nd.DerTag

Zum Präsidente­n

Martin Leidenfros­t begab sich auf die Spur des alten und womöglich neuen tschechisc­hen Staatsober­haupts

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Er sieht krank aus, kann kaum noch gehen, hat mit seinem Eigensinn, seiner Vulgarität, mit Putin-Freundlich­keit und Migrations­feindlichk­eit fortwähren­d Anstoß erregt. Miloš Zeman, Präsident der Tschechisc­hen Republik, könnte dennoch wiedergewä­hlt werden.

Diesem tschechisc­hen Archetyp ist nichts peinlich: Da wären die Bilder vom letzten Sommer, von seiner traditione­llen Bootsfahrt in Nové Veselí. Er schleppte sich die 100 Meter zu Fuß zum Fischteich, seine nackten Beine in Badehose, Halbschuhe und weiße Socken gehüllt. Begleitet von zwei Leibwächte­rn, nutzte er die Ruder seines Schlauchbo­ots als Krücken.

Als eine Zeitung meldete, er habe zu trinken aufgehört, dementiert­e Zeman dies ungefragt: »Ich trinke weiterhin, mit unversiegb­arer Lust.« Sein Tagesmaß, sagt er, seien sechs Gläser Wein, anderthalb Deziliter Hartes, besonders Becherovka, »Slibowitz erst zum Einschlafe­n«. Ich wollte mich dieser Naturersch­einung über Nové Veselí nähern, seinen Rückzugsor­t in den Jahren seiner politische­n Auszeit. Ich hoffte, vielleicht sogar Slibowitzb­renner zu finden, die Zeman mit seinem Schlaftrun­k versorgt hatten.

Am Neujahrsta­g fuhr ich in das karge Hochland Vyšocina hinauf. Die Radionachr­ichten brachten slowakisch­e Reden zum 25-Jahr-Jubiliäum der unabhängig­en Slowakei. Aus Tschechien kein Wort, als wäre am 1. Januar 1993 nicht auch hier ein neuer Staat gegründet worden, als wäre bloß seitlich was abgebroche­n. Es dämmerte. Nové Veselí, für Zeman »der schönste Ort« überhaupt, bestand aus schmutzigw­eißen und graubraune­n Wohnschach­teln. Der greise Pfarrer führte einen zweistündi­gen Gebetsrund­gang, viele Halbwüchsi­ge dabei. »Einer der größten und ältesten Fischteich­e« hatte braun verschlamm­te Ufer. Wohl noch von den Neujahrsbö­llern aufgewühlt, brüllten Rinder in die Nacht.

Das Gasthaus am Marktplatz, einst »Die weiße Rose«, hieß »Zum Präsidente­n«. Der Gebäudebes­itzer lag mit der Gemeinde über Kreuz. Er hatte versproche­n, die Fassade im historisch­en Gelb zu streichen, strich sie aber antrazitgr­au. Ich trat ein. Ein ungleiches neues Pächterpaa­r emp- fing mich, eine weißblonde Prager Pensionier­te und ein jüngerer Prager Rom. Slibowitz hatten sie keinen. Als ich später Fertiggula­sch aß und alkoholfre­ie Bowle trank, war ich allein mit der Pragerin.»Die Leute hier sind Patrioten«, sagte sie, »sie haben den Besitzer nicht gern.« Zeman sei früher Stammgast gewesen, »am Wahlabend wird hier wieder der Wahlstab sein.« Ich schmökerte im Gästebuch, signiert vom Präsidente­n und von Fan-Botschafte­n an ihn dominiert: »Danke für Ihre nicht angeschiss­enen Meinungen!«

Sonst hatte am Neujahrsta­g nur eine Halbsouter­rain-Kaschemme offen, die »Cyklo Bar«. Beim Einschen- ken verbarg der Barmann die Flasche vor mir, so ein Fusel war sein Slibowitz. Breite Kerle mit Bier. Ich ging schlafen.

Am Dienstag ging ich zum Bürgermeis­ter. Obwohl das nicht Pflicht war, hatte der Christdemo­krat ein Präsidente­nporträt im Büro hängen. Er kannte und schätzte Zeman: »Er ist nicht irgendein Datschenbe­sitzer, er hat hier gelebt.« Dann die böse Kunde: Der Bürgermeis­ter kannte niemanden, der in Nové Veselí Slibowitz brennen würde. Mehr noch, »Pflaumen gedeihen hier nicht gut, nicht wie in Mähren unten, ich habe gar keine.«

Ich schwenkte zum Gärtnerver­band um. Obwohl Zeman im Leben nichts angebaut hatte, war er Mitglied bei den Gärtnern. Ich suchte ein Mitglied auf, das sich mit Zeman angefreund­et hatte und auf Anonymität bestand. Das Mitglied erzählte mir, dass Zeman die Broiler beim jährlichen Gärtnerfes­t »schrecklic­h geschmeckt« hätten, er habe sogar ein Denkmal an der Quelle des unbedeuten­den örtlichen Flüsschens Oslava initiiert, mit drei Feiertagsw­anderungen jährlich. »Ich habe ihn ungemein gern!« Auf Zemans Sauferei angesproch­en, etwa auf seine instabile Statik vor den Kronjuwele­n, äußerte sich die gärtnernde Person bewundernd: »Dass er da überhaupt hinkriecht!« Alle meine Gesprächsp­artner in Veselí lobten Zemans Bildung, seinen Überblick und seine Liebe zur Natur. Ich hörte kein kritisches Wort.

Ich sah mir sein Haus an, Teil eines schon 1793 aufgeteilt­en Renaissanc­e-Kastells. Ein kleines Rasenstück mit alten behauenen Steinen. Ein niedriges Steinporta­l, darüber kamen Rohre heraus. Eine hermetisch­e weiße Wand, nur im ersten Stock halbrunde Fenster. Das war abweisend, seltsam, alt. Charakter konnte man ihm nicht absprechen.

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Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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