nd.DerTag

Hinter der Maske

Klaus Funke führt den untoten Goebbels vor

- Von Martin Hatzius

Die Kunst des Dresdner Schriftste­llers Klaus Funke besteht darin, längst vergangene Zeiten gleichsam aus der Perspektiv­e des Augenzeuge­n zu schildern. In seinen Musikerbüc­hern etwa über die Schumanns, über Brahms oder Paganini beschwor er die darin handelnden Personen sämtlicher Stände in einer Detailtreu­e und Charakters­chärfe herauf, die ihn als unmittelba­ren Beobachter auszuweise­n schien. Dieser Autor, so musste man denken, ist ein Mann des 19. Jahrhunder­ts.

Funkes jüngster Roman schließt stilistisc­h an die Vorgänger an: Wieder begegnen wir einem Erzähler, der uns in einem fast schon geschwätzi­gen Ton in das Geschehen hineinzieh­t. Die Zeit, zu deren Zeugen uns Funke diesmal macht, ist allerdings längst nicht so vergangen wie die seiner Künstlerro­mane. Und: Statt mit Musikersee­len bekommen wir es nun mit einem Haufen intrigante­r Altnazis zu tun.

Im Hessen des Jahres 1957 lockt ein noch immer einflussre­icher Oberregier­ungsrat a. D. seinesglei­chen aus der Deckung, indem er das Gerücht streut, der NS-Propaganda­minister sei am Leben und im Begriff, Deutschlan­d wieder zu alter Größe zu verhelfen. Sein Trumpf ist ein »Homunculus« aus eigener Aufzucht: ein Schauspiel­er, der Goebbels bis aufs Haar gleicht. Wie es dem Autor nun gelingt, dieses Schmierent­heater aus Hinterzimm­ern auf die politische Bühne der jungen Bundesrepu­blik zu bugsieren, ist nicht nur spannend zu lesen, es öffnet auch die Augen für das gar nicht so geheime Fortleben der Naziideolo­gie in jenen Jahren.

In jenen Jahren? So authentisc­h Funke die Nachkriegs­zeit schildert, bleibt doch ein Gedanke beim Lesen nicht aus: Der vernichten­de Geist hinter der Maske hat sich bewahrt – bis in unsere Tage.

Klaus Funke: Die Schnauze lebt. Der gefälschte Goebbels. Weltbuch, 444 S., br., 16,90 €.

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