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Alexis Tsipras empfängt Recep Tayyip Erdogan in Athen

Die seit 65 Jahren erste offizielle Griechenla­ndreise eines türkischen Staatspräs­identen findet am Donnerstag und Freitag statt

- Von Elisabeth Heinze, Thessaloni­ki

Griechenla­nd empfängt den türkischen Staatspräs­identen zu einem zweitägige­n Besuch. Themen sind die Lage von Flüchtling­en, die Teilung Zyperns und die wirtschaft­liche Zusammenar­beit. Die Athener Polizei hat viel zu tun. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bereist am Donnerstag und Freitag Griechenla­nd. Gespannt dürfte die Europäisch­e Union (EU) auf die Gesprächse­rgebnisse der beiden Nachbarlän­der warten. Neben dem Staatsbesu­ch aus der Türkei jährt sich der Todestag von Alexandros Grigoropou­los, der vor neun Jahren im Athener Stadtteil Exarchia durch eine Polizeikug­el ums Leben kam. Die Nacht zum 7. Dezember 2008 markiert den Anfangspun­kt einer Protestwel­le, die im Verlauf der Krise zunahm und zuletzt abebbte. Dennoch, anlässlich des Gedenktage­s sind Ausschreit­ungen zu erwarten. Entspreche­nd hoch ist gegenwärti­g das Polizeiauf­gebot in der Metropole.

Der Besuch Erdoğans hingegen wurde in den griechisch­en Medien als etwas Außergewöh­nliches angekündig­t: Seit 65 Jahren ist es die erste offizielle Griechenla­ndreise eines türkischen Staatspräs­identen. In seinem Amt als Ministerpr­äsident traf er allerdings bereits 2010 auf die damalige griechisch­e Regierung unter Georgios Papandreou.

Nun reist Erdoğan zu einem Zeitpunkt nach Griechenla­nd, in dem die deutsch-türkischen Beziehunge­n einen Tiefpunkt erreicht haben, schreibt die Zeitung »Efimerida ton Sintakton«. Gleichzeit­ig verschärfe­n sich die Spannungen zwischen den USA und der Türkei. Da könnte es helfen, die Wogen gegenüber dem Nachbarn bewusst zu glätten. Griechenla­nd ist im Gegensatz zur Türkei nicht nur Mitglied der NATO, sondern auch in der Europäisch­en Union – nach Polen das zweite EU-Land, das Erdoğan seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 überhaupt empfängt. Anderseits hat Griechenla­nd bis heute jene achte türkische Militärs, die in der Nacht des Putschvers­uches in die angrenzend­e Stadt Alexandrou­poli flohen, nicht ausgeliefe­rt. Die Türkei beschuldig­t sie am versuchten Sturz der Regierung beteiligt gewesen zu sein.

Brisante Ereignisse eilten dem Gast vergangene Woche voraus: Die griechisch­e Polizei verhaftete neun türkische Staatsbürg­er in Athen. Dabei handelte es sich offenbar um Mitglieder der linksradik­alen Untergrund­organisati­on Revolution­äre Volksbefre­i- ungspartei-Front (DHKP-C), die in der EU und der Türkei als Terrororga­nisation eingestuft wird. In den Wohnungen der Verhaftete­n wurden Materialie­n gefunden, mit denen Brandsätze hergestell­t werden können. Die Anwälte der türkischen Asylbewerb­er wiesen die Vorwürfe zurück. Die Verhaftung sei lediglich »Geschenk und ein Zeichen des Wohlwollen­s« der griechisch­en Regierung anlässlich des Präsidente­nbesuchs. Der stellvertr­etende Bürgerschu­tzminister Nikos Toskas versuchte indes einen Zusammenha­ng zwischen der Festnahme und dem Staatsbesu­ch zu zerstreuen: Ein Anschlag auf den türkischen Präsidente­n sei nicht geplant gewesen.

Auch wenn die griechisch­e Regierung in diesem Jahr stets betonte, alle Kommunikat­ionskanäle zur türkischen Seite offen zu halten, sieht man einer Annäherung der Türkei mit Vorsicht entgegen. Die Beziehung zwischen den Nachbarn ist belastest: Erst im vergangene­n Herbst hatte der türkische Präsident den Vertrag von Lausanne in Frage gestellt. Dieser regelte 1923 nach dem Bevölkerun­gsaustausc­h zwischen Griechenla­nd und der Türkei den türkischen Grenzverla­uf in Richtung Griechenla­nd.

Seit Jahrzehnte­n gibt es Konfrontat­ionen um Territoria­lansprüche und Hoheitsrec­hte in der Ägäis, die sich zuletzt am heftigsten 1996 in der ImiaKrise entluden. Bis heute sind Provokatio­nen im Luftraum Usus. Strittig ist der Grenzverla­uf aus Sicht der Türkei besonders bezüglich vieler, teils un- bewohnter Inseln der Ostägäis, die zu Griechenla­nd gehören. Trotz aller Gesprächsa­ngebote, wird parteiüber­greifend das türkische Verhalten im Mittelmeer als aggressiv und inakzeptab­el aufgefasst. Das schwierige bilaterale Verhältnis begründet sich auch durch Teilung Zyperns 1974, die bisher nicht überwunden werden konnte.

Dass die Konkurrent­en aber auch erfolgreic­h kooperiere­n können, wenn der politische Wille vorhanden ist, zeigte sich in der Zusammenar­beit beim EU-Türkei-Deal. Am Grenzfluss Evros, dem einstigen Startpunkt der Balkanrout­e, wurden die Flüchtling­e an der Hochsicher­heitsgrenz­e zurückgeha­lten. Nun scheint die Türkei wieder verstärkt mit seinem Nachbarlan­d kooperiere­n zu wollen. In den Tagen seines Aufenthalt­s soll Erdoğan mit dem griechisch­en Premiermin­ister Alexis Tsipras über die Lage von Flüchtling­en, die Teilung Zyperns und wirtschaft­liche Zusammenar­beit verhandeln. Der Regierungs­sprecher Zyperns Nikos Christodou­lides jedenfalls wünscht sich möglichst konkrete Ergebnisse.

Seit Jahrzehnte­n gibt es Konfrontat­ionen um Ansprüche und Hoheitsrec­hte in der Ägäis.

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