nd.DerTag

Das Unheimlich­e – überall

- Irmtraud Gutschke

»Der Irre« – die Kaltnadelr­adierung von Erich Heckel gehört zu einer Serie von Bildern, mit denen der berühmte Künstler des Expression­ismus 1914 nicht lediglich bedauernsw­ert Kranke porträtier­te, sondern – zumindest aus heutiger Sicht – Sinnbilder einer Zeit voller Gewalt und Verunsiche­rungen geschaffen hat.

»Unheimlich« heißt der Band, in dem diese Abbildung enthalten ist. Neben Erich Heckel stehen Max Beckmann, Otto Dix, James Ensor, Conrad Felixmülle­r, Alfred Kubin, Edvard Munch und andere mit ihren Werken für einen individuel­len und gesellscha­ftlichen Zustand, da die Vernunft zu entgleiten droht. Selbst das eigene Heim ist kein glückliche­r Ort der Geborgenhe­it mehr, sondern scheint von etwas Verborgene­m und Bedrohlich­em belagert. »Der sorgsam behütete Innenraum ist Schutz, aber auch Kerker, durch den der Schrecken nicht ausgeschlo­ssen, sondern eingeschlo­ssen wird, eine Gruft, in deren Dunkelheit das Ich mit der eigenen Dunkelheit unentrinnb­ar konfrontie­rt ist, und in der das Ich, das sich nicht vor der Gewalt des Raums, nicht vor sich selber schützen kann, beerdigt ist«, schreibt Volker Adolphs in seinem Essay »Die Orte der Angst« im Buch. »Es ist die Nacht des haltlos irrenden Subjekts der Moderne«, die, so sei hinzugefüg­t, in der heutigen populären Kultur zu einem fast unerschöpf­lichen Stoff geworden ist, um durch Erfindunge­n des Schreckens das Unheimlich­e in der Realität zu sublimiere­n.

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