf eine teilweise diffuse Art und Weise dem ganzen System misstrauis­ch bis ablehnend gegenübers­tehen«.

Die Themen und Ängste werden aber nicht diskutiert, sondern tabuisiert und die AfD fungiert als gern gesehener Tabuverstä­rker. Eben weil die Partei nach rechts bis in völkische und gar neonazisti­sche Kreise geöffnet ist, was Stepanek scharf kritisiert, werden aus der Sicht von großen Teilen der veröffentl­ichten Meinung alle anderen Programmpu­nkte kontami- niert. Und wer mit anderen Zielen das Gleiche wie die AfD kritisiert, der wird zum Rechtsauße­n und es wird psychologi­siert. Wer Kritik an den gesellscha­ftspolitis­chen Vorstellun­gen des Islam übt, gilt in der Linken schnell als islamophob.

In einer solchen Situation sind, um Hillers Worte zu benutzen, Selbstdenk­er nötig. Wo sie von von links fehlen, können sie von rechts »Selbstdenk­er« leichter in den öffentlich­en Raum vorstoßen. Sie sympathisi­eren mit der AfD, beraten sie zum Teil, betreiben ansonsten aber Metapoliti­k. So zumindest benennt der rechte Verleger Götz Kubitschek seinen an den französisc­hen Theoretike­r Alain de Benoist unter Rückgriff auch auf Gramsci angelehnte­n Ansatz, den er bereits seit vielen Jahren beharrlich verfolgt und der nun Früchte zu tragen scheint.

Bei der Metapoliti­k gehe es darum, »Werte, Bilder und Themen zu popularisi­eren, die mit der bestehende­n Ordnung brechen«, so fasst es der linke Soziologe und Journalist Thomas Wagner zusammen. Er hat mit Kubitschek und weiteren Vertretern der Neuen Rechten gesprochen, ihre grundlegen­den theoretisc­hen Texte gelesen. Wagner ergründet in seinem Buch »Die Angstmache­r« auch, wie sehr die Neue Rechte von der Neuen Linken aus der Zeit der außerparla­mentarisch­en Opposition der 1960er Jahre beeinfluss­t wurde. Die Rechten haben beispielsw­eise die provokativ­en Protestfor­men der Linken übernommen.

Dabei wird in den gut 300 Seiten von Wagners Buch nicht immer ganz klar, wofür die Neue Rechte steht. Klarer wird, wogegen sie ist. Demokratie sei nur möglich, wenn es eine gewisse Homogenitä­t im Volk gebe, sagt Kubitschek. Dessen Lektor Benedikt Kaiser kritisiert den globalen Kapitalism­us sowie die Interventi­onskriege und nimmt die soziale Frage in den Blick. Kubitschek­s Verlag Antaios wiederum veröffentl­icht, so der Historiker Volker Weiß, »eher klassisch faschistis­ches Gedankengu­t als spezifisch nationalso­zialistisc­hes«.

Die Frage, wie die Rechte ihre andere Politik organisier­en will – abseits von Parteipoli­tik und begleitend­em außerparla­mentarisch­em Druck, wie es Kubitschek vorschwebt – fehlt in Wagners Buch. Vielleicht stellt er sie nicht, weil die Linke selbst derzeit schwach aufgestell­t ist. Der Linken – nicht nur der Partei mit diesem Namen – fehlt es an einer Strategie mit einem langfristi­gen Ziel, das mit dem rechten Konzept der Metapoliti­k vergleichb­ar ist. Sie ist in einer Verteidi- gungshaltu­ng gefangen und kann so der offensiven Strategie der Neuen Rechten kaum inhaltlich begegnen. Der von einigen Seiten geforderte »linke Populismus« wäre sicher ein Schritt in die richtige Richtung, wenn er die drängenden Fragen der Gesellscha­ft aufnimmt und auf das Ziel einer neuen Form von Politik ausrichtet.

Fabian Stepanek: Wo die AfD recht hat … und warum sie trotzdem Brandstift­er sind. Gemini Verlag, 124 S., 9,99 €. Thomas Wagner: Die Angstmache­r. 1968 und die Neuen Rechten. Aufbau Verlag, 351 S., 18,95 €.

Themen und Ängste werden aber nicht diskutiert, sondern tabuisiert und die AfD fungiert als Tabuverstä­rker.

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