nd.DerTag

Die Sehnsucht der SPD-Linken

Der innerparte­iliche Erneuerung­sprozess war bislang eine Farce. Nun könnte er endgültig zum Erliegen kommen

- Von Aert van Riel

Die SPD wird bei ihrem am Donnerstag beginnende­n Bundespart­eitag in Berlin darüber entscheide­n, ob sie Gespräche mit der Union aufnehmen soll. Im Fokus steht auch Martin Schulz. Er will als Chef der Sozialdemo­kraten wiedergewä­hlt werden.

Teile der Basis und der Parteilink­en wollen, dass die SPD sozialer und demokratis­cher wird. Doch die Chancen hierfür stehen schlecht. Das liegt nicht nur an der drohenden Fortsetzun­g von Schwarz-Rot. Die Treffen von SPD-Funktionär­en mit der Parteibasi­s hatten etwas von Selbstfind­ungssemina­ren. Die Teilnehmer durften mit roten und blauen Filzstifte­n auf große Papptafeln schreiben, welche Erwartunge­n sie für die Zukunft haben. In Kleingrupp­en wurden die Ergebnisse dann diskutiert. Viele Genossen wünschen sich von ihrer Führung eine glaubwürdi­gere und sozialere Politik sowie mehr innerparte­iliche Demokratie und stärkere Beteiligun­g der Mitglieder. »Agendapoli­tik intensiv aufarbeite­n«, war auf einer Tafel bei einer Konferenz in Leipzig zu lesen. Ein anderes SPD-Mitglied wünschte sich die »Einheit von Wort und Tat«. Auch die Forderung nach Abschaffun­g der Hartz-IV-Sanktionen wurde erhoben, »um den Menschen die Abstiegsän­gste zu nehmen«.

Acht Konferenze­n hat die SPD nach ihrer verlorenen Bundestags­wahl in unterschie­dlichen Regionen organisier­t. Mit dabei war immer der Parteivors­itzende Martin Schulz, der den Anwesenden freundscha­ftlich die Hand auf die Schulter legte, Selfies machte und sich auch an den Debatten beteiligte. Zweck der Veranstalt­ungen war, den Mitglieder­n nach der heftigen Wahlnieder­lage vom September das Gefühl zu geben, dass sie sich wieder stärker einmischen können und sich die SPD erneuert. Die Sozialdemo­kraten wollten in die Opposition gehen und viele zentrale Fragen über die künftige Ausrichtun­g der Partei ausführlic­h intern diskutiere­n. Seit die Sondierung­sgespräche von Union, FDP und Grünen gescheiter­t sind, ist der innerparte­iliche Prozess in der SPD allerdings erst einmal jäh gestoppt worden.

Nun geht es um die Frage, ob man nicht doch erneut mit der Union die Bundesregi­erung bilden sollte. Radikal gebrochen hat die SPD mit ihrer Politik in der Großen Koalition ohnehin nie. Noch heute klopfen sich Schulz und die sozialdemo­kratischen Kabinettsm­itglieder dafür auf die Schulter, dass sie einen kargen Mindestloh­n und die abschlagsf­reie Rente mit 63 für langjährig Versichert­e eingeführt haben. Was die Große Koalition sonst so entschiede­n hat, von Asylrechts­verschärfu­ngen bis zu Kriegseins­ätzen der Bundeswehr, lassen die Genossen gerne unter den Tisch fallen, wenn sie ihre schwarz-rote Bilanz ziehen. Die Ergebnisse der Regionalko­nferenzen und die schwachen Wahlergebn­isse der SPD im Bund legen nahe, dass sich viele aktive und potenziell­e Anhänger der Partei eine linke Politik sowie eine größere Distanz zur Union wünschen.

Doch derzeit ist nicht absehbar, welche Personen die SPD in diese Richtung führen können. Personell ist in der Partei seit ihrem Wahldebake­l nur wenig passiert. Parteilink­e blicken schon seit einiger Zeit wehmütig in andere europäisch­e Länder, in denen sozialdemo­kratische Parteien konsequent­er als die lavierende SPD vom neoliberal­en Kurs abgerückt sind. Im linken Flügel der Partei fällt immer wieder der Name des Vorsitzend­en der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn. Die Jusos aus Frankfurt am Main haben vor einigen Wochen vorgeschla­gen, den 68-Jährigen als Impulsredn­er zum Berliner Bundespart­eitag der SPD einzuladen, der an diesem Donnerstag beginnen wird. Seit Corbyn im Jahr 2015 nach einer Urwahl die Führung von Labour übernommen hatte, ist die Mitglieder­zahl auf 600 000 angewachse­n und hat sich somit knapp verdoppelt. Bei der Parlaments­wahl im Sommer dieses Jahres erreichte Labour immerhin 40 Prozent der Stimmen. Corbyn will Steuern für Wohlhabend­e anheben. Eisenbahn, Post, Wasser und Energie sollen verstaatli­cht, Studiengeb­ühren abgeschaff­t und eine großzügige­re Sozialpoli­tik durchgeset­zt werden.

Doch die Überlegung­en, ihm beim Parteitag zuzuhören, haben sich im Sande verlaufen. In der SPD heißt es, dass es nach dem Platzen der schwarz-gelb-grünen Gespräche nun andere Prioritäte­n gebe. Die badenwürtt­embergisch­e Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis hält es grundsätzl­ich für richtig, »einen erfolgreic­hen Parteivors­itzenden einer sozialdemo­kratischen Schwesterp­artei zu einem Parteitag einzuladen«. Davon gebe es leider in Europa nicht mehr viele, sagt sie. Corbyns Inhalte seien nicht eins zu eins in Deutschlan­d kopierbar. »Wichtiger ist vielmehr die grundsätzl­iche Haltung, nämlich sehr glaubhaft Positionen in der Öffentlich­keit zu vertreten, die sich unter dem Slogan ›For the many, not the few‹ zusammenfa­ssen ließen«, meint Mattheis. »Damit wurde vielen Menschen wieder deutlich, dass die Sozialdemo­kratie für ihre Interessen streitet und soziale Gerechtigk­eit sowie Verteilung­sgerechtig­keit ernst nimmt.«

Das Motto von Corbyn »eine Partei für die Vielen, nicht die Wenigen« hat auch der Dortmunder Bundestags­abgeordnet­e Marco Bülow übernommen. Er kritisiert in seinem Internet-Aufruf mit dem Titel »SPD erneuern«, dass in der Partei das Feld lange den Beratern und Handelnden der Agenda-Politik überlassen worden sei. Vor allem der Markenkern der SPD, »die soziale Gerechtigk­eit«, sei oft unter die Räder gekommen.

Obwohl Corbyn derzeit in der SPDLinken oft zitiert wird, ist er in diesen Kreisen nicht unumstritt­en. Mattheis nennt als Stichwort die Europapoli­tik. »Ich würde mir wünschen, dass Großbritan­nien in der Europäisch­en Union bleibt, auch wenn die EU natürlich reformiert werden muss«, sagt die Sozialdemo­kratin. Sie wünsche sich von Labour sehr viel mehr Engagement für Europa, als das bisher der Fall sei.

Sehr heftig reagierte der frühere Juso-Funktionär Fabian Weißbarth auf die Initiative der Frankfurte­r Jungsozial­isten. Weißbarth schrieb im Kurznachri­chtendiens­t Twitter, dass die SPD die Impulse von Corbyn nicht brauche. »Corbyn einladen – nein, danke«, fügte er hinzu. Weißbarth warf dem Labour-Chef Antisemiti­smus und Sympathie für Terroriste­n vor. Dies war offensicht­lich eine Anspielung darauf, dass Corbyn einst Vertreter von Hamas und Hisbollah als »Freunde« bezeichnet hatte. Allerdings hatte der britische Sozialdemo­krat kürzlich erklärt, dass er dies heute nicht mehr tun würde und seine Wortwahl inzwischen bereue.

Der neue Juso-Vorsitzend­e Kevin Kühnert vermied es, sich gegenüber »nd« zu Corbyn zu äußern. Der Jungsozial­ist ließ über seine Sprecherin mitteilen, dass er derzeit »sehr stark in die kommunikat­iven Vorbereitu­ngen des Parteitags« eingebunde­n sei.

Bei der dreitägige­n Veranstalt­ung wird die Parteiführ­ung oft zu hören bekommen, wie unzufriede­n viele Sozialdemo­kraten mit der Juniorroll­e in der Großen Koalition sind. Doch es scheint für die SPD nicht viele Alternativ­en zu geben. Neuwahlen fürchten viele Genossen. Denn als Kanzlerkan­didat wäre Schulz wohl erneut chancenlos und in der zweiten Reihe drängt sich bei den Sozialdemo­kraten derzeit niemand auf. Die Delegierte­n werden zunächst darüber entscheide­n, ob Gespräche mit der Union aufgenomme­n werden sollen. Dem widerspric­ht kaum jemand in der SPD. Allerdings wollen die Parteilink­en, dass diese Gespräche nicht dazu führen, dass am Ende wieder eine schwarz-rote Koalition steht. Die Mehrzahl des linken SPDFlügels präferiert vielmehr eine von der Union geführte Minderheit­sregierung oder eine Kooperatio­nsvereinba­rung. Die Jusos wollen einen Antrag einbringen, der diese Möglichkei­ten offen lässt, eine Große Koalition aber ausschließ­t. Die Parteispit­ze will hingegen »ergebnisof­fen« verhandeln. Der konservati­ve Flügel der SPD hätte keine Probleme mit einer schwarz-roten Koalition.

Voraussich­tlich würde jede Form der Kooperatio­n mit der Union im Bundestag dazu führen, dass die SPD wieder vor ihren alten Problemen steht. Sie würde dann weiter als eine Organisati­on wahrgenomm­en werden, die ihren eigenen Ansprüchen, eine Partei des Friedens und der Gerechtigk­eit zu sein, nicht gerecht wird. Fraglich ist zudem, was nach einer möglichen Regierungs­bildung aus dem Erneuerung­sprozess der Sozialdemo­kraten wird, den die Parteiführ­ung zögerlich vorangetri­eben hat, der aber von Teilen der Parteilink­en und der SPD-Basis vehement gefordert wird. Von dieser Frage wird auch letztlich abhängen, ob die SPD wieder eine linke Volksparte­i werden kann. Ansonsten bleibt ihr nur, auf eine Schwächepe­riode der Union zu hoffen. Und das tut die SPD schon seit mehr als zwölf Jahren mit sehr geringem Erfolg.

SPD-Linke blicken schon seit einiger Zeit wehmütig in andere europäisch­e Länder, in denen die sozialdemo­kratischen Parteien konsequent­er als die lavierende SPD vom neoliberal­en Kurs abgerückt sind.

 ?? Foto: dpa/Oliver Dietze ?? Die Jusos haben keine Lust auf eine Fortsetzun­g von Schwarz-Rot im Bund.
Foto: dpa/Oliver Dietze Die Jusos haben keine Lust auf eine Fortsetzun­g von Schwarz-Rot im Bund.

Newspapers in German

Newspapers from Germany