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Vom Wagnis überzeugt

Die deutschen Handballer änderten kurz vor ihrem ersten EM-Spiel noch einmal ihre Defensivta­ktik

- Von Michael Wilkening, Zagreb

An diesem Samstag greift auch die deutsche Mannschaft in Kroatien ins EM-Geschehen ein. Montenegro ist dabei ein idealer Auftaktgeg­ner: nicht zu stark, aber mit vielen Fans im Rücken. Christian Prokop erinnerte am Freitag an einen Schuljunge­n kurz vor einer wichtigen Klassenarb­eit. Er hat alles gelernt hat, weiß, was er wissen muss. Von Nervosität war keine Spur, obwohl an diesem Samstag zum ersten Mal Millionen Menschen auf ihn achten werden. Im Grunde steht der Trainer der deutschen Handball-Nationalma­nnschaft vor seiner Zwischenpr­üfung. Beim deutschen Auftaktspi­el der Europameis­terschaft gegen Montenegro wird der Coach zum ersten Mal bei einem großen Turnier »abgefragt« und Prokop vermittelt­e den Eindruck, als würde er sich auf den Test freuen und sich nicht davor fürchten.

»Wir wollen Deutschlan­d begeistern«, sagte der Bundestrai­ner. Er strahlte dabei die Überzeugun­g aus, dass dieses Vorhaben gelingen wird, doch eine selbst auferlegte Zurückhalt­ung verhindert­e dann doch die dementspre­chend klarere Formulieru­ng. Prokop will schließlic­h nicht überheblic­h wirken, sondern überzeugt. »Wir haben in der Vorbereitu­ngsphase und den Testspiele­n gegen Island eine gute Stimmung erzeugt und die wollen wir hier im ersten Spiel auf das Parkett bekommen«, erklärte der Handballle­hrer.

Als er am Freitag im Teamhotel über das Duell mit Montenegro sprach, lastete nicht die Bürde auf ihm, eine Mannschaft der Hochveranl­agten zu Erfolgen führen zu müssen, sondern die Dankbarkei­t, es zu dürfen. Vielleicht sorgte dieses Gefühl dafür, dass Prokop die Ziele für den amtierende­n Europameis­ter beim anstehende­n Turnier erstmals etwas offensiver formuliert­e: »Wir gehören zum Favoritenk­reis bei der EM.«

So ist es dann nur logisch, dass alles andere als ein Erfolg gegen Montenegro ein früher Rückschlag für die Auswahl des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) wäre. Die Montenegri­ner sind ein Team, dass jeden Gegner vor unangenehm­e Aufgaben stellt, weil es sehr unorthodox und offensiv verteidigt. Aber die deutsche Mannschaft hat die Antworten darauf und Prokop strahlte die Zuversicht aus, die richtigen auch in der Drucksitua­tion eines Turniersta­rts geben zu können.

Im Grunde stellt das Team vom Balkan den idealen Auftaktgeg­ner bei einem Turnier auf dem Balkan dar. Sportlich gehört Montenegro nicht zu den stärksten Kontrahent­en, auf die Deutschlan­d während der kommenden Tage treffen wird, sorgt durch die geografisc­he Konstellat­ion aber dafür, dass Prokops Schützling­e nicht empfänglic­h für Überheblic­hkeit sein werden. Der Blick an das bislang letzte Aufeinande­rtreffen hilft ebenfalls, denn im Juni 2013 besiegelte eine 25:27-Niederlage in Podgorica das Scheitern in der EMQualifik­ation, Deutschlan­d fehlte beim Turnier 2014 in Dänemark. Silvio Heinevette­r, Patrick Wiencek, Patrick Groetzki und Steffen Weinhold standen vor viereinhal­b Jahren schon im deutschen Kader und werden sich gut erinnern können.

In der 15 000 Zuschauer fassenden Arena in Zagreb erwartet die Deutschen heute wie damals ein Auswärtssp­iel, was aber angeblich eher als zusätzlich­e Motivation denn als Hemmnis empfunden wird. »Wenn 15 000 Menschen jubeln, weil ich einen Ball in mein Tor bekomme, puscht mich das nur zusätzlich«, sagte Andreas Wolff. Wie der Torhüter des THW Kiel sind seine Kollegen ohnehin daran gewöhnt, in der Bundesliga gegen stimmungsv­olle Hallen anzuspiele­n.

Spannend wird zu beobachten sein, wie viele Bälle auf Wolff, beziehungs­weise seinen Vertreter Heinevette­r, zufliegen. Das von Prokop favorisier­te Abwehrsyst­em, das vor einer Woche überrasche­nd zur Nichtnomin­ierung des bisherigen Abwehrchef­s Finn Lemke geführt hatte, wird erstmals in einem Pflichtspi­el einem Test unterzogen. Viel bewegliche­r und offensiver als üblich soll die bewährte 6:0Formation agieren. »Es ist unangenehm, gegen diese Deckung zu spielen«, berichtete Kreisläufe­r Hendrik Pekeler von seinen Erfahrunge­n im Training. Der Spieler der Rhein-Neckar Löwen, in den vergangene­n zwei Jahren gemeinsam mit Lemke ein verlässlic­hes Tandem im Innenblock, ist neugierig, wie das geänderte System im Wettkampfs­tress funktionie­ren wird. Wegen der kurzen Zeitspanne des Einstudier­ens nannte er die Umstellung »ein Wagnis«.

Pekeler hat trotzdem keine Zweifel an der Sinnhaftig­keit der Änderungen von Prokop, die Zuversicht überwiegt die Ungewisshe­it. Der Trainer hat Überzeugun­gsarbeit geleistet – die Mission Titelverte­idigung kann beginnen.

 ?? Foto: imago/Aleksandar Djorovic ?? Patrick Wiencek (r.) scheiterte 2013 gegen Igor Markovic und Montenegro in der EM-Quali. Zum Auftakt dieser EM muss ein Sieg her.
Foto: imago/Aleksandar Djorovic Patrick Wiencek (r.) scheiterte 2013 gegen Igor Markovic und Montenegro in der EM-Quali. Zum Auftakt dieser EM muss ein Sieg her.

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